27. Göttliche Heimsuchung

[123] Wenige Tage nach unsrer Ankunft ward ich mit einem heftigen Frost und Fieber befallen. Ob mir das plötzliche Vertauschen der frischen Bergluft mit der im Thal, oder die unreinliche Wohnung, oder dann ein schon mitgebrachter Stoff dazu im Körper, oder endlich gar der Abscheu vor dem entsetzlichen Geschöpfe, das Uebel zugezogen, weiß ich selbst nicht. Einmal zuvor war, aussert etwa leichten Kopf- und Zahnschmerzen, jedes andre Uebelbehagen mir ganz unbekannt. Man ließ den lieben Herrn Docktor Müller kommen; er verordnete mir eine doppelte Aderlässe,[123] zweifelte aber gleich beym ersten Anblick selber an meinem Aufkommen. Am dritten Tag glaubt' ich, nun sey's gewiß mit mir aus, da mir mein armer Kopf beynahe zerspringen wollte. Ich rang, wimmerte, krümmte mich wie ein Wurm, und stuhnd Höllenangst aus: Tod und Ewigkeit kamen mir schröcklich vor. Meinem Vater, der sich fast nie von mir entfernte, und oft ganz allein um mich war, beichtete ich in einem solchen Augenblick alles was mir auf dem Herzen lag, sonderlich auch wegen den Verfolgungen des vorerwähnten Unholds, der mir viel zu schaffen machte. Der gute Aeti erschrack entsetzlich, und fragte mich: Ob ich denn mit dem Thier etwas Böses gethan? »Nein, gewiß nicht, Vater!« (antwortete ich schluchzend) »aber das Ungeheur wollt' mich eben dazu bereden; und ich hab's dir verschwiegen. Das nun, fürcht' ich, sey eine grosse Sünd'«. »Sey nur ruhig, mein Sohn!« (versetzte mein Vater) »Halt' dich im Stillen zu Gott. Er ist gütig, und wird dir deine Sünden vergeben«. Dieß einzige Wort des Trosts machte mich gleichsam wieder aufleben. O wie eifrig gelobt' ich in diesem Augenblick, ein ganz andrer Mensch zu werden, wenn ich's länger auf Erden treiben sollte. Indessen gab's noch verschiedene Ruckfälle: Einmal wußt' ich 24. Stunden lang nichts mehr von mir selber; aber dieß war die Crisis. Beym Erwachen fühlt' ich zwar meine Schmerzen wieder, doch in weit geringerm Grade; und was für mich viel wichtiger war, die bangen angsthaften Gedanken blieben völlig aus. Der Doktor fieng an Hoffnung zu schöpfen, und ich nicht minder;[124] und kurz, es ließ sich täglich mehr zur Besserung an, bis ich (Gott und meinem geschickten Arzt sey's ewig gedankt) freylich erst nach etlichen Wochen, wieder ganz auf die Beine kam. Aber das Thiermensch, das wir im Haus hatten, und dulden mußten, war mir jtzt unausstehlicher als jemals. Mich und alle meine Geschwister überhäufte es mit den unfläthigsten Schimpfworten. Während meiner Krankheit sagte es mir oft ins Gesicht: Ich sey ein muthwilliger Bankert; es fehle mir nichts; man sollte mir statt Arzneyen die Ruthe geben, u.d. gl. Ich bat also meinen Vater, so hoch ich konnte: Er soll doch die Creatur uns vom Hals schaffen, sonst könnt' ich in Ewigkeit nicht vollkommen gesund werden. Aber es war unmöglich; vor einmal wollt' sie uns niemand abnehmen. Wenn sie's gar zu schlimm machte, liessen wir sie, wie gesagt, karbatschen. Aber zuletzt wollt' uns auch diesen Dienst niemand mehr leisten; denn jedermann fürchtete sich vor ihr, wie vor dem bösen Geist. Mit guten Worten kam man ihr gewissermassen noch am leichtesten bey. Was indessen mir als die allerherbste Prüfung vorkam, war dieses: Daß ich und meine Geschwister in ihrer Gesellschaft mit Baumwollen-Kämmen und Spinnen unsern Feyrabend machen mußten. Sobald aber der Sommer anrückte, half ich mir damit, daß ich meine Arbeit, so viel's immer die Witterung zuließ, ausser dem Haus verrichtete.[125]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 123-126.
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