50. Behüte Gott Berlin! – Wir sehen einander nicht mehr

[202] Endlich kam der erwünschte Zeitpunkt, wo es hieß: Allons, ins Feld! Schon im Heumonath marschierten etliche Regimenter von Berlin ab, und kamen hinwieder andre aus Preussen und Pommern an. Jetzt mußten sich alle Beurlaubten stellen, und in der grossen Stadt wimmelte alles von Soldaten. Dennoch wußte noch niemand eigentlich, wohin alle diese Bewegungen zielten. Ich horchte wie ein Schwein am Gatter. Einiche sagten, wenn's ins Feld gehe, könnten wir neue Rekrutten[202] doch nicht mit, sondern würden unter ein Garnisonsregiment gesteckt. Das hätte mir himmelangst gemacht; aber ich glaubte es nicht. Indessen bot ich allen meinen Leibs- und Seelenkräften auf, mich bey allen Manövers als einen fertigen dapfern Soldaten zu zeigen (denn einige bey der Compagnie, die älter waren als ich, mußten wirklich zurückbleiben). Und nun den 21. Aug. erst Abends späth, kam die gewünschte Ordre, uns auf Morgen marschfertig zu halten. Potz Wetter! wie gieng es da her mit Putzen und Packen! Einmal wenn's mir auch an Geld nicht gebrochen, hätt' ich nicht mehr Zeit gehabt, einem Becker zwey geborgte Brodte zu bezahlen. Auch hieß es, in diesem Fall dürfte kein Gläubiger mehr ans Mahnen denken: Doch ich ließ mein Wäschkistgen zurück; und wenn es der Becker nicht abgefodert hat, hab ich heutigen Tages noch einen Creditor in Berlin – auch etliche Debitoren für ein Paar Batzen – und geht's ungefehr so wettauf. – Denn 22. Aug. Morgens um 3. Uhr ward Allarm geschlagen; und mit Anbruch des Tages stuhnd unser Regiment (Isenblitz, ein herrlicher Name! Sonst nannten's die Soldaten im Scherz auch Donner und Blitz, wegen unsers Obristen gewaltiger Schärfe) in der Krausenstrasse schon Parade. Jede seiner zwölf Compagnien war 150. Mann stark. Die in Berlin nächst um uns einquartierte Regimenter, deren ich mich erinnere, waren Vokat, Winterfeld, Meyring, und Kalstein; dann vier Prinzenregimenter: Prinz von Preussen, Prinz Ferdinand, Prinz Carl, und Prinz von Würtenberg, die alle theils vor, theils nach uns[203] abmarschierten, nachwerts aber im Feld meist wieder zu uns gestossen sind. Itzt wurde Marsch geschlagen; Thränen von Bürgern, Soldatenweibern, H ... u.d. gl. flossen zu Haufen. Auch die Kriegsleuthe selber, die Landskinder nämlich, welche Weiber und Kinder zurückliessen, waren ganz niedergeschlagen, voll Wehmuth und Kummers; die Fremden hingegen jauchzten heimlich vor Freuden, und riefen: Endlich Gottlob ist unsre Erlösung da! Jeder war bebündelt wie ein Esel, erst mit einem Degengurt umschnallt; dann die Patrontasche über die Schulter mit einem fünf Zoll langen Riemen; über die andre Achsel den Dornister, mit Wäsche u.s.f. bepackt; item der Habersack, mit Brodt und andrer Fourage gestopft. Hiernächst mußte jeder noch ein Stück Feldgeräth tragen; Flasche, Kessel, Hacken, oder so was; alles an Riemen; dann erst noch eine Flinte, auch an einem solchen. So waren wir alle fünfmal übereinander kreutzweis über die Brust geschlossen, daß anfangs jeder glaubte, unter solcher Last ersticken zu müssen. Dazu kam die enge gepreßte Montur, und eine solche Hundstagshitze, daß mir's manchmal däuchte, ich geh' auf glühenden Kohlen, und wenn ich meiner Brust ein wenig Luft machte, ein Dampf herauskam wie von einem siedenden Kessel. Oft hatt' ich keinen trockenen Faden mehr am Leib, und verschmachtete bald vor Durst.[204]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 202-205.
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