29. Wie? Schon Grillen im Kopf

[128] Und warum nicht? wenn einer in sein zwanzigstes geht, darf er schon ahnden, es gebe zweyerley Leuthe. Der Weibel hatte ein bluthübsches Töchtergen, aber scheu' wie ein Hase. Es war mir eine Freud' wenn ich sie sah', ohne zu wissen warum? Nach etlichen Jahren heurathete sie einen Schlingel, der ihr ein Häufchen Jungens auflud, und sich endlich als ein Schelm aus dem Land machte. Das gute Kind!

Dann hatte unser Nachbar Uli eine Stieftochter, Aennchen; die konnt ich alle Sonntage sehn. Allemal winselt' es mir ein wenig um's Herzgrübchen. Ich wußte wieder nicht warum? denk' aber wohl, weils mich so hübsch dünkte: Einmal an etwas anders kam mir gewiß nicht der Sinn. An den gedachten Sonntagen zu Abend machten wir – denn es gab da junger Bursche genug – mit einander Buntreihen, Kettenschleuffen, Habersieden, Schühle verbergen, u.s.f. Ich war wie in einer neuen Welt; nicht mehr ein Eremit wie im Dreyschlatt. Nun merkt ich zwar, daß mich Aennchen wohl leiden mocht'; dacht' indessen, sie würd' sonst schon ihre Liebsten haben. Einst aber hatte meine Mutter die Schwachheit, mir, und zwar als wenn sie stolz drauf wäre, zu sagen: Aennchen sehe mich gern. Dieser Bericht rannte mir wie ein Feuer durch alle Glieder. Bisher hielt ich dafür, meine Eltern würden's nicht zugeben, daß ich noch so jung nur die[128] geringste Bekanntschaft mit einem fremden Mädchen hätte. Itz aber (so wichtig ist es, die Menschen in nützlichen Meinungen auch nur durch kein unvorsichtiges Wort irre zu machen!) merkt' ich's meiner Mutter deutlich an, daß ich so etwas schon wagen dürfte. Indessen that ich wohl nicht dergleichen; aber meine innre Freud' war nur desto grösser, daß man mir itzt selbst die Thür aufgethan, unter das junge lustige Volk zu wandeln. Von dieser Zeit an, versteht sich's, schnitt' ich bey allen Anlässen Aennchen ein entschieden freundlich Gesichtgen; aber daß ich ihr mit Worten etwas von Liebe sagen durfte – o um aller Welt Gut willen hätt' ich dazu nicht Herz gehabt. Einst erhielt ich Erlaubniß auf den Pfingst-Jahrmarkt zu gehn: Da sann ich lang hin und her, ob ich sie auf's Rathhaus zum Wein führen dürfe? Aber das schien mir schon zu viel gewagt. Dort sah ich sie eins herumschlängeln. Herodes mag das Herz nicht so gepocht haben, als er Herodias Tochter tänzeln sah! Ach! so ein schönes, schlankes, nettes Kind, in der allerliebsten Zürchbietler-Tracht! Wie ihm die goldfarbnen Zöpf so fein herunterhiengen! – Ich stellte mich in einen Winkel, um meine Augen im Verborgnen an ihr waiden zu können. Da sagt' ich zu mir selbst: Ah! in deinem Leben wirst du, Lümmel, nie das Glück haben, ein solch Kind zu bekommen! Sie ist viel viel zu gut für dich! Hundert andre weit bessre Kerls werden sie lang lang vor dir erhaschen. So dacht' ich, als Aennchen, die mich und meine Schüchternheit schon eine geraume Zeit: mochte bemerkt haben, auf[129] mich zukam, mich freundlich bey der Hand nahm, und sagte: »Uli! führ' du mich auch Eins herum«! Ich feuerroth erwiederte: »Ich kann's nicht, Aennchen! gewiß ich kann's nicht«! »So zahl' mir denn eine Halbe«, versetzte sie, ich wußt' nicht recht ob im Schimpf oder Ernst. »Es ist dir nicht Ernst, Schleppsack«, erwiedert' ich darum. Und sie: »Mi See s'ist mir Ernst«! Ich todtblaß: »Mi See, Aennchen, ich darf heut nicht! Ein andermal. Gwüß ich möcht gern, aber ich darf nicht«! Das mocht ihr ein wenig in den Kopf steigen; sie ließ sich's aber nicht merken, trat, mir nix dir nix, rückwerts, und machte ihre Sachen wie zuvor. So auch ich – stolperte noch eine Weile von einer Ecke in die andre, und machte mich endlich, wie alle übrigen, auf den Heimweg. Ohne Zweifel daß Aennchen auf mich Acht gegeben. Einmal nahe beym Dorf kam sie hinter mir drein: »Uli! Uli! Jetzt sind wir allein. Komm' noch mit mir zu des Seppen, und zahl mir eine Halbe«! »Wo du willst«, sagt 'ich; und damit setzten wir ein Paar Minuten stillschweigend unsre Strasse fort. »Aennchen! Aennchen«! hob ich dann wieder an: »Ich muß dir's nur grad sagen, ich hab kein Geld. Der Aeti giebt mir keins in Sack, als etwa zu einem Schöpplein; und das hab' ich schon im Städtlin verbutzt. Glaub' mir's ich wollt' herzlich gern – und dich dann heimgeleiten! O! Aber da müßt' ich dann wieder meinen Vater fürchten. Gwüß, Aennchen! s'wär das erstemal. Noch nie hätt' ich mich unterstanden, ein Mädle zum Wein zu führen; und jetzt, wie gern ich's möcht', und auf Gottes Welt keine lieber als dich[130] – bitte bitte, glaub mir's kann und darf ich's nicht. Gwüß ein andermal, wenn du mir nur wart'st, bis ich darf und Geld hab'«. »Ey Possen, Närrlin«! versetzte Aennchen: »Dein Vater sagt nichts; und bey der Mutter will Ich's verantworten – weiß schon, wo der Haas lauft. Geld? Mit samt dem Geld! 's ist mir nicht um's Trincken, und nicht um's Geld. Da« (und griff ins Säcklin) »hier hast du, glaub' ich, gnug zu zahlen, wie's der Brauch ist. Mir wär's Ein Ding; Ich wollt' lieber für Dich zahlen, wenn's so Mode wär'«. Paf! jtzt stand ich da, wie der Butter an der Sonne; gab endlich Aennchen mit Zittern und Beben die Hand; und so gieng's vollends ins Dorf hinein, zum Engel. Mir ward's Blau und Schwarz vor den Augen, als ich mit ihr in die Stube trat, und da alles von Tischen voll Leuthen wimmelte, die, einen Augenblick wenigstens, auf uns ihre Blicke richteten; indessen deucht' es mich dann auch wieder: Himmel und Erde müß' Einem gut seyn, der ein so holdes Mädchen zur Seite hat. Wir tranken unsre Maaß aus – so weder zu langsam noch zu geschwind; zu Schwatzen gab's – ich denk' durch meine Schuld – eben nicht viel. Entzückt, und ganz durchglüht von Wein und Liebe, aber immer voll Furcht, führt' ich nun das herrliche Kind nach Haus bis an die Thüre. – Keinen Kuß? Keinen Fuß über ihre Schwelle? – Ich schwör es: Nein! Auch ich lief nun schnurstracks heim, gieng mausstill zu Bett', und dachte: Heut wirst du bald, und süsser entschlummern, als sonst noch nie in deinem Leben! Aber wie ich mich betrog! Da war von Schlaf nur keine Rede.[131] Tausend wunderbare Grillen giengen mir im Kopf herum, und wälzten mich auf meinem Lager hin und her. Hauptsächlich aber, wie verwünscht' ich jetzt meine kindische Blödigkeit und Furcht: »O das himmlische süsse Mädchen«! dacht' ich jetzt: »Konnt' es wohl mehr thun – und Ich weniger? Ach! es weißt nicht, wie's in meinem Busen brennt – und nur durch meine Schuld. O ich Hasenherz! Solch ein Liebchen nicht küssen, nicht halb zerdrücken? Kann Aennchen so einen Narren, so einen Lümmel lieben? Nein! Nein! – Warum spring ich nicht auf und davon, zu ihrem Haus, klopf an ihrer Thür' und rufe: Aennchen, Aennchen, liebstes Aennchen! Steh' auf, ich will abbitten! O, ich war ein Ochs, ein Esel! verzeih mir's doch! Ich will's könftig besser machen, und dir gewiß zeigen, wie lieb mir bist! Herziger Schatz! ich bitt' dich drum sey mir doch weiter gut und gieb mich nicht auf – Ich will mich bekehren – bin noch jung – und was ich nicht kann, will ich lernen«, u.s.f. So machte mich, gleich vielen andern, die erste Liebe zum Narrn.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 128-132.
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