49. Nun geht's bald weiters

[198] In diesen Umständen flogen Schärer und ich zusammen wo wir konnten; klagten, überlegten, beschlossen, verwarfen. Schärer zeigte mehr Standhaftigkeit als ich, hatte aber auch mehr Sold. Ich gab jetzt, wie so viele andre, den letzten Dreyer um Genevre, meinen Kummer zu vertreiben. Ein Mecklenburger, der nahe bey mir im Quartier, und mit mir in gleichen Umständen war, machte es eben so. Aber wenn der seinen Brand im Kopf hatte, setzte er sich in der Abenddämmerung vor's Haus hin, fluchte und haselirte da mutterseels allein; schimpfte auf seine Offiziere, und sogar auf den König, wünschte Berlin und allen Brandenburgern tausend[198] Millionen Schwernoth auf den Hals, und fand (wie der arme Teufel, so oft er wieder nüchtern ward, behauptete) in diesem unvernünftigen Rasen seinen einzigen Trost im Unglück. Wolfram und Meewis warnten ihn oft; denn sonst war er noch vor Kurzem ein recht guter umgänglicher Bursche: »Kerl«! sagten sie dann zu ihm, »gewiß wirst du noch ins Tollhaus wandern«. Dieses war nicht weit von uns. Oft sah' ich dort einen Soldat vor dem Gegitter auf einem Bänkgen sitzen, und fragte einst Meevis, wer er wäre? Denn ich hatte ihn nie bey der Compagnie gesehn: »Just so einer, wie der Mecklenburger«, antwortete Meewis; »darum hat man ihn hier versorgt, wo er Anfangs brüllte wie ein ungarscher Stier. Aber seit etlichen Wochen soll er so geschlacht wie ein Lamm seyn«. Diese Beschreibung machte mich lüstern, den Menschen näher kennen zu lernen. Er war ein Anspacher. Anfangs gieng ich nur so wie verstohlen bey ihm hin und wieder, sah mit wehmüthigem Vergnügen, wie er seinen Blick bald zum Himmel gerichtet, bald auf den Boden geheftet, melancholisch da saß, bisweilen aber ganz vor sich sanft lächelte, und übrigens meiner nicht zu achten schien. Schon aus der Physiognomie war mir ein solcher Erdensohn in seiner Lage recht heilig. Endlich wagt' ich es, mich zu ihm hinzusetzen. Er sah mich starr und ernst an, und schwatzte zuerst lange meist unverständiges Zeug, das ich doch gerne hörte, weil mitunter immer etwas höchst vernünftiges zum Vorschein kam. Was ihm am meisten Mühe zu machen schien, war, so viel ich merken mochte, daß er von[199] gutem Haus, und nur durch Verdruß in diese Umstände gekommen seyn mußte, jetzt aber von Nachreu und Heimweh' erbärmlich litt. Nun entdeckt' ich ihm so durch Umwege auch meine Gemüthsstimmung, hauptsächlich in der Absicht, zu horchen was er allenfalls zu meiner Entweichung sagen würde; denn der Mann schien mir ordentlich einen Geist der Weissagung zu haben: »Brüderchen«! sprach er, aus Veranlassung eines solchen Diskurses, einst zu mir: »Brüderchen, halt du still! Deine Schuld ist's sicher, daß du leidest, und was du leidest also gewiß mehr oder minder wohl verdiente Züchtigung. Durch Zappeln machst du's wahrlich nur ärger. Es wird schon noch anders, und immer anders kommen. Der König allein ist König; seine Generals, Obersten, Majoren sind selber seine Bedienten – und wir, ach! wir – so hingeworfene verkaufte Hunde – zum Abschmieren im Frieden, zum Todstechen und Todschiessen im Krieg bestimmt. Aber all' eins, Brüderchen! Vielleicht kömmst du nahe an eine Thüre; geht sie dir auf – so thu' was du willst. Aber halt still, Brüderchen! – nur nichts erfrettet oder erzwungen – sonst ist's mit einmal aus«! Dergleichen, und noch viel anderes Aehnliches sagte er öfters zu mir. Aller Welt Priester und Leviten hätten mir nicht so gut predigen, und mich zugleich so gut trösten können wie er.

Indessen murmelte es immer stärker vom Kriege. In Berlin kamen von Zeit zu Zeit neue Regimenter an; wir Rekrutten wurden auch unter eins gesteckt. Da gieng's nun alle Tag vor die Thore zum Manövriren;[200] links und rechts avanziren, attaquiren, retiriren, ploutons und divisionsweise schargiren, und was der Gott Mars sonst alles lehrte. Endlich gedieh es zur Generalrevüe; und da gieng's zu und her, daß dieß ganze Büchelgen nicht klecken würde, das Ding zu beschreiben; und wenn ich's wollte, so könnt ich's nicht. Erstlich wegen der schweren Menge aller Arten Kriegsgrümpel, die ich hier grossentheils zum erstenmal sah. Zweytens hatt' ich immer Kopf und Ohren so voll von dem entsetzlichen Lerm der knallenden Büchsen, der Trommeln und Feldmusick, des Rufens der Commandeurs u.s.f. daß ich oft hätte bersten mögen. Drittens war mir das Exercitz seit einiger Zeit so widerlich geworden, daß ich nur nicht mehr bemerken mochte, was all die Corps zu Fuß und zu Pferde für Millionszeug machten. Freylich kam mich hernach manchmal grosser Reuen an, daß ich diese Dinge nicht besser in Obacht genommen: Denn allen meinen Freunden, und allen Leuthen hier zu Lande wünscht' ich, daß sie solches nur einen Tag sehen möchten; es würde ihnen zu hundert und aber hundert vernünftigen Betrachtungen Anlaß geben. Also nur dieß Wenige. Da waren unübersehbare Felder mit Kriegsleuthen bedeckt; viele tausend Zuschauer an allen Ecken und Enden. Hier stehen zwey grosse Armeen in künstlicher Schlachtordnung; schon brüllt von den Flanken das grobe Geschütz auf einander los. Sie avanziren, kommen zum Feuer, und machen ein so entsetzliches Donnern, daß man seinen nächsten Nachbar nicht hören und vor Rauch nicht mehr sehen kann:[201] Dort versuchen etliche Bataillons ein Heckenfeuer; hier fallen's einander in die Flanke, da blokiren sie Batterien, dort formiren sie ein doppeltes Kreutz. Hier marschieren sie über eine Schiffbrücke, dort hauen Kürassiers und Dragoner ein, und sprengten etliche Schwadrons Husaren von allen Farben auf einander los, daß Staubwolken über Roß und Mann emporwallen. Hier überrumpeln's ein Lager; die Avantgarde, unter deren ich zu manövriren die Ehre hatte, bricht Zelten ab, und flieht. – Doch noch einmal: Ich müßte ein Narr seyn, wenn ich glaubte, hier eine Preußische Generalrevüe beschrieben zu haben. Ich hoffe also, man nimmt mit diesem Wenigen vorlieb – oder, vielmehr, verzeiht's mir, um der Freude willen, mein Gewäsch nicht länger anzuhören.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 198-202.
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