35. Ist noch vom Schätzle

[150] Nun flog' ich noch zu meinem Aennchen hin, welcher ich erst ein Paar Nächte vorher mein Vorhaben entdeckt hatte. Sie ward darüber gewaltig verdrüßlich, wollt' sich's aber Anfangs nicht merken lassen. »Meinethalben« sagte sie mit ihrem unnachahmlichen Bitterlächeln, kannst gehen – hab' gemeint – – »Wer nur so liebt, mag sich packen wo er will«, »Ach! Liebchen«, sprach ich, »du weist wahrlich nicht, wie Weh's mir thut; aber du siehst wohl, mit Ehren könnten wir's so nicht mehr lang aushalten. Und ans[150] Heurathen darf ich itzt nur nicht denken. Bin noch zu jung; du bist noch jünger, und beyde haben keines Kreutzers werth. Unsre Eltern vermöchten uns nur nicht, ein Nestlin zu schaffen; wir gäben ein ausgemachtes Bettelvölklin. Und wer weiß, das Glück ist kugelrund. Einmal ich lebe der guten Hoffnung« – –»Nun, wenn's so ist, was liegt mir dran«? fiel Aennchen ein. »Aber, gelt! du kommst noch e'nmal zu mir eh' du gehst«? »Ja freylich, warum nicht«? versetzt ich: »Das hätt' ich sonst gethan«! Itzt gieng ich, wie gesagt, wirklich, meinem Herzgen das letzte Lebewohl zu sagen. Sie stuhnd an der Thür – sah mein Reispäckgen, hüllte ihr hold gesenktes Köpfgen in ihre Schürze, und schluchzte ohne ein Wort zu sagen. Das Herz brach mir schier. Es machte mich wirklich schon wankend in meinem Vorhaben, bis ich mich wieder ein wenig erholt hatte. Da dacht' ich: In Gottes Namen! es muß dann doch seyn, so weh' es thut. Sie führt mich in ihr Kämmerlin, setzt sich aufs Bett, zieht mich wild an ihren Busen, und – Ach! ich muß einen Vorhang über diese Scene ziehn, so rein sie übrigens war, und so honigsüß mir noch Heute ihre Vergegenwärtigung ist. Wer nie geliebt, kann's und soll's nicht wissen – und wer geliebt hat, kann sich's vorstellen. Gnug, wir liessen nicht ab, bis wir beyde matt von Drücken – geschwollen von Küssen – naß von Thränen waren, und die andächtige Nonne in der Nachbarschaft Mitternacht läutete. Dann riß ich mich endlich los aus Aennchens weichen, holden Armen. »Muß es dann seyn«? sagte sie: »Ist auf Himmel und Erde[151] nichts dafür? – Nein! Ich laß' dich nicht – geh mit dir so weit der Himmel blau ist. Nein, in Ewigkeit laß' ich dich nicht, mein Alles, Alles auf der Welt«! Und ich: »Sey doch ruhig, liebes, liebes Herzgen! Denk einmal ein wenig hinaus – was für Freude, wenn wir uns wiedersehen – und ich glücklich bin«! Und sie: »Ach! Ach! dann laßst du mich sitzen«! Und ich: »Ha! in alle Ewigkeit nicht – und sollt' ich der größte Herr werden, und bey Tausenden gewinnen – in alle Ewigkeit laß ich dich nicht aus meinem Herzen. Und wenn ich fünf, sechs, zehn Jahre wandern müßte, werd ich dir immer immer getreu seyn. Ich schwör dir's«! (wir waren itzt auf der Strasse nach dem Dorf, wo Laurenz mich erwartete, fest umschlungen, und gaben uns Kuß und Kuß) »Der blaue Himmel da ob uns mit allen seinen funkelnden Sternen, diese stille Mitternacht – diese Strasse da sollen Zeugen seyn«! Und sie: »Ja! Ja! Hier meine Hand und mein Herz – fühl' hier meinen klopfenden Busen – Himmel und Erde seyn Zeugen, daß du mein bist, daß ich dein bin; daß ich, dir unveränderlich getreu, still und einsam deiner harren will, und wenn's zehn und zwanzig Jahre dauern – und wenn unsre Haare drüber grau werden sollten; daß mich kein männlicher Finger berühren, mein Herz immer bey dir seyn, mein Mund dich im Schlaf küssen soll, bis« – – Hier erstickten ihr die Thränen alle Worte. Endlich kamen wir zu Laurenzens Haus; Ich klopfte an. Wir setzten uns vor's Haus auf's Bänkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten seiner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder aufs neue an; die[152] Scheue vor einem lebendigen Zeugen gab uns selber den Muth, uns besser zu fassen. Wir waren beyde so beredt wie Landvögte. Aber freylich übertraf mich mein Schätzgen in der Redekunst, in Liebkosungen und Schwüren, noch himmelweit. Bald gieng's ein wenig Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht weiter lassen: »Genug ist genug, ihr Bürschlin«! sagte er:

»Uchel! so kämen wir ewig nicht fort. – Ihr klebt da aneinander, wie Harz. – Was hilft itzt das Brieggen? – Mädel es ist Zeit mit dir ins Dorf zurück: Es giebt noch der Knaben mehr als genug«! Endlich (freylich währt' es lange genug) mußt' ich Aennchen noch selber bitten, umzukehren: »Es muß – es muß doch seyn«! Dann noch einen eineinzigen Kuß – aber einen wie's in meinem Leben der erste und der letzte war – und ein Paar Dutzend Händedrück', und: Leb, lebwohl! Vergiß mein nicht! – Nein gewiß nicht – nie – in Ewigkeit nicht! – Wir giengen; sie stand still, verhüllte ihr Gesicht, und weinte überlaut – ich nicht viel minder. So weit wir uns noch sehen konnten, schweyten wir die Schnupftücher, und warfen einander Küsse zu. Itzt war's vorbey: Wir kamen ihr aus dem Gesicht. – O wie's mir da zu Muthe war! – Laurenz wollte mir Muth einsprechen, und fieng eine ganze Predigt an: Wie's in der Fremde auch schöne Engel gebe, gegen welche mein Aennchen nur ein Rotznäschen sey, u.d. gl. Ich ward böse auf ihn, sagte aber kein Wort dazu, gieng immer staunend hinter ihm her, sah wehmüthig ans Siebengestirn hinauf – zwey kleine Sternen gegen Mittag sah' ich, wie mir's deuchte, so nahe beysammen,[153] als wenn sie sich küssen wollten, und der ganze Himmel schien mir voll liebender Wehmuth zu seyn. So gieng's denn fort, ohne meinerseits zu wissen wohin, und ohne den mindesten Gedanken an Gutes oder Böses, das mir etwa bevorstehen könnte. Laurenz plauderte beständig; ich hörte wenig, und betete in meinem Innwendigen fast unaufhörlich: Gott behüte meine liebe Anne! Gott segne meine lieben Eltern. Gegen Tages Anbruch kamen wir nach Herisau. Ich seufzte noch immer meinem Schätzgen nach: Aennchen, Aennchen, liebstes Aennchen! – und nun (vielleicht für lange das letztemal) schreib' ich's noch mit grossen Buchstaben: AENNCHEN.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 150-154.
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