21. Neue Geschäfte, neue Sorgen
(1747.)

[108] Denn nun hieß es: Eingespannt in den Karrn mit dem Buben, in's Joch – Er ist groß genug! – Wirklich tummelte mich mein Vater meisterlich herum; in Holz und Feld sollt' ich ihm statt eines vollkommnen Knechtes dienen. Die mehrern Mal überlud er mich; ich hatte die Kräfte noch nicht, die er mir nach meiner Grösse zutraute; und doch wollt' ich dann stark seyn, und keine schwere Bürde liegen lassen. In Gesellschaft von ihm oder mit den Taglöhnern arbeitete ich gern; aber sobald er mich allein an ein Geschäft schickte, war ich[108] faul und läßig, staunte Himmel und Erde an, und hieng ich weiß selbst nicht mehr was vor allerley Gedanken und Grillen nach; das freye Gaißbubenleben hatte mich halt verwöhnt. Das zog mir dann Scheltwort oder gar Streiche zu; und diese Strenge war nöthig, obschon ich's damals nicht fassen konnte. Im Heuet besonders gab's bisweilen fast unerträgliche Bürden. Oft streckt' ich mich vor Mattigkeit, und fast zerschmolzen von Schweiß, der Länge nach auf dem Boden und dachte: Ob's wohl auch in der Welt überall so mühselig zugehe? Ob ich mich grad itzt aus dem Staub machen sollte? Es werde doch an andern Orten auch Brod geben, und nicht gleich Henken gelten: Ich hätte auf der Kreutzegg beym Gaißhüten mehrere solche Bursche gesehen, denen's ausser ihrem Vaterland, wie sie mir erzählten, recht wohl gegangen – und was des Zeugs mehr war. Dann aber fand ich wieder: Nein! Es wäre doch Sünd, von Vater und Mutter wegzulaufen: Wie? wenn ich ihnen ein Stück Boden abhandeln, es bauen, brav Geld daraus ziehen, dann aus der Losung ein Häusgen drauf stellen, und so vor mich leben würde? Husch! sagt ich eines Tags, das muß jetzt seyn! – Aber, wenn mir's der Aeti abschlägt? – Ey! frisch gewagt, ist halb gewonnen. Ich nahm also das Herz in beyde Händ', und bat den Vater noch desselben Abends, daß er mir ein gewisses Stücklein Lands abtreten sollte. Nun sah er freylich meine Narrheit wohl ein; aber er ließ mich's nicht merken, und fragte nur: Was ich dann damit anfangen wollte? »Ha!« sagt' ich, »es in Ehren legen, Mattland daraus machen, und den Gewinn davon beyseitethun.«[109] Ohne ein mehreres Wort zu verlieren, sprach er dann: »So nimm eben die Zipfelwaid; ich geb sie dir um fünf Gulden.« Das war nun spottwohlfeil; hier zu W. wär' so ein Grundstück mehr als hunder Gulden werth. Ich sprang darum vor Freuden hoch auf, und fieng sogleich die neue Wirthschaft an. Den Tag über arbeitete ich für den Vater; sobald der Feyrabend kam, vor mich; sogar beym Mondschein, da macht ich aus dem noch vor Nacht gehauenen Holz und Stauden kleine Burden von Brennholz zum Verkaufen. Eines Abends dacht' ich so meiner jetzigen Lage nach; mir fiel ein: »Deine Zipfelwaid ist gar wohlfeil! Es könnte den Vater reuen, und er's wieder an sich ziehen, wenn ich ihm den Kaufschilling nicht baar erlege. Ich muß um Geld schauen, so kann er mir nicht mehr ab der Hand gehn.« Ich gieng also zum Nachbar Görg, erzählt' ihm den ganzen Handel, und bat ihn, mir die 5 fl. zu liehen; ich woll' ihm bis auf Wiederbezahlung mein Land dafür zum Pfand einsetzen. Er gab mir's ohne Bedenken. Ganz entzückt lief ich damit zum Vater, und wollt' ihn ausbezahlen. Potz hundert! wie der mich abschneutzte: »Wo hast du das Geld her?« Es fehlte wenig, so hätt' es noch Ohrfeigen obendrein gesetzt. Im ersten Augenblick begriff ich nicht was ihn so entsetzlich bös mache. Aber er erklärte mir's bald, da er fortfuhr: »Du Bärnhäuter! Mir mein Gut zu verpfänden!« riß mir dann die fünf Gulden aus der Hand, rannte im Augenblick zu Görg, und gab sie ihm wieder, mit Bedeuten: Daß er, so lieb ihm Gott sey! seinem Buben kein Geld mehr liehe; Er woll' ihm schon[110] geben was er brauche, u.s.f. – So war meine Freude kurz. Der Aeti, nachdem er bald wieder besänftigt war, mocht mir lang sagen: »Ich brauch ihm das Ding gar nicht zu zahlen; ich könn' ihm ja ein billiges Zinslein geben: Der Schlempen Waid werde die Sach nicht ausmachen; ich soll nur damit schalten und walten wie mit meinem Eigenthum.« Ich konnt' es ihm nicht glauben; denn er lachte dabey immer hinten im Maul. Das war mir verdächtig. Aber er hatte guten Grund dafür. Endlich fieng ich einfältiger Tölpel an, mich wieder zu beruhigen; und machte aufs neue die Rechnung hinterm Wirth, was ich aus dem Bletz mit der Zeit vor Nutzen ziehen wollte – als eines Tags mir die Kühe in mein Aeckerlein brachen, den jungen Saamen abfrassen, auch mein Holz eben damals keine Käufer fand, und mir fast alles liegen blieb. Solche gehäufte Unglücksstreiche nahmen mir nun mit Eins den Muth; ich überließ den ganzen Plunder wieder dem Vater, und bekam von ihm zur Entschädigung ein flanellenes Brusttuch.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 108-111.
Lizenz:
Kategorien: