54. Einnahme des Sächsischen Lagers u.s.f.

[211] Endlich den 22. Sept. ward Allarm geschlagen, und erhielten wir Ordre aufzubrechen. Augenblicklich war alles in Bewegung; in etlichen Minuten ein stundenweites Lager – wie die allergrößte Stadt – zerstört, aufgepackt, und Allons, Marsch! Itzt zogen wir ins Thal hinab, schlugen bey Pirna eine Schiffbrücke, und formierten oberhalb dem Städchen, dem Sächsischen Lager en Front, eine Gasse, wie zum Spißruthenlaufen, deren eines End bis zum Pirnaer-Thor gieng, und durch welche nun die ganze Sächsische Armee zu vieren hoch spatzieren, vorher aber das Gewehr ablegen, und – man kann sich's einbilden – die ganze lange Strasse[211] durch Schimpf- und Stichelreden genug anhören mußten. Einiche giengen traurig, mit gesenktem Gesicht daher, andre trotzig und wild, und noch andre mit einem Lächeln, das den Preußischen Spottvögeln gern' nichts schuldig bleiben wollte. Weiter wußten ich, und so viele Tausend andre, nichts von den Umständen der eigentlichen Uebergabe dieses grossen Heers. – An dem nämlichen Tage marschierten wir noch ein Stück Wegs fort, und schlugen jetzt unser Lager bey Liljenstein auf. – Den 23. mußte unser Regiment die Proviantwagen decken. – Den 24. machten wir einen Contremarsch, und kamen bey Nacht und Nebel an Ort und Stelle hin, daß der Henker nicht wußte wo wir waren. – Den 25. früh gieng's schon wieder fort, 4. Meilen bis Außig. Hier schlugen wir ein Lager, blieben da bis auf den 29. und mußten alle Tag auf Fourage aus. Bey diesen Anlässen wurden wir oft von den Kaiserlichen Panduren attaquirt, oder es kam sonst aus einem Gebüsch ein Karabinerhagel auf uns los, so daß mancher todt auf der Stelle blieb, und noch mehrere blessiert wurden. Wenn dann aber unsre Artilleristen nur etliche Kanonen gegen das Gebüsch richteten, so flog der Feind über Kopf und Hals davon. Dieser Plunder hat mich nie erschreckt; ich wäre sein bald gewohnt worden, und dacht' ich oft: Poh! wenn's nur denweg hergeht, ist's so übel nicht. – Den 30. marschierten wir wieder den ganzen Tag, und kamen erst des Nachts auf einem Berg an, den ich und meinesgleichen abermals so wenig kannten, als ein Blinder. Inzwischen bekamen wir Ordre, hier kein Gezelt aufzuschlagen,[212] auch kein Gewehr niederzulegen, sondern immer mit scharfer Ladung parat zu stehn, weil der Feind in der Nähe sey. Endlich sahen und hörten wir mit anbrechendem Tag unten im Thal gewaltig blitzen und feuern. – In dieser bangen Nacht desertirten viele; neben andern auch Bruder Bachmann. Für mich wollt' es sich noch nicht schicken, so wohl's mir sonst behagt hätte.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 211-213.
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