56. Das heißt – wo nicht mit Ehren gefochten – doch glücklich entronnen

[218] Ich schlich also zuerst mit langsamem Marsch ein wenig auf diese linke Seite, die Reben durch. Noch eilten etliche Preussen bey mir vorbey: »Komm', komm', Bruder«! sagten sie: »Viktoria«! Ich rispostirte kein Wort, that nur ein wenig blessirt, und gieng immer noch allgemach fort, freylich mit Furcht und Zittern. Sobald ich mich indessen so weit entfernt hatte, daß mich niemand mehr sehen mochte, verdoppelte- verdrey- vier- fünf- sechsfachte ich meine Schritte, blickte rechts und links wie ein Jäger, sah noch von Weitem – zum letzten Mal in meinem Leben – morden und todtschlagen; strich dann in vollem Galopp ein Gehölze vorbey, das voll todter Husaren, Panduren und Pferde lag; rannte Eines Rennens gerade dem Fluß nach herunter, und stand jetzt an einem Tobel. Jenseits desselben kamen so eben auch etliche Kaiserliche Soldaten angestochen, die sich gleichfalls aus der Schlacht weggestohlen hatten, und schlugen, als sie mich so daherlaufen sahen, zum drittenmal auf mich[218] an, ungeachtet ich immer das Gewehr streckte, und ihnen mit dem Hut den gewohnten Wink gab. Doch brannten sie niemals los. Ich faßte also den Entschluß, gerad' auf sie zuzulaufen. Hätt' ich einen andern Weg genommen, würden sie, wie ich nachwerts erfuhr, unfehlbar auf mich gefeuert haben. Ihr H ... dacht' ich, hättet ihr euer Courage bey Lowositz gezeigt! Als ich nun zu ihnen kam, und mich als Deserteur angab, nahmen sie mir das Gewehr ab, unterm Versprechen, mir's nachwerts schon wieder zuzustellen. Aber der, welcher sich dessen impatronirt hatte, verlor sich bald darauf, und nahm das Füsil mit sich. Nun so sey's! Alsdann führten sie mich ins nächste Dorf, Scheniseck (es mochte eine starke Stunde unter Lowositz seyn). Hier war eine Fahrt über das Wasser, aber ein einziger Kahn zum Transporte. Da gab's ein Zettermordiogeschrey von Männern, Weibern und Kindern. Jedes wollte zuerst in dem Teich seyn, aus Furcht vor den Preussen; denn alles glaubte sie schon auf der Haube zu haben. Auch ich war keiner von den letzten, der mitten unter eine Schaar von Weibern hineinsprang. Wo nicht der Fährmann etliche derselben hinausgeworfen, hätten wir alle ersaufen müssen. Jenseits des Flusses stand eine Panduren-Hauptwache. Meine Begleiter führten mich auf dieselbe zu, und diese rothen Schnurrbärte begegneten mir auf's manierlichste; gaben mir, ungeachtet ich sie und sie mich kein Wort verstuhnden, noch Toback und Branntwein, und Geleit bis auf Leutmeritz, glaub' ich, wo ich, unter lauter Stockböhmen übernachtete, und freylich nicht wußte ob ich[219] da mein Haupt sicher zur Ruhe legen konnte – aber – und dieß war das Beßte – von dem Tumult des Tags noch einen so vertaumelten Kopf hatte, daß dieser Kapitalpunkt mir am allermindesten betrug. Morgens darauf (2. Okt.) gieng ich mit einem Transport ins Kaiserliche Hauptlager nach Budin ab. Hier traf ich bey 200. andrer Preußischer Deserteurs an, von denen so zu reden jeder seinen eigenen Weg, und sein Tempo in Obacht genommen hatte; neben andern auch unsern Bachmann. Wie sprangen wir beyde hoch auf vor Entzücken, uns so unerwartet wieder in Freyheit zu sehn! Da gieng's an ein Erzählen und Jubilieren, als wenn wir schon zu Haus hinterm Ofen sässen. Einzig hieß es bisweilen: Ach! wäre nur auch der Schärer von Weil bey uns! Wo mag der doch geblieben seyn? Wir hatten die Erlaubniß, alles im Lager zu besichtigen. Offiziers und Soldaten stuhnden dann bey Haufen um uns her, denen wir mehr erzählen sollten, als uns bekannt war. Etliche indessen wußten Winds genug zu machen, und, ihren dießmaligen Wirthen zu schmeicheln, zur Verkleinerung der Preussen hundert Lügen auszuhecken. Da gab's denn auch unter den Kaiserlichen manchen Erzprahler, und der kleinste Zwerge rühmte sich, wer weiß wie manchen Brandenburger – auf seiner eignen Flucht in die Flucht geschlagen zu haben. Drauf führte man uns zu etwa 50. Mann Gefangener von der Preussischen Cavallerie; ein erbärmlich Specktackel! Da war kaum einer von Wunden oder Beulen lär ausgegangen; etliche über's ganze Gesicht heruntergehauen, andre ins Genick, andre über die Ohren, über die Schultern,[220] die Schenkel u.s.f. Da war alles ein Aechzen und Wehklagen! Wie priesen uns diese armen Wichte selig, einem ähnlichen Schicksal so glücklich entronnen zu seyn; und wie dankten wir selber Gott dafür! Wir mußten im Lager übernachten, und bekamen jeder seinen Duckaten Reisgeld. Dann schickte man uns mit einem Cavallerietransport, es waren unser an die 200., auf ein Böhmisches Dorf, wo wir, nach einem kurzen Schlummer, folgenden Tags auf Prag abgiengen. Dort vertheilten wir uns, und bekamen Pässe, je zu 6. 10. bis 12. hoch welche einen Weg giengen; denn wir waren ein wunderseltsames Gemengsel von Schweitzern, Schwaben, Saxen, Bayern, Tyrolern, Welschen, Franzosen, Polacken und Türken. Einen solchen Paß bekamen unser 6. zusammen bis Regenspurg. In Prag selber war indessen ebenfalls ein Zittern und Beben vor den Preussen, ohne seinesgleichen. Man hatte dort den Ausgang der Schlacht bey Lowositz bereits vernommen, und glaubte nun den Sieger schon vor den Thoren zu sehn. Auch da stuhnden ganze Truppen Soldaten und Bürger um uns her, denen wir sagen sollten, was der Preuß' im Sinn habe? Einige von uns trösteten diese neugierigen Haasen; andre hingegen hatten noch ihre Freude daran, sie dapfer zu schrecken, und sagten ihnen: Der Feind werde späthstens in vier Tagen anlangen, und sey ergrimmt wie der Teufel. Dann schlugen viele die Händ' überm Kopf zusammen; Weiber und Kinder wälzten sich gar heulend im Koth herum.[221]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 218-222.
Lizenz:
Kategorien: