37. Ein nagelneues Quartier

[156] Wir kamen noch bey guter Zeit in Schaffhausen an, und kehrten beym Schiff ein. Als ich vom Pferd eher fiel als stieg, war ich halb lahm, und stuhnd da wie ein Hosendämpfer. Da gieng's von Seite meiner Führer an ein Mustern, das mich bald wild machte, da ich nicht begreifen konnte, was endlich draus werden sollte. Als wir die Stiege hinaufkamen, hiessen sie mich ein wenig auf der Laube warten, traten in die Stube, und riefen mich dann nach wenigen Minuten auch hinein. Da sah ich einen grossen hübschen Mann der mich freundlich anlächelte. Sofort hieß man mich die Schuh' ausziehn, stellte mich an eine Saul unter ein Maaß, und betrachtete mich vom Kopf bis zun Füssen. Dann redten sie etwas Heimliches mit einander; und hier stieg mir armen Bürschgen der erste Verdacht auf, die zwey Kerls möchtens nicht am Beßten mit mir meynen; und dieser Argwohn verstärkte sich, als ich deutlich die Worte vernahm: »Hier wird nichts draus, wir müssen also weiter gehn«. »Heut setz' ich keinen Fuß mehr aus diesem Haus«, sagt' ich zu mir selber; »ich hab' noch Geld«! Meine Führer giengen hinaus.[156] Ich saß am Tische. Der Herr spatzierte das Zimmer auf und ab, und guckte mich unterweilen an. Neben mir schnarchte ein grosser Bengel auf der Bank, der wahrscheinlich im Rausch in die Hosen geschwitzt, daß es kaum zu erleiden war. Als der Herr während der Zeit einmal aus der Stube gieng, nahm ich die Gelegenheit wahr, die Wirthsjungfer zu fragen: Wer denn wohl dieser Bursche seyn möchte: »Ein Lumpenkerl«, sagte sie: »Erst Heute hat ihn der Herr zum Bedienten angenommen, und schon sauft sich der H. blindstern voll, und macht e'n Gestank, Puh«! – »Ha«! sagt' ich, eben als der Herr wieder hereintrat, »so ein Bedienter könnt' ich auch werden«. Dieß hört' er, wandte sich gegen mir, und sprach: »Hätt'st du zu so was Lust«? »Nachdem es ist«, antwortet' ich. »Alle Tag 9. Batzen«, fuhr er fort, »und Kleider, so viel du nöthig hast«. »Und was dafür thun«? versetzt' ich. Er. Mich bedienen. Ich. Ja! wenn ich's könnte. Er. Will dich's schon lehren. Pursch du gefällst mir. Wir wollen's vierzehn Tag probiren. Ich. Es bleibt dabey. – Damit war der Markt richtig. Ich mußt' ihm meinen Namen sagen. Er ließ mir Essen und Trinken vorsetzen, und that allerley gutmüthige Fragen an mich. Unterdessen waren meine Gefärthen (wie ich nachwerts erfuhr) zu ein Paar andern preussischen Werboffizieren gegangen (es befanden sich damals 5. dergleichen auf einmal in Schaffhausen) und machten bey ihrer Zurückkonft grosse Augen, als sie mich so drauf loszechen sahen. »Was ist das«? sagte Laurenz: »Geschwind, komm! Itzt haben wir dir einen Herrn gefunden«. – »Ich hab'[157] schon einen«, antwortet ich. Und Er: »Wie, was? Ohne Umständ« – – und wollten schon Gewalt brauchen. »Das geht nicht an, ihr Leute«! sagte mein Herr: »Der Bursch' soll bey mir bleiben«! »Das soll er nicht«, versetzte Laurenz: »Er ist uns von seinen Eltern anvertraut«. »Lyrum! Larum«! erwiederte der Herr: »Er hat nun einmal zu mir gedungen, und damit auf und Holla«! Nach einem ziemlich heftigen Wortwechsel giengen sie miteinander in ein Nebencabinet, wo Laurenz und der Herisauer, wie ich im Verfolg hörte, sich mit 3. Dukaten abspeisen liessen, von denen eine meinem Vater werden sollte – – der er aber nie ansichtig ward. Damit brachen sie ganz zornig auf, ohne nur mit einem Wort von mir Abschied zu nehmen. Anfangs sollen sie bis auf zwanzig Louisd'or für mich gefordert haben.

Den folgenden Tag ließ mein Herr einen Schneider kommen, und mir das Maaß von einer Montirung nehmen. Alle andern Beythaten folgten in Kurzem. Da stand ich nun gestiefelt und gespornt, nagelfunkelneu vom Scheitel bis an die Sohlen: Ein hübscher bordirter Hut, samtene Halsbinde, ein grüner Frack, weiß tücherne Weste und Hosen, neue Stiefel, nebst zwey Paar Schuhen; alles so nett angepaßt – – Sackerlot! Da bildet' ich mir kein kaltes Kraut ein. Und mein Herr reitzte mich noch dazu, nur ein wenig stolz zu thun: »Ollrich«! sagte er: »Wenn du die Stadt auf und ab gehst, mußt du hübsch gravitätisch marschieren – – den Kopf recht in die Höhe, den Hut ein wenig aufs eine Ohr«. Mit eigner Hand gürtete er mir einen Ballast[158] an die Seite. Als ich so das erstemal über die Strasse gieng, war's mir, als ob ganz Schaffhausen mein wäre. Auch rückte alles den Hut vor mir. Die Leuth' im Haus begegneten mir wie einem Herrn. Wir hatten in unserm Gasthof hübsch meublirte Zimmer, und ich selber ein ganz artiges. Ich sah aus meinem Fenster alle Stunden des Tags das frohe Gewimmel der durch's Schiffthor aus- und eingehnden Menschen, Pferdten, Wagen, Kutschen und Chaisen; und, was mir nicht wenig schmeichelte – man sah und bemerkte auch mich. Mein Herr, der mir bald so gut war als ob ich sein eigener Sohn wäre, lehrte mich frisiren; frisierte mich Anfangs selbst, und flocht mir einen tüchtigen Haarzopf. Ich hatte nichts zu thun, als ihn bey Tisch zu serviren, seine Kleider auszuklopfen, mit ihm spatzieren zu fahren, auf die Vögeljagd zu gehn, u.d.gl. Ha! Das war ein Leben für mich. Die meiste Zeit durft' ich vollends allein wandeln, wohin es mir beliebte. Alle Tag gieng ich bald durch alle Gassen in dem hübschen Schaffhausen; denn aussert Lichtensteig hatt ich bisher noch keine Stadt gesehn, und kein grösser Wasser als die Thur. Ich spatzierte also bald alle Abend am den Rhein hinaus, und konnte mich an diesem mächtigen Fluß kaum satt sehn. Als ich den Sturz bey Laufen das erstemal sah und hörte, ward mir's braun und blau vor den Augen. Ich hatte mir's, wie so viele, ganz anders, aber so furchtbar majestätisch nie eingebildet. Was ich mir da für ein klein winziges Ding schien! Nach einem stundenlangen Anstaunen kehrt' ich ordentlich wie beschämt nach Haus. Bisweilen gieng's[159] auf den Bonenberg, der schönen Aussicht wegen. An der Lände half ich den Schiffleuthen, und fuhr bald selbst mit Plaisir hin und her.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 156-160.
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