53. Das Lager zu Pirna

[209] Eine umständliche Beschreibung unsers Lagers zwischen Königstein und Pirna sowohl als des gerade vor uns überliegenden Sächsischen bey Lilienstein wird man von mir nicht erwarten. Die kann man in der Helden-Staats- und Lebensgeschichte des Grossen Friedrichs suchen. Ich schreibe nur, was ich gesehen, was allernächst um mich her vor- und besonders was mich selbst angieng. Von den wichtigsten Dingen wußten wir gemeine Hungerschlucker am allerwenigsten, und kümmerten uns auch nicht viel darum. Mein und so vieler andrer ganzer Sinn war vollends allein auf: Fort, fort! Heim, ins Vaterland! gerichtet.

Von 11–22. Sept. sassen wir in unserm Lager ganz stille; und wer gern Soldat war, dem mußt' es damals recht wohl seyn. Denn da gieng's vollkommen wie in einer Stadt zu. Da gab's Marquetenter und Feldschlächter zu Haufen. Den ganzen Tag, ganze lange Gassen durch, nichts als Sieden und Braten. Da konnte jeder haben was er wollte, oder vielmehr was er zu bezahlen vermochte: Fleisch, Butter, Käs, Brodt, aller Gattung Baum- und Erdfrüchte, u.s.f. Die Wachten ausgenommen, mochte jeder machen was ihm beliebte: Kegeln, Spielen, in und ausser dem Lager spatzieren gehn, u.s.f. Nur wenige hockten müssig in ihren Zelten: Der eine beschäftigte sich mit Gewehrputzen, der andre mit Waschen; der dritte kochte, der vierte[209] flickte Hosen, der fünfte Schuhe, der sechste schnifelte was von Holz und verkauft' es den Bauern. Jedes Zelt hatte seine 6. Mann und einen Uebercompleten. Unter diesen sieben war immer einer gefreyt; dieser mußte gute Mannszucht halten. Von den sechs übrigen gieng einer auf die Wache, einer mußte kochen, einer Proviant herbeyholen, einer gieng nach Holz, einer nach Stroh, und einer machte den Seckelmeister, alle zusammen aber Eine Haushaltung, Ein Tisch und Ein Beth aus. Auf den Märschen stopfte jeder in seinen Habersack, was er – versteht sich in Feindes Land – erhaschen konnte: Mähl, Rüben, Erdbirrn, Hühner, Enten, u.d. gl. und wer nichts aufzutreiben vermochte, ward von den übrigen ausgeschimpft, wie denn mir das zum öftern begegnete. Was das vor ein Mordiogeschrey gab, wenn's durch ein Dorf gieng, von Weibern, Kindern, Gänsen, Spanferkeln u.s.f. Da mußte alles mit was sich tragen ließ. Husch! den Hals umgedreht und eingepackt. Da brach man in alle Ställ' und Gärten ein, prügelte auf alle Bäume los, und riß die Aeste mit den Früchten ab. Der Hände sind viel, hieß es da; was einer nicht kann, mag der ander. Da durfte keine Seel' Mux machen, wenn's nur der Offizier erlaubte, oder auch bloß halb erlaubte. Da that jeder sein Devoir zum Ueberfluß. Wir drey Schweitzer, Schärer, Bachmann und ich (es gab unsrer Landsleuthe beym Regiment noch mehr, wir kannten sie aber nicht) kamen zwar keiner zum andern ins Zelt, auch nie zusammen auf die Wache. Hingegen spazierten wir oft miteinander ausser das Lager bis auf die Vorposten, besonders auf[210] einen gewissen Bühel, wo wir eine weite zierliche Aussicht über das Sächsische und unser ganzes Lager, und durchs Thal hinab bis auf Dresden hatten. Da hielten wir unsern Kriegsrath: Was wir machen, wo hinaus, welchen Weg wir nehmen, wo wir uns wieder treffen sollten? Aber zur Hauptsache, zum hinaus fanden wir alle Löcher verstopft. Zudem wären Schärer und ich lieber einmal an einer schönen Nacht allein, ohne Bachmann davon geschlichen; denn wir trauten ihm nie ganz, und sahen dabey alle Tag' die Husaren Deserteurs einbringen, hörten Spißruthenmarsch schlagen, und was es solcher Aufmunterungen mehr gab. Und doch sahen wir alle Stunden einem Treffen entgegen.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 209-211.
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