46. So bin ich denn wirklich Soldat?

[185] Des Nachmittags brachte mir der Feldweibel mein Commisbrodt, nebst Unter- und Uebergewehr, u.s.f. und fragte: Ob ich mich nun eines Bessern bedacht? »Warum nicht«? antwortete Zittemann für mich: »Er ist der beßte Bursch' von der Welt«. Itzt führte man mich in die Montirungskammer, und paßte mir Hosen, Schuh' und Stiefeletten an; gab mir einen Hut, Halsbinde, Strümpfe u.s.f. Dann mußt' ich mit noch etwa[185] zwanzig andern Recrutten zum Herrn Oberst Latorf. Man führte uns in ein Gemach, so groß wie eine Kirche, brachte etliche zerlöcherte Fahnen herbey, und befahl jedem einen Zipfel anzufassen. Ein Adjutant, oder wer er war, las' und einen ganzen Sack voll Kriegsartikel her, und sprach uns einige Worte vor, welche die mehrern nachmurmelten; Ich regte mein Maul nicht – dachte dafür was ich gern wollte – ich glaube an Aennchen; schwung dann die Fahne über unsre Köpfe, und entließ uns. Hierauf gieng ich in eine Garküche, und ließ mir ein Mittagessen, nebst einem Krug Bier, geben. Dafür mußt' ich 2. Groschen zahlen. Nun blieben mir von jenen sechsen noch viere übrig; mit diesen sollt' ich auf vier Tage wirthschaften – und sie reichten doch blos für zweene hin. Bey dieser Ueberrechnung fieng ich gegen meine Kameraden schrecklich zu lamentiren an. Allein Cran, einer derselben, sagte mir mit Lachen: »Es wird dich schon lehren. Itzt thut es nichts; hast ja noch allerley zu verkaufen! Per Exempel deine ganze Dienermontur. Dann bist du gar itzt doppelt armirt; das läßt sich alles versilbern. Dann kriegen solch junge Bursche oft noch eine Tracktaments-Zulage, und kannst dich deswegen nur beym Obrist melden«. »Oh oh! Da geh' ich mein Tage nicht mehr hin«, sagt' ich. »Potz Velten«! antwortete Cran: »Du mußt 'mal des Donnerns gewohnt werden, sey's itzt ein wenig früher oder späther. Und dann des Menage wegen, nur fein aufmerksam zugesehn, wie's die andern machen. Da heben's drey, vier bis fünf mit einander an; kaufen Dinkel, Erbsen, Erdbirrn u.d. gl. und kochen selbst. Des Morgens um e'n[186] Dreyer Fusel und e'n Stück Commisbrodt: Mittags hohlen sie in der Garküche um e'n andern Dreyer Suppe, und nehmen wieder e'n Stück Commis: Des Abends um zwey Pfenning Kovent oder Dünnbier, und abermals Commis.« »Aber, das ist beym Strehl ein verdammtes Leben«, versetzt ich; und Er: Ja! So kommt man aus, und anderst nicht. Ein Soldat muß das lernen; denn es braucht noch viel andre Waar: Kreide, Puder, Schuhwar, Oehl, Schmiergel, Seife, und was der hundert Siebensachen mehr sind. – Ich. Und das muß einer alles aus den 6. Groschen bezahlen? Er. Ja! und noch viel mehr; wie z.B. den Lohn für die Wasche, für das Gewehrputzen u.s.f. wenn er solche Dinge nicht selber kann. – Damit giengen wir in unser Quartier; und ich machte alles zurecht, so gut ich konnte und mochte.

Die erste Woche indessen hatt' ich noch Vacanz; gieng in der Stadt herum auf alle Exercierplätze; sah, wie die Offiziere ihre Soldaten musterten und prügelten, daß mir schon zum voraus der Angstschweiß von der Stirne troff. Ich bat daher Zittemann, mir bey Haus die Handgriffe zu zeigen. »Die wirst du wohl lernen«! sagte er: »Aber auf die Geschwindigkeit kömmt's an.« »Da geht's dir wie e'n Blitz«! Indessen war er so gut, mir wirklich alles zu weisen; wie ich das Gewehr rein halten, die Montur anpressen, mich auf Soldatenmanier frisieren sollte, u.s.f. Nach Crans Rath verkaufte ich meine Stiefel und kaufte dafür ein hölzernes Kästgen für meine Wäsche. Im Quartier übte ich mich stets im Exercieren, las' im Hallischen Gesangbuch, oder betete. Dann spatziert' ich etwa an die Spree, und[187] sah' da hundert Soldatenhände sich mit Aus- und Einladen der Kaufmannswaaren beschäftigen: Oder auf die Zimmerplätze; da steckte wieder alles voll arbeitender Kriegsmänner. Ein andermal in die Casernen u.s.f. Da fand' ich überall auch dergleichen, die hunderterley Handthierungen trieben – von Kunstwerken an bis zum Spinnrocken. Kam ich auf die Hauptwache, so gab's da deren die spielten, soffen und haselierten; andre welche ruhig ihr Pfeigen schmauchten und discurirten; etwa auch einer der in einem erbaulichen Buch las', und's den andern erklärte. In den Garküchen und Bierbrauereyen gieng's eben so her. Kurz in Berlin hat's unter dem Militair – wie, denk' ich freylich, in grossen Staaten überall – Leuthe aus allen vier Welttheilen, von allen Nationen und Religionen, von allen Characktern, und von jedem Berufe, womit einer noch nebenzu sein Stücklein Brodt gewinnen kann. Das dachte auch ich zu verdienen – wenn ich nur erst recht exerciren könnte – Etwa an der Spree? – Doch nein! da lermt's gar zu stark – Aber z.E. auf einem Zimmerplatz, da ich mich so ziemlich auf die Art verstuhnd. So war ich wieder fix und fertig, neue Plane zu machen, ungeachtet ich mit meinem erstern so schändlich gescheitert hatte. Giebt's doch hier (damit schläferte ich mich immer ein) selbst unter den gemeinen Soldaten ganze Leuthe, die ihre hübschen Kapitalien haben, Wirthschaft, Kaufmannschaft treiben, u.s.f. Aber dann erwog ich nicht, daß man vor Zeiten ganz andere Handgelder gekriegt als heut zu Tag; daß dergleichen Bursche bisweilen ein Namhaftes mochten erheurathet[188] haben, u.d. gl. Besonders aber, daß sie ganz gewiß mit dem Schilling gut hausgehalten, und nur darum den Gulden gewinnen konnten – Ich hingegen weder mit dem Schilling noch mit dem Gulden umzugehen wisse. – Und endlich, wenn alles fehlen sollte, fand' ich auch da noch einen elenden Trost in dem Gedanken: Geht's einmal zu Felde, so schont das Bley jenen Glückskindern so wenig, als dir armen Hudler! – Also – bist du so gut wie sie.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 185-189.
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