36. Es geht langsam weiters

[154] Es war ein Sonntag. Wir kehrten beym Hecht ein, und blieben da den ganzen Tag über. Alles gaffte mich an, als wenn sie nie einen jungen Tockenburger – oder Appenzeller gesehen hätten, der in die Fremde gieng – und doch nicht wußte wohin, und noch viel minder recht warum. An allen Tischen hört' ich da viel von Wohlleben und lustigen Tagen reden. Man setzte uns wacker zu Trinken vor. Ich war des Weins nicht gewohnt, und darum bald aufgeräumt, und recht guter Dingen.

Wir machten uns erst bey anbrechender Nacht wieder auf den Weg. Ein fuchsrother Herisauer, und,[154] wie Laurenz, ein Müller, war unser Gefährte. Es gieng auf Gossau und Flohweil zu. An letzterm Orte kamen wir bey einem Schopf vorbey, wo etliche Mädel beym Licht Flachs schwungen: »Laßt mich e'nmal«, sagt ich, »ich muß die Dinger sehn, ob keine meinem Schatz gleiche«? Damit setzt' ich mich unter sie hin, und spaßte ein wenig mit ihnen. Aber eben, da war wenig zu vergleichen. Indessen musterten mich meine Führer fort; sagten, ich werde derley Zeug noch genug bekommen, und machten allerley schmutzige Anmerkungen, daß ich roth bis über die Ohren ward. Dann kamen wir auf Rickenbach, Frauenfeld, Nünforn. Hier überfiel mich mit Eins eine entsetzliche Mattigkeit. Es war (des Marschierens und Trinkens nicht e'nmal zu gedenken) das erstemal in meinem Leben, daß ich zwo Nächte nach einander nicht geschlafen hatte. Allein die Kerls wollten nichts vom Rasten hören, preßirten gewaltig auf Schaffhausen zu, und gaben mir endlich, da ich schwur: Ich könnte nun einmal keinen Schritt weiter! ein Pferd. Das gefiel mir nicht unfein. Unterwegs gieng's an ein Predigen, wie ich mich in Schaffhausen verhalten, hübsch grad strecken, frisch antworten sollte, u.d.gl. Dann flismeten sie zwey mit einander (doch mit Fleiß so, daß ich's hören mußte) von galanten Herren, die sie kennten, deren Diener es so gut hätten, als die Größten im Tockenburg. »Sonderlich« sagte Laurenz, »kenn' ich einen Deutschländer der sich dort incognito aufhält, gar ein vornehmer Herr von Adel, der allerley Bediente braucht, wo's der geringste besser hat als ein Landammann«. »Ach«![155] sagt' ich, »wenn ich nur nicht zu ungeschickt wäre, mit solchen Herren zu reden«! – – »Nur gradzu geredt, wie's kömmt« sagten sie; »so habens dergleichen vornehme Leuth' am liebsten«.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 154-156.
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