30. So geht's

[132] Des Morgens in aller Frühe flog ich nach Aennchens Haus – Ja, das hätt' ich thun sollen, thats' aber eben nicht. Denn ich schämt' mich vor ihr, daß mir's Herz davon weh that – in die Seel' hinein schämt' ich mich, vor den Wänden, vor Sonn' und Mond, vor[132] allen Stauden schämt' ich mich, daß ich gestern so erzalbern that. Meine einzige Entschuldigung vor mir selber war diese, daß ich dachte: Es hätte so seine eigne studirte Art mit den Mädels umzugehn, und ich wüßte diese Art nicht. Niemand sage mir's, und ich hätt' nicht das Herz jemand zu fragen. Aber so (roch's mir dann wieder auf) darfst du Aennchen nie, nie mehr unter Augen treten; fliehen mußt du vielmehr das holde Kind, oder kannst wenigstens nur im Verborgenen mit ihr deine Freud' haben, nur verstohlen nach ihr blicken. – Inzwischen macht' ich eine neue Bekanntschaft mit ein Paar Nachbarsbuben, die auch ihre Schätz' hatten – um etwa heimlich von ihnen zu erfahren, wie man mit diesen schönen Dingen umgehen und es machen müsse, wenn man ihnen gefallen wolle. Einmal nahm ich gar das Herz in beyde Händ' und fragte sie darum; aber sie lachten mich aus, und sagten mir so närrisches und unglaubliches Zeug, daß ich nun gar nicht mehr wußte, wo ich zu Haus war.

Inzwischen ward diese Liebesgeschicht', die ich doch gerne vor mir selber verborgen hätte, bald überall laut. Die ganze Nachbarschaft, und besonders die Weiber, gaften mir, wo ich stuhnd und gieng, ins Gesicht, als ob ich ein Eisländer wäre: »Ha, Ha, Uli«! hieß es dann etwa: »Du hast die Kindsschuh' auch verheyt«. Meine Eltern wurdens ebenfalls inne. Die Mutter lächelte dazu, denn Aennchen war ihr lieb: Aber der Vater blickte mich desto trüber an; doch ließ er sich kein Wörtgen verlauten, als ob er wirklich in meinem Busen Unrath lese. Das war nur desto peinigender für[133] mich. Ich gieng indessen überall umher, wie der Schatten an der Wand, und wünschte oft, daß ich Aennchen nie mit einem Aug gesehen hätte. Auch meine Bauersleuthe rochen bald den Braten, und spotteten meiner.

Eines Abends kam mir Aennchen so in den Wurf, daß ich ihr nicht entwischen konnte. Ich stuhnd da wie versteinert. »Uli«! sagte sie, »komm heut z'Nacht ein Bißli zu mir, ich hab' mit dir z'reden. Willst kommen, sag«? – »Ich weiß nicht«, stotterte ich. – »Eh, komm! Ich muß nothwendig mit dir reden; sag, versprich mir's«! »Ja, ja gwiß wenn ich kann«! Mir mußten scheiden. Ich rannte eilends nach Haus. Himmel! dacht' ich, was mag das seyn? Kann das liebe Aennchen mir noch so freundlich begegnen? Soll ich, darf ich – Ja, ich muß, ich will gehn. – Nun gerieth ich – ob aus Ehrlichkeit oder List weiß ich selbst nicht – auf den guten Einfall, das Ding der Mutter zu sagen. »Ja ja, geh' nur«, sprach diese; »ich will dir nach dem Essen schon forthelfen, daß kein Hahn darnach krähen soll«. Das war mir recht gekocht. Alles gesagt, gethan. Ich gieng hin, und traf Aennchen, ihre Mutter und ihren Stiefaeti (sie hielten sonst eine Schenke) ganz allein an. Ich ließ ein Glas Brennz holen, um doch etwas zu thun, bis die Alten im Bett' wären, weil ich nichts zu reden wußte. Aus lauter Furcht saß ich weit von Aennchen weg – Aber darum mocht' ich's doch kaum erwarten, bis die Eltern zur Ruh giengen. Endlich gerieth's. Da fieng denn mein Liebchen an, in Einem fort zu schnättern, daß es lieblich und doch betrübt zu hören war – als sie mir jetzt über mein kaltes[134] Bezeigen Vorwürf' über Vorwürf' machte, und alles, was sie die Zeit her über mich schwatzen gehört, mir die Nase rieb. Ich faßte Muth, verantwortete mich so gut ich konnte, und sagt' ihr auch gerad' allen Kram heraus, was die Leuth' von ihr redeten, und wofür man sie hielt – von meinen Gesinnungen hingegen kein Wort: »So«! sagte sie: »Was schiert mich der Leuthe Reden! Ich weiß schon, wer ich bin – und hinter dir hätt' ich doch ein wenig mehr als so viel gesucht. Macht' aber nichts, schadt gar nichts«! Nachdem dieser Wortwechsel noch ein Weilchen fortgedauert hatte, und mir das Brenz ein wenig in den Kopf stieg, wagt' ich's, ihr ein Bißlin näher zu rücken; denn das zwar bös scheinende, aber verzweifelt artige Raisonieren gefiel mir in der Seele wohl. Ich erkühnte mich sogar, ihr einige läppische Lehrstücke von erznärrischen Liebkosungen zu machen. Sie wies mich aber frostig zurück, und sagte: »Kannst mir warten! Wer hat dich das gelehrt«? u.d.gl. Dann schwieg sie eine Weile still, guckte steif ins Licht, und ich ein gut Klafter von ihr entfernt ihr in's Gesicht: O ihre zwey blauen Aeuglin, die gelben Haarlocken, das nette Näschen, das lose Mäulchen, die sanft rothen Bäcklin, das feine Ohrläpplin, das geründelte Kinn, das glänzend weisse Hälschen – O in meinem Leben hab' ich so nichts gesehn – Kein Mahler vom Himmel könnt's schöner mahlen. »Dürft' ich doch« (dacht' ich) »auch nur ein eineinziges Mal einen Kuß auf ihr holdes Mündlein thun. Aber nun hab' ich's schon wieder – und Ach! wohl gewiß auf ewig verdorben«. Ich nahm[135] also kurz und gut Abschied. Ganz frostig sagte sie: »Adieu«! Ich noch einmal: »Leb wohl, Anne«! – und im Herzen: Leb' ewig wohl, herzallerliebstes Schätzgen! – – Aber vergessen konnt' ich sie nun einmal nicht. In der Kirch' sah' ich sie mehr als den Pfarrer; und wo ich sie erblickte, war mir wohl ums Herz. Eines Sonntag Abends sah ich einen Schneiderbursch, Aennchen heimführen. Wie da urplötzlich mein Blut sich empörte, und alle Säfte mir in allen Gliedern rebellierten! Halb sinnlos sprang ich ihnen auf dem Fuß nach. Ich hätte den Schneider erwürgen können; aber ein gebietender Blick von Aennchen hielt mich zurück. Inzwischen macht' ich ihr nachwerts bitt're Vorwürf' drüber, und eine ganze Litaney von räudigen Schneidern und Schneidereigenschaften. Dacht' halt: Verloren ist verloren! – Aber Anne blieb mir nichts schuldig, wie ihr's leicht denken könnt.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 132-136.
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