45. 's giebt ander Wetter!

[181] Es war den 8. Aprill da wir zu Berlin einmarschierten, und ich vergebens nach meinem Herrn fragte, der doch, wie ich nachwerts erfuhr, schon acht Tage vor uns dort angelangt war – als Labrot (denn die andern[181] verloren sich nach und nach von mir, ohne daß ich wußte wo sie hinkamen) mich in die Krausenstrasse in Friedrichsstadt transportirte, mir ein Quartier anwies, und mich dann kurz mit den Worten verließ: »Da, Mußier! bleib' Er, bis auf fernere Ordre«! Der Henker! dacht' ich, was soll das? Ist ja nicht einmal ein Wirthshaus. Wie ich so staunte, kam ein Soldat, Christian Zittemann, und nahm mich mit sich auf seine Stube, wo sich schon zwey andre Martissöhne befanden. Nun gieng's an ein Wundern und Ausfragen: Wer ich sey, woher ich komme, u.d. gl. Noch konnt' ich ihre Sprache nicht recht verstehen. Ich antwortete kurz: Ich komme aus der Schweitz, und sey Sr. Excellenz, des Herrn Lieutenant Markonis, Laquai: Die Sergeanten hätten mich hieher gewiesen; ich möchte aber lieber wissen, ob mein Herr schon in Berlin angekommen sey, und wo er wohne. Hier fiengen die Kerls ein Gelächter an, daß ich hätte wainen mögen; und keiner wollte das geringste von einer solchen Excellenz wissen. Mittlerweile trug man eine stockdicke Erbsekost auf. Ich aß mit wenigem Appetit davon. Wir waren kaum fertig, als ein alter hagerer Kerl ins Zimmer trat, dem ich doch bald ansah, daß er mehr als Gemeiner seyn müsse. Es war ein Feldweibel. Er hatte eine Soldatenmontur auf dem Arm, die er über den Tisch ausspreitete, ein Sechsgroschenstück dazu legte, und sagte: »Das ist vor dich, mein Sohn! Gleich werd' ich dir noch ein Commißbrodt bringen«. »Was? vor mich«, versetzt ich: »Von wem, wozu«? »Ey! Deine Montirung und Traktament, Bursche! Was gilt's da Fragens? Bist ja ein[182] Recrute«. »Wie, was? Rekrute«? erwiedert' ich: »Behüte Gott! da ist mir nie kein Sinn daran kommen. Nein! in meinem Leben nicht. Markonis Bedienter bin ich. So hab' ich gedungen, und anderst nicht. Da wird mir kein Mensch anders sagen können«! »Und ich sag' dir, du bist Soldat, Kerl! Ich steh' dir dafür. Da hilft itzt alles nichts«. Ich. Ach! wenn nur mein Herr Markoni da wäre. Er. Den wirst du sobald nicht zu sehen kriegen. Wirst doch lieber wollen unsers Königs Diener seyn, als seines Lieutenants. – Damit gieng er weg. »Um Gottes willen, Herr Zittemann«! fuhr ich fort: »Was soll das werden«? »Nichts, Herr«! antwortete dieser, »als daß Er, wie ich und die andern Herren da, Soldat, und wir folglich alle Brüder sind; und daß Ihm alles Widersetzen nichts hilft, als daß man Ihn auf Wasser und Brodt nach der Hauptwache führt, kreutzweis schließt, und Ihn fuchtelt daß ihm die Rippen krachen, bis Er content ist«! Ich. Das wär' beym Sacker! unverschämt, gottlos! Er. Glaub' Er mir's auf mein Wort, anderst ist's nicht, und geht's nicht, Ich. So will ich's dem Herr König klagen. – Hier lachten alle hoch auf. – Er. Da kömmt Er sein Tage nicht hin. Ich. Oder, wo muß ich mich sonst denn melden? Er. Bey unserm Major, wenn Er will. Aber das ist alles alles umsonst. Ich. Nun so will ich's doch probieren, ob's – ob's so gelte? – Die Bursche lachten wieder; ich aber entschloß mich wirklich, Morgens zum Major zu gehn, und meinem treulosen Herrn nachzufragen.

Sobald also der Tag an Himmel brach, ließ ich mir dessen Quartier zeigen. Potz Most! das dünkte mich[183] ein königlicher Pallast – und der Major der König selbst zu seyn, so majestätisch kam er mir vor; ein gewaltig grosser Mann, mit einem Heldengesicht und ein Paar feurigen Augen wie Sternen. Ich zitterte vor ihm, stotterte: »Herr ... Major! Ich bin .... Herrn Lieutenant Markonis Be ... Bedienter. Fü ... fü ... für das bi ... bi ... bin ich angewo ... worben, und sonst wei ... weiters für ni ... ni ... nichts. Si ... Si ... Sie können ihn selbst fra ... gen. I ... Ich weiß nicht wo er i ... i ... ist. Itzt sagen's da, ich müsse So ... o ... oldat sey ... ey ... eyn, ich wolle o ... der wolle nicht«. – »So«! unterbrach er mich: »So ist er das saubre Bürschgen! Sein feiner Herr, der hat uns gewirthschaftet, daß es eine Lust ist; und Er wird wohl auch Seinen Theil gezogen haben. Und kurz, itzt soll Er dem König dienen; da ist's aus und vorbey«. – Ich. Aber, Herr Major' – Er. Kein Wort, Kerl! oder die Schwernoth! Ich. Aber ich hab' ja weder Kapitulation noch Handgeld! Au! Könnt' ich doch mit meinem Herrn reden! – Er. Den wird Er sobald nicht zu sehen kriegen; und Handgeld hat Er mehr gekost't als zehn andre. Sein Lieutenant hat eine saubere Rechnung, und Er steht darin oben an. Eine Kapitulation hingegen, die soll Er haben. – Ich. Aber – – Er. Fort, Er ist ja ein Zwerg, daß – – Ich. Ich bi ... bi ... bitte. – – Er. Canaille! scheer' Er sich zum Teufel. – Damit zog er die Fuchtel – Ich zum Haus hinaus wie ein Dieb, und nach meinem Quartier hin, das ich vor Angst und Noth kaum finden konnte. Da klagt' ich Zittemann mein Elend in den allerhöchsten Tönen. Der gute Mann sprach mir Muth[184] ein: »Geduld, mein Sohn! Noch wird schon alles besser gehn. Itzt' mußt' dich leiden; viel hundert brave Bursche aus guten Häusern müssen das gleiche thun. Denn, gesetzt auch, Markoni könnte und wollte dich behalten, so müßt' er dich doch unter sein Regiment abgeben, so bald es hieß': Ins Feld, Marsch! Aber wirklich einstweilig würd' er kaum einen Bedienten zu nähren im Stand seyn, da er auf der Werbung ungeheure Summen verzehrt, und dafür so wenig Kerls eingschickt haben soll, wie ich unsern Oberst und Major schon oft drüber lamentiren gehört; und wird man ihn gewiß nicht mehr so geschwind zu derley Geschäften brauchen«. So tröstete mich Zittemann; und ich mußt's wohl annehmen, da mir kein besserer Trost übrig blieb. Nur dacht' ich dabey: Die Grössern richten solche Suppen an, und die Kleinern müssen sie aufessen.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 181-185.
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