42. Noch mehr dergleichen Zeug

[171] Mir ist so wohl beym Zurückdenken an diese glücklichen Tage – Heute noch schreib' ich mit so viel innigem Vergnügen davon – bin jetzt noch so wohl zufrieden mit meinem damaligen Ich – so geneigt mich über alles zu rechtfertigen, was ich in diesem Zeitraum that und ließ. Freylich vor dir nicht, Allwissender! aber vor Menschen doch darf ich's sagen: Damals war ich ein guter Bursch' ohne Falsch – vielleicht für die arge Welt nur gar zu redlich. Harmlos und unbekümmert bracht' ich meine Tage hin, Heut' wie Gestern, und Morgens wie Heute. Nur kein Gedanke stieg in mir auf, daß es mir jemals anderst als gut gehen könnte. In allen Briefen schrieb ich meinen Eltern, sie sollten zwar für mich beten, aber nicht für mich sorgen; der Himmel und mein guter Herr sorgten schon für mich. Man glaube mir's oder nicht, der einzige Kummer der mich bisweilen anfocht, war dieser: Es dürft' mir noch zu wohl werden, und dann möcht' ich Gottes vergessen. Aber, nein! (beruhigte ich mich bald wieder) das werd' ich nie: War Er's nicht, der mir, durch Mittel die nur seine Weisheit zum Beßten lenken konnte, zu meinem jetzigen erwünschten Loos half? Mein erster Schritt in die Welt gerieth unter seiner[171] leitenden Fürsorge so gut; warum sollten die folgenden nicht noch besser gelingen? Auf irgend einem Fleck der Erde werd' ich vollends mein Glück bau'n. Dann hohl' ich Aennchen, meine Eltern und Geschwister zu mir, und mache sie des gleichen Wohlstands theilhaft. Aber, durch welche Wege? – Dieß fragt' ich mich nie; und hätt' ich daran gedacht, so wär's mir nicht schwer gewesen, drauf zu antworten – denn damals war mir Alles leicht. Zudem kam mein Herr tagtäglich mit allerley Exempeln von Bauern die zu Herren worden, und andern Fortunaskindern angestochen (der Herren die zu Bettlern werden, that er keine Meldung) und versprach selber, an meinem fernern Fortkommen wie ein treuer Vater zu arbeiten u.d. gl. Was hätt' ich weiter befürchten sollen – oder vielmehr, was nicht alles hoffen dürfen? Von einem Herrn, wie Markoni – einem so grossen Herrn, dacht' ich Esel – dem zweyt- oder drittnächsten vielleicht auf den König, der Länder und Städte, geschweige Gelds zu vergeben hat, so viel er will. Aus seiner jetzigen Güte zu schliessen, was wird er erst für mich in der Zukonft thun? Oder warum sollt' er auf mich groben ungeschliffenen Flegel jetzt schon so viel wenden, wenn er nicht grosse Dinge mit mir im Sinn hätte? Konnt' er mich nicht, gleich andern Rekruten, geradezu nach Berlin transportiren lassen, wenn er je im Sinn hätte, mich zum Soldaten zu machen, wie mirs ehemals ein Paar böse Mäuler aufbinden wollten? Nein! Das wird in Ewigkeit nicht geschehn, darauf will ich leben und sterben. So dacht' ich, wenn ich vor lauter Wohlbehagen[172] je Zeit zu denken hatte. Gesund war ich wie ein Fisch. Die Tracktament konnt' ich nach meinem Geschmack wählen, und Mariane ließ mir's per se an guten Bissen nie fehlen. Tanz und Jagd beföderten die Dauung; denn ohne das hätt's mir freylich an Bewegung gefehlt. Markoni besuchte, bald hie bald da, alle Edelleuth' in der Runde. Ich mußte überall mit; und es that mir freylich in der Seele wohl, wenn ich sah, wie er ordentlich Hoffarth mit mir trieb. Sonst waren solche Ausritte zu diesen meist armen Schmalzgrafen seinem Geldbeutel eben wenig nutz. Dann kostete ihn das Tarocspiel mit Pfaffen und Layen auch schöne Batzen. Einst mußt' ich darum die Karten vor seinen Augen in kleine Stück zerreissen, und dem Vulkan zum Opfer bringen – aber Morgens drauf ihm schon wieder neue hohlen. Ein andermal hatt' er auch eine ziemliche Summ' verloren, und kam Abends um neun Uhr, mit einem tüchtigen Räuschgen ganz verdrüßlich nach Haus. »Ollrich«! sagte er, »geh, schaff mir Spielleuth', es koste was es will«. »Ja Ihr Gnaden«! antwortet' ich, »wenn ich dergleichen wüßte; und dann ist's schon so späth, und stockfinster«, »Fort Racker«! fuhr er fort, »oder« – und machte ein fürchterlich wildes Gesicht. Ich mußte mich packen, stolperte nun im Dunkeln durch alle Strassen, und spitzte die Ohren, ob ich nirgends keine Geige höre? Als ich endlich zu oberst im Städtgen an die Mühler- und Beckenherberg kam, merkt' ich, daß es da etwas Herumspringens absetzen wollte; schliech mich hinauf, und ließ einen Spielmann hinausrufen. Die Bursch' in[173] der Stube schmeckten den Braten; ein Paar von ihnen kamen ihm auf dem Fuß nach – und Husch! mit Fäusten über mich her. Dem Wirth hatt' ich's zu danken, daß sie mich nicht fast zutodgeschlagen. Der Apollossohn hatte mir zwar ins Ohr geraunt: Sie wollten bald aufwarten. Jetzt aber zweifelt' ich, ob er mir Wort halten könnte? Dennoch war ich Tropfs genug, sobald ich nach Haus kam, mit den Worten in's Zimmer zu treten: »Ihr Gnaden! innert einer Viertelstund' werden sie da seyn«! – Die Furcht vor neuen Prügeln, eh' noch die alten versaust hätten, verführten mich zu diesem Wagestück. Aber nun stand ich vollends Höllenangst aus, bis ich wußte, ob ich nicht aus Uebel Aerger gemacht? Mittlerweile erzählt' ich Markoni, was ich seinetwegen gelitten – um per Avanzo sein Mitleid rege zu machen, wenn der Guß fehlen sollte. Die tausendslieben Leuthe kamen, eh' wir's uns versahen. Unser Wirth hatte inzwischen etliche lustige Brüder und ein Paar Jungfern rufen lassen. Jetzt kommandirte Markoni Essen und Trinken, was Küche und Keller vermochten, warf den Musikanten zum voraus einen Dukaten hin, und tanzte einen Menuet und einen Pohlnischen. Bald aber fieng er auf seinem Stuhl an zu schnarchen; dann erwacht' er wieder, und rief: »Ollrich! mir ist's so hundsf**«! – Ich mußt' ihn also zu Bett' bringen. Im Augenblick schlief er ein wie ein Stock. Das war uns übrigen recht gekocht. Wir machten uns lustig wie die Vögel im Hanfe – alles so durcheinander, Herren und Dienstboten. Es währte bis Morgens um vier Uhr. Mein Herr erwachte um Fünfe:[174] Seine ersten Worte waren: »Ollrich! Sein Tage trau' er keinem Menschen nicht; 's ist alles falsch wie'n Teufel. Wenn der Cujon von R*** kömmt, so sag' er, ich sey nicht zu Hause«.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 171-175.
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