40. O die Mütter, die Mutter

[164] Markoni machte bald hernach eine Reise auf Rothweil am Neckar, zwölf Stunden von Schaffhausen entlegen. Ich mußte mit, und zwar in der Chaise. In meinem Leben war ich in keinem solchen Ding gesessen. Der Kutscher sprengte die Stadt hinauf bis ans Schwaben-Thor, daß es donnerte. Ich meinte alle Augenblick',[164] es müsse umschlagen, und wollt' mich an allen Wänden halten. Markoni lachte sich die Haut voll: »Du fällst nicht, Ollrich! Nur hübsch gerade«! Ich war's bald gewohnt, und das Fuhrwerk, so wie überhaupt diese ganze Tour, machte mir viel Vergnügen. Indessen begegnete mir während der Zeit ein fataler Streich. Meine Mutter war wenige Tage nach unsrer Abreise gen Schaffhausen gekommen, und mußte, da ihr der Wirth nicht sagen konnte, wenn wir zurückkämen, noch welchen Weg wir genommen, wieder nach Haus kehren, ohne ihr liebes Kind gesehen zu haben. Sie hatte mir mein N. Testament und etliche Hembder gebracht, und dem Wirth befohlen mir's nachzuschicken, falls ich nicht wieder auf Schaffhausen käme. O die gute Mutter! Es war eine kleine Busse für ihren Unglauben; sie wollte dem Vater nicht trauen, daß er mich angetroffen, sondern mit eignen Augen sehen, und erst dann glauben. Ganz trostlos, und unter tausend Thränen soll sie wieder von Schaffhausen heimgegangen seyn. Dieß schrieb mir, auf ihr Ansuchen, bald darauf, Herr Schulmeister Am Bühl zu Wattweil, mit dem Beyfügen: Sie lasse mir, da sie keine Hoffnung habe mich jemals wieder zu sehen, hiemit ihr letztes Lebewohl sagen, und gebe mir den Segen. Es war ein sehr schöner Brief, er rührte mich innig. Unter anderm stand auch darinn: Als das Gerücht in meine Heimath gekommen, ich müsse über Meer, hätten meine jungen Schwesterchen all' ihr armes Gewändlin dahingeben wollen, mich loszukaufen, die Mutter deßgleichen. Damals waren ihrer neun Geschwisterte bey Hause. Man sollte[165] denken, das wären ihrer doch noch genug. Aber eine rechte Mutter will keins verlieren, denn keins ist das andre. Wirklich war sie drey Wochen vorher noch im Kindbeth gelegen, und kaum aufgestanden, als sie meinetwegen auf Schaffhausen kam. O die Mütter, die Mütter!

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 164-166.
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