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[225] Länger konnt' ich dem Burschen nicht abpassen; denn so nahe bey meiner Heimath, brannt' ich vor Begierde, dieselbe völlig zu erreichen. Also den 26. Okt. Morgens früh' nahm ich den Weg zum letztenmal unter die Füsse, rannte wie ein Reh über Stock und Stein', und die lebhafte Vorstellung des Wiedersehns von Eltern, Geschwisterten, und meinem Liebchen, gieng mir einstweilig für Essen und Trinken. Als ich nun dergestalt meinem geliebten Wattweil immer näher und näher, und endlich auf die schöne Anhöhe kam, von welcher ich seinen Kirchthurm ganz nahe unter[225] mir erblickte, bewegte sich alles in mir, und grosse Thränen rollten haufenweis über meine Wangen herab. O du erwünschter, gesegneter Ort! so hab' ich dich wieder, und niemand wird mich weiter von dir nehmen, dacht' ich so ihm Heruntertrollen wohl hundertmal; und dankte dabey immer Gottes Vorsehung, die mich aus so vielen Gefahren, wo nicht wunderbar doch höchtsgütig gerettet hat. Auf der Brücke zu Wattweil, redte mich ein alter Bekannter, Gämperle, an, der vor meinem Weggehn um meine Liebesgeschichte gewußt hatte; und dessen erstes Wort war: »Je gelt! deine Anne ist auch verplempert; dein Vetter Michel war so glückselig, und sie hat schon ein Kind«. – Das fuhr mir ja durch Mark und Bein; indessen ließ ich's den argen Unglückboten nicht merken: »Eh' nun« sagt' ich, »hin ist hin«! Und in der That, zu meinem größten Erstaunen faßt' ich mich sehr bald, und dachte wirklich: »Nun freylich, das hätt' ich nicht hinter ihr gesucht! Aber, wenn's so seyn muß, so sey's, und hab' sie eben ihren Michel«! Dann eilt' ich unserm Wohnort zu. Es war ein schöner Herbstabend. Als ich in die Stube trat, (Vater und Mutter waren nicht zu Hause) merkt' ich bald, daß auch nicht eines von meinen Geschwisterten mich erkannte, und sie über dem ungewohnten Specktackel eines Preußischen Soldaten nicht wenig erschracken, der so in seiner vollen Montirung, den Dornister auf dem Rücken, mit 'runter gelaßnem Zottenhut und einem tüchtigen Schnurrbart sie anredte. Die Kleinen zitterten; der größte griff nach einer Heugabel, und – lief davon. Hinwieder wollt'[226] auch ich mich nicht zu erkennen geben, bis meine Eltern da wären. Endlich kam die Mutter. Ich sprach sie um Nachtherberg an. Sie hatte viele Bedenklichkeiten; der Mann sey nicht da, u.d.gl. Länger konnt' ich mich nicht halten, ergriff ihre Hand, und sagte: »Mutter, Mutter! kennst mich nicht mehr«? O da gieng's zuerst an ein lermendes, von Zeit zu Zeit mit Thränen vermengtes Freudengeschrey von Kleinen und Grossen, dann an ein Bewillkommen, Betasten und Begucken, Fragen und Antworten, daß es eine Tausendslust war. Jedes sagte, was es gethan und gerathen, um mich wieder bey ihnen zu haben. So wollte z.E. meine älteste Schwester ihr Sonntagskleid verkaufen, und mich daraus heimholen lassen. Mittlerweile langte auch der Vater an, den man ziemlich aus der Ferne rufen mußte. Dem guten Mann rannten auch Tropfen die Backen herunter: »Ach! Willkomm, willkomm, mein Sohn! Gottlob, daß du gesund da bist, und ich einmal alle meine Zehne wieder beysammen habe. Obschon wir arm sind, giebt's doch alleweil Arbeit und Brodt«. Jetzt brannte mein Herz lichterloh, und fühlte tief die selige Wonne, so viele Menschen auf einmal – und zwar die Meinigen – zu erfreuen. Dann erzählt' ich ihnen noch denselben, und etlich folgende Abende haarklein meine ganze Geschichte. Da war's mir wieder so ungewohnt herzlich wohl! Nach ein Paar Tagen kam Bachmann, holte wie gesagt seinen Thaler, und bestäthigte alle meine Aussagen. Sonntags frühe putzt' ich meine Montur, wie in Berlin zur Kirchenparade. Alle Bekannten bewillkommten mich; die andern[227] gafften mich an wie einen Türken. Auch nicht mehr meine, sondern Vetter Michels Anne that es, und zwar ziemlich frech, ohne zu erröthen. Ich hinwieder dankte ihr hohnlächelnd und trocken. Dennoch besucht' ich sie eine Weile hernach, als sie mir sagen ließ, sie wünschte allein mit mir zu reden: Da machte sie freylich allerley kahle Entschuldigungen: Z.E. Sie hab' mich auf immer verloren geglaubt, der Michel hab' sie übertölpelt, u.d.gl. Dann wollte sie gar meine Kupplerinn abgeben. Aber ich bedankte mich schönstens, und gieng.