34. Abschied vom Vaterland

[147] Gute Nacht, Welt! Ich geh ins Tyrol. So hieß es bey mir. Denn, einstheils wenigstens, war ich lauter Freude; meynte der Himmel hange voll Geigen und Hackbrettlin, und hätt' ich Siegel und Brief in der Fiecke, mein Glück sey schon gemacht. Anderstheils aber giengs mir freylich entsetzlich nahe – nicht eben das Vaterland, aber das Land zu meiden wo mein Liebstes wohnte. Ach! könnt' ich mein Aennchen nur mitnehmen, dacht' ich wohl hunderttausendmal. Aber dann[147] wieder: Fünf, höchstens sechs Jahr' sind doch auch bald vorbey. Und wie wird's dann mein Schätzgen freuen, wenn ich mit Ehr' und Gut beladen, wie ein Herr nach Haus kehren – oder es zu mir in ein Gelobt Land abholen kann.

Also, auf den 27. Herbstmonath, Samstag Abends, ward's abgeredt, den Weg in Gottes Namen unter die Füsse zu nehmen. »Wir wollen bey Nacht und Nebel fort«, sagte Laurenz; »es giebt sonst ein gar zu wunderfitzig Gelüg; und an einem Werktag hab' ich nicht Zeit. Mach dich also reisfertig. Einen guten Rock, damit ist's gethan«. Samstag Morgens macht' ich also alles zurecht. Nun giengs an den Abschied. Mutter und Schwestern vergossen häufige Thränen, und fiengen schon um Mittag an, mir tausendmal: Gott behüt', Gott geleit' dich! zu sagen. Mein Vater aber, ebenfalls voll Wehmuth, gab mir, nebst etlichen Batzen, folgendes auf den Weg: »Uli«! sprach er zu mir, »du gehst fort, Uli! Ich weiß nicht wohin, und du weißt's eben so wenig. Aber Laurenz ist ein gereister Mann, und ich trau' ihm die Redlichkeit zu, er werd' irgendwo ein gutes Nest kennen, wo er dich absetzen kann. Du von deiner Seite halt dich nur redlich und brav, so wird's, will's Gott! nicht übel fehlen. Itzt bist du noch wie ein ungebacknes Brödtlin: Gieb Achtung, und laß dich weisen; du bist gelehrig. Uebrigens weist' du, Ich hab' dir das Ding nie mit keinem Wort weder gerathen noch mißrathen. Es war Laurenzens Einfall, und dein Wille; denen fügt' ich mich, und zwar noch mit ziemlich schwerem Herzen. Denn, am End konnt' ich[148] dir noch wie bisher Brodt geben, wenn du dich weiter willig zu saurer und nicht saurer Arbeit, wie sie kommt, bequemt hättest. Aber darum werd' ich mich nicht minder freuen, wenn du itzt Speis', und Lohn dazu, auf eine leichtere Art verdienen, oder gar dein Glück machen kannst. Was mir am meisten Mühe macht, Uli! ist deine Jugend und dein Leichtsinn. Und doch, glaub' mir's, du gehst in eine verführerische Welt hinaus, wo's Hallunken und Schurken genug giebt, die auf die Unschuld solcher Buben lauern. Ich bitt' dich, trau doch keinem Gesicht, bis du's kennst; und laß dich zu nichts bereden, was dich nicht recht dünkt. Bete fleißig, wie Daniel zu Babel; und vergiß nie, daß, wenn ich dich schon nicht mehr sehe und höre, dein beßrer Vater im Himmel in alle Winkel der Welt sieht und hört, was du denkest und thust. Du weist ja die Bibel, das heißt Gottes Wort, inn- und auswendig. Sinn' ihm nach, und vergiß es nie, wie wohl's den frommen Leuten, die Gott liebten, gegangen ist. Denk! Ein Abraham, Joseph, David. Und wie hingegen jenen nichtsnutzen gottlosen Buben, wie unglücklich sie worden sind. Um deiner Seelen willen, Uli! um deiner zeitlichen und ewigen Wohlfarth willen, vergiß deines Gottes nicht. Wo der Himmel über dir steht, ist er stets bey dir. Ich kann weiter nichts als dich seinem allmächtigen Schutz anbefehlen; und das will ich thun, unabläßig« – – So giengs noch eine kurze Weile fort. Mein Herz ward weich wie Wachs. Vor Schluchzen konnt' ich nichts sagen, als: »Ja, Vater, ja«! und in meinem Innwendigen hallt' es wieder: »Ja, Vater, ja«! Endlich, nach[149] einer kurzen Stille, sprach er: »Nun, in Gottes Namen, geh«! und ich: »Ja, ich will gehen«! und: »Liebe, liebe Mutter! thu doch nicht so; es wird mir nicht gänzlich fehlen. Behüt' Euch Gott! lieber Vater, liebe Mutter! Behüt' Euch Gott alle, liebe Geschwisterte! Folgt doch dem Vater und der Mutter! Ich will ihren guten Ermahnungen auch folgen in der weit'sten weiten Ferne«. Dann gab mir jedes die Hand. Die Zähren rollten ihnen über die feuerrothen Backen. Ich mußte fast ersticken. Drauf gab mir die Mutter den Reisbündel, und gieng dann beyseite. Mein Vater geleitete mich noch ein Stück Wegs. Es war schon Abenddämmerung. In der Schomatten begegnete mir Caspar Müller. Der gab mir ein artiges Reisgeldlin, und Gottes Geleit auf die Strasse.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 147-150.
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