57. Heim! Heim! Nichts als Heim!

[222] Den 5. Okt. traten wir nun unsre wirkliche Heimreise an. Es war schon Abends, als wir von Prag ausmarschierten. Es gieng bald über eine Anhöhe, von welcher wir eine unvergleichliche Aussicht über das ganze schöne königliche Prag hatten. Die liebe Sonne vergüldete seine mit Blech bedeckten zahllosen Thurmspitzen zum Entzücken. Wir stuhnden eine Weile dort still, unter allerhand Gesprächen und mannigfaltigen Empfindungen dieses herrlichen Anblicks zu geniessen. Einige bedauerten den prächtigen Ort, wenn er sollte bombardiert werden; andre hätten mögen dabey seyn, wenigstens währendem Plündern. Ich konnte mich kaum satt sehn; sonst aber war mein einziges Sehnen wieder nach Haus, zu den Meinigen, zum Anneli. Wir kamen noch bis auf Schibrack; den 6. bis Pilsen. Dort hatte der Wirth eine Tochter, das schönste Mädchen, das ich in meinem Leben gesehn. Mein Herr Bachmann wollte mit ihr hübsch thun, und fast einzig ihr zu lieb hielten wir da Rasttag. Aber der Wirth verdeutete ihm: Sein Kind sey keine Berlinerin! Den 8. bis 12. gieng's über Stab, Lensch, Kätz, Kien u.s.f. auf Regenspurg, wo wir zum zweytenmal rasteten. Bisher hatten wir nur kurze Tagreisen von zwey bis drey Meilen gemacht, aber desto längere Zechen. Mein Dukaten Reisgeld war schon dünn wie ein Laub worden, sonst hatt' ich keinen Heller in der Fiecke, und[222] ward also genöthigt auf den Dörfern zu fechten. Da bekam ich oft beyde Taschen voll Brodt, aber nie keinen Heller baar. Bachmann hingegen hatte noch von seinem Handgeld übrig, gieng in die Schenke, und ließ sich's wohl schmecken; nur etwa zu vornehmen Häusern, Pfarrhöfen und Klöstern, kam er auch mit. Da mußten wir oft halbe Stunden dastehn, und den Herren alle Hergangenheit erzählen; deß wurde besonders Bachmann meist überdrüßig, sonderlich wo denn für die Geschichte einer ganzen Schlacht, deren er nicht beygewohnt, nur ein Paar Pfenninge flogen. Er gab immer für, daß er bey Lowositz auch dabey gewesen, und ich mußt' ihm diese Lüge noch frisiren helfen; dafür hätt' er mir die ganze Reis' über nur keinen Krug Bier bezahlt. In den Klöstern indessen gab's Suppen, oft auch Fleisch. Zu Regenspurg, oder vielmehr im Bayerschen Hof vertheilten wir uns wieder. Bachmann und ich erhielten dort einen Paß nach der Schweitz. Die andern, ein Bayer, zween Schwaben und ein Franzose, von denen ich nichts weiter zu sagen weiß, als daß sie alle vier rüstige Kerls, und uns Tölpeln weit überlegen waren, nahmen jeder auch seine Strasse. Die unsrige gieng den 14. bis 24. Okt. der kleinern Orte nicht zu gedenken, über Ingolstadt, Donauwerth, Dillingen, Buxheim, Wangen, Hohentwiel, Bregenz, Rheineck, Roschach (40 Meilen). Oberhalb Rheineck begegnete mir bald ein trauriger Spaß. Bisher waren wir unter lauter muntern Gesprächen über unsre glückliche Flucht, über unsre ältern und neuern Schicksale und unsre Aussichten vor die Zukunft,[223] ganz brüderlich gereist. Bachmann, dem, von vorigen Zeiten her, fast alle Tag Hünd' und Hasen wieder in den Sinn stiegen, hatte sich, sobald wir von Prag weg waren, eine Jagdflinte gekauft, die er nun mit sich trug. Ich war seiner ewigen Discurse von Hetzen und Treiben schon längst müde geworden, als wir, wie gesagt, oberhalb Rheineck in den Weinbergen Hunde jagen hörten. Hier machte mein Urian vor Entzücken ordentliche Purzelsprünge, und behauptete, es wären, beym Himmel! seine alten Bekannten; er kenne sie noch am Bellen! Ich lachte ihn aus. Hierüber ward er böse, befahl mir stillzustehn, und der schönen Musick zuzuhorchen. Jetzt spottete ich vollends seiner, und stampfte mit den Füssen. Das hätt' ich freylich sollen bleiben lassen. Er war rasend, stand ganz schäumend mit aufgehaltener Flinte vor mich hin, und setzte sie mir zähnknirschend vor den Kopf, als wenn er mich den Augenblick tödten wollte. Ich erschrack; Er war bewaffnet, ich nicht; und auch dieß und seine Wuth ungerechnet, glaub' ich kaum, daß ich dem ohnehin verzweifelt wilden, handfesten Kerl, der beynahe zwey Zoll höher als ich war, hätte gewachsen seyn können. Doch, ich weiß nicht ob aus Muth oder Furcht, stand ich ihm bockstill, und guckte indessen auf alle Seite herum, ob ich niemand zu Hülf rufen konnte? Aber – es war an einem einsamen Ort, auf einer Allmend – ich sah' kein Mäusgen. »Sey kein Narr«! sagt' ich zu ihm: »Wirst wohl auch Spaß verstehn«. Damit legte sich seine Wuth schon um ein ziemliches. Wir giengen stillschweigend weiters, und ich war froh,[224] als wir so unvermerkt ins Städtgen Rheineck traten. Jetzt flattirte er mich wieder, eines Thalers wegen, den ich auf dem Weg von ihm geborgt hatte; und ich dachte oft, dieß Lumpenstück Geld hab' mir das Leben gerettet. Aber von diesem Augenblick an schwand auch alles Vertrauen unter uns. Doch hab' ich mich nie gerochen, oblgeich's der Anlässen viele gab; und mein Vater zahlte ihm den Thaler willig, als er wenig Tage nach meiner Heimkunft in unser Haus kam. Wir kamen noch bis Roschach, und des folgenden Tags (25. Okt.) auf Herisau; denn mein Herr Bachmann mochte nicht eilen, und ich merkte wohl, daß er sich nicht recht nach Haus getraute, bis er sich erkundigt hätte, wie, seiner vorigen Frevel wegen, der Wind blies.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 222-225.
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