52. Muth und Unmuth

[207] Bis hieher hat der Herr geholfen! Diese Worte waren der erste Text unsers Feldpredigers bey Pirna. O ja! dacht' ich: Das hat er, und wird ferner helfen – und zwar hoffentlich mir in mein Vaterland – denn was gehen mich eure Kriege an?

Mittlerweile gieng's – wie's bey einer marschierenden Armee zu gehen pflegt – bunt übereck und kraus, daß ich alles zu beschreiben nicht im Stand, auch solches, wie ich denke, zu wenig Dingen nütz wäre. Unser Major Lüderiz (denn die Offiziere gaben auf jeden Kerl besonders Achtung) mag mir oft meinen Unmuth aus dem Gesicht gelesen haben. Dann drohete er mir mit dem Finger: »Nimm dich in Acht, Kerl«! Schärern hingegen klopfte er bey den nämlichen Anlässen auf die Schulter, und nannte ihn mit lächelnder Mine einen braven Bursch; denn der war immer lustig und wohlgemuths, und sang bald seine Mäurerlieder, bald den Kühreih'n, obschon er im Herzen dachte wie ich, aber es besser verbergen konnte. Ein andermal freylich faßt' ich dann wieder Muth, und dachte: Gott wird alles wohl machen! Wenn ich vollends Markoni – der doch keine geringe Schuld an meinem Unglück war – auf dem Marsch oder im Lager erblickte, war's mir immer, ich sehe meinen Vater oder meinen beßten Freund; wenn er mir zumal vom Pferd herunter seine Hand bot, die meinige traulich schüttelte –[207] mir mit liebreicher Wehmuth gleichsam in die Seele 'nein guckte: »Wie geht's, Ollrich! wie geht's? 's wird schon besser kommen«! zu mir sagte, und, ohne meine Antwort zu erwarten, dieselbe aus meinem thränenschimmernden Aug' lesen wollte. O! ich wünsche dem Mann, wo er immer todt oder lebendig seyn mag, noch auf den heutigen Tag alles Gute; denn von Pirna weg ist er mir nie mehr zu Gesicht gekommen. – Mittlerweile hatten wir alle Morgen die gemessene Ordre erhalten, scharf zu laden; dieses veranlaßte unter den ältern Soldaten immer ein Gerede: »Heute giebt's was! Heut setzt's gewiß was ab«! Dann schwitzten wir Jungen freylich an allen Fingern, wenn wir irgend bey einem Gebüsch oder Gehölz' vorbeymarschierten, und uns verfaßt halten mußten. Da spitzte jeder stillschweigend die Ohren, erwartete einen feurigen Hagel und seinen Tod, und sah, so bald man wieder ins Freye kam, sich rechts und links um, wie er am schicklichsten entwischen konnte; denn wir hatten immer feindliche Küraßiers, Dragoner und Soldaten zu beyden Seiten. Als wir einst die halbe Nacht durch marschierten, versuchte Bachmann den Reißaus zu nehmen, und irrte etliche Stunden im Wald herum; aber am Morgen war er wieder hart bey uns, und kam noch eben recht mit der Ausflucht weg: Er habe beym Hosenkehren in der Dunkelheit sich von uns verloren. Von da an sahen wir andern die Schwierigkeit, wegzukommen, alle Tag' deutlicher ein – und doch hatten wir fest im Sinn, keine Bataille abzuwarten, es koste auch was es wolle.[208]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 207-209.
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