2. Mein Geburthstag
(22. Dezembr. 1735.)

[75] Für mich ein wichtiger Tag. Ich sey ein Bischen zu früh auf der Welt erschienen, sagte man mir. Meine Eltern mußten sich dafür verantworten. – Mag seyn, daß ich mich schon in Mutterleibe nach dem Tageslichte gesehnt habe – und dieß nach dem Licht sehnen geht mir wohl all mein Tage nach! Daneben war ich die erste Kraft meines Vaters – und Dank sey ihm unter der Erde,[75] von mir auch dafür gesagt! Er war ein hitziger Mann, voll warmen Blutes. O ich habe schon tausendmal drüber nachgedacht, und mir bisweilen einen andern Ursprung gewünscht, wenn flammende Leidenschaften in meinem Busen tobten, und ich den heftigsten Kampf mit ihnen bestehen mußte. Aber, sobald Sturm und Wetter vorbey war, dankt' ich ihm doch wieder, daß er mir sein feuriges Temperament mitgetheilt hat, womit ich unzählige schuldlose Freuden lebhafter als so viele andere Leuthe geniessen kann. Genug, an diesem 22. Dez. kam ich ans Tageslicht. Mein Vater sagte mir oft: Er habe sich gar nicht über mich gefreut: Ich sey ein armes elendes Geschöpf gewesen; nichts als kleine Beinerchen, mit einem verschrumpften Häutgen überzogen; Und doch hätt' ich Tag und Nacht ein gräßliches Zettergeschrey erhoben, das man bis ins Holz hören konnte, u.s.f. Er hat mich oft recht bös damit gemacht. Dachte: Ha, ich werd's auch gemacht haben, wie andre neugeborne Kinder! Aber die Muter gab ihm allemal Beyfall. Nun, es kann seyn.

Am H. Weihnachtstag ward ich getauft, in Wattweil; und ich freute mich schon oft, daß es gerad an diesem Tage geschah, da wir die Geburt unsers Hochgelobten Erlösers feyern. Und wenn's eine einfältige Freude ist, was macht's – giebt's doch gewiß noch viel kindischre? H.G.H. von Kapel aus der Au, und A.M.M. aus der Schamatten, waren meine Taufpathen; Er ein feuriger reicher Junggesell, Sie eine bemittelte hübsche Jungfer. Er starb ledig; sie lebt noch im Wittwenstand.

In meinen ersten Lebensjahren mag ich wohl ein wenig[76] verzärtelt worden seyn, wie's gewöhnlich mit allen ersten Kindern geht. Doch wollte mein Vater schon frühe genug mit der Ruthe auf mich dar; aber die Mutter und Großmutter nahmen mich in Schutz. Mein Vater war wenig daheim; er brennte hie und da im Land und an benachbarten Orten Salpeter. Wenn er dann wieder nach Hause kam, war er mir fremd. Ich floh ihn. Dies verdroß den guten Mann so sehr, daß er mich mit der Ruthe zahm machen wollte. (Diese Thorheit begehen viele neuangehende Väter, und fordern nämlich von ihren ersten Kindern aus pur lauter Liebe, daß sie eine eben so zärtliche Neigung gegen sie wie gegen ihre Mütter zeigen sollten. Und so hab' ich auch bey mir und viel andern Vätern wahrgenommen, daß sie ihre Erstgeborenen unter einer ungereimt scharfen Zucht halten, die dann bis zu den letzten Kindern nach und nach völlig erkaltet.)

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 75-77.
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