25. Damalige häusliche Umstände

[118] Unterdessen war unsre Familie bis auf acht Kinder angewachsen. Mein Vater stack je länger je tiefer in Schulden, so daß er oft nicht wußte wo aus noch an. Mir sagte er nichts; aber mit der Mutter hielt er oft heimlich Rath. Davon hört' ich eines Tags ein Paar Worte, und merkte nun die Sache so halb und halb. Allein, es focht mich eben wenig an: Ich gieng leichtsinnig meinen kindischen Gang, und ließ meine armen Eltern inzwischen über hundert unausführbaren Projekten sich den Kopf zerbrechen. Unter diesen war auch der einer Wanderung ins Gelobte Land, zu meinem größten Verdrusse – zu Wasser worden. Endlich entschloß sich[118] mein Vater, alle seine Habe seinen Gläubigern auf Gnad und Ungnad zu übergeben. Er berief sie also eines Tags zusammen, und entdeckte ihnen mit Wehmuth, aber redlich, seine ganze Lage, und bat sie: In Gottes Namen Haus und Hof, Vieh, Schiff und Geschirr zu ihren Handen zu nehmen, und seinetwegen ihn, nebst Weib und Kindern, bis aufs Hemd auszuziehen; er wolle ihnen noch dafür danken, wenn sie nur einmal ihn der unerträglichen Last entledigen. Die meisten aus ihnen (und selbst diejenigen welche ihm mit Treiben am unerbittlichsten zugesetzt hatten) erstaunten über diesen Vortrag. Sie untersuchten Soll und Haben; und das Facit war, daß sie die Sachen bey weitem nicht so schlimm fanden, als sie sich's vorgestellt; so daß sie ihn alle wie aus Einem Munde baten: Er soll doch nicht so kläglich thun, guten Muths seyn, sich tapfer wehren, und seine Wirthschaft nur so emsig treiben wie bisher; sie wollen gern Geduld mit ihm tragen, und ihm noch aus allen Kräften berathen und beholfen seyn: Er habe eine Stube voll braver Kinder; die werden ja alle Tag' grösser, und können ihm an die Hand gehn; was er mit diesen armen Schaafen draussen in der weiten Welt anfangen wollte? u.s.f.u.f. Allein mein Vater unterbrach sie in diesen liebreichen Aeusserungen ihres Mitleids alle Augenblick': »Nein, um Gottes Willen, Nein! – Nehmt mir doch die entsetzliche Burde ab – Das Leben ist mir so ganz erleidet! – Auf's Besserwerden hoft' ich nun schon dreyzehn Jahr vergebens. – Und kurz, bey unserm Gut hab' ich nun einmal weder Glück noch Stern. – Mit sauerm Schweiß,[119] und so vielen schlaflosen Nächten, grub' ich mich nur immer tiefer in die Schulden hinein. – Geb wie ich's machte, da half Hausen und Sparen, Hunger und Mangel leiden, bis aufs Blut arbeiten, kurz Alles und Alles nichts. – Besonders mit dem Vieh wollt's mir durchaus nie gelingen. Verkauft' ich die Küh' um das Futter versilbern zu können, und daraus meine Zinse zu bestreiten, so hatt' ich dann mit meiner Haushaltung, die ausser dem Güterarbeiten keinen Kreuzer verdienen konnte, nichts zu essen, wenn ich gleich die halbe Losung wieder in andre Speisen steckte. – Schon von Anfang an mußt' ich immer Taglöhner halten, Geld entlehnen, und aus einem Sack in den andern schleuffen, bis ich endlich mich nicht mehr zu kehren wußte. – Noch einmal, um Gottes Willen! Da ist all mein Vermögen. Nehmt, was Ihr findet, und laßt mich nur ruhig meine Strasse ziehn. Mit meinen ältern Kindern wird's mir wohl möglich werden, uns allen ein schmales Stücklein Brod zu erwerben. Und wer weiß, was der l. Gott uns noch für die Zukunft bescheert hat!« Als nun endlich unsere Gläubiger sahen, daß mit meinem Vater anders nichts anzufangen wäre, nahmen sie das Dreyschlatt mit aller Zubehörd gemeinschaftlich zu ihren Handen, setzten einen Gildenvogt, liessen einen neuen Ueberschlag machen, und fanden wieder: Daß einmal da kein grosser Verlust herauskommen könne. Sie schenkten darum dem armen Aeti nicht allein allen Hausrath, Schiff und Geschirr, sondern baten ihn auch, bis sich ein Käufer fände, weiter auf dem Gut zu bleiben, und es im billigen Lohn zu bearbeiten. Dieser bestuhnd,[120] nebst freyer Behausung, und Holzes genug, in der Sömmerung für acht Kühe, und Grund und Boden, zu pflanzen was und wie viel wir konnten und mochten. Itzt war meinem Vater wieder so wohl als wenn er im Himmel wäre; und was ihm noch am meisten Freud' machte, seine alten Schuldherren waren fast noch zufriedner als er, so daß von dem ersten Augenblick an keiner ihm nur nie eine saure Miene gemacht. Wir hatten ein recht gutes Jahr, und konnten, neben unsrer Güterarbeit, noch eine ziemliche Zeit fürs Salpetersieden entübrigen, das ich nun ebenfalls lernte, als mein Vater einst an einem Bein Ungelegenheit hatte, und hernach wirklich bettliegerig ward. Die Schmerzen nahmen täglich so sehr überhand, daß er eines Abends von uns allen Abschied nahm. Endlich gelang es doch dem Herrn Doktor Müller aus der Schomatten ihn wieder zu curiren; derselbe that solches nicht nur ganz unentgeldlich, sondern gab uns noch Geld dazu. Der Himmel wird es ihm reichlich vergelten. – Inzwischen zeigte sich ein Käufer zum Dreyschlatt. Wir waren im Grunde alle froh, dies Einöde zu verlassen; aber niemand wie ich, da ich hofte, das strenge Arbeiten sollt' nun einmal ein End nehmen. Wie ich mich betrog, wird die Folge lehren.[121]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 118-122.
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