59. Und nun, was anfangen

[228] Graben mag ich nicht; doch schäm' ich mich zu betteln. – Nein! vor mein Brodt war ich nie besorgt, und itzt am allerwenigsten. Denn, dacht' ich: Nun bist du wieder an deines Vaters Kost; und arbeiten willst du nun auch wieder lernen. Doch merkt' ich, daß mein Vater meinetwegen ein Bißchen verlegen war, und vielleicht obige Textesworte auf mich anwandte, obschon er nichts davon sagte. In der That war mir auch die schwarze und gefährliche Kunst eines Pulvermacher höchst zuwider; denn dergleichen Spezerey hatt' ich nun genug gerochen. Itzt sollt' ich auch wieder Kleider haben, und der gute Aeti strengte alles an, mir solche zu verschaffen. Den Winter über konnt' ich Holz zügeln, und Baumwollen kämmen. Allein im Frühjahr[228]


1757.


beorderte mich mein Vater zum Salpetersieden; da gab's schmutzige und zum Theil auch strenge Arbeit. Doch blieb mir immer so viel Zeit übrig, meinen Geist wieder in die weite Welt fliegen zu lassen. Da dacht' ich dann: »Warst doch als Soldat nicht so ein Schweinskerl, und hattest bey aller deiner Angst und Noth manch lustiges Tägel«! Ha! wie veränderlich ist das Herz des Menschen. Denn itzt gieng ich wirklich manche Stunde mit mir zu Rath, ob ich nicht aufs neue den Weg unter die Füsse nehmen wollte; stuhnden doch Frankreich, Holland, Piemont, die ganze Welt – ausser Brandenburg, vor mir offen. Mittlerweile wurde mir ein Herrndienst im Johanniterhaus Bubickheim, Zürcher-Gebiets, angetragen. Ich gieng zwar hin mich zu erkundigen. Allein, ich gefiel, oder, was weiß ich, man gefiel mir nicht; und so blieb ich wieder bey meinem Salpeter, war ein armer Tropf, hatte kein Geld, und mochte gleichwohl auch gern mit andern Burschen laichen. Mein Vater gab mir zwar bisweilen, wenn ein Trinktag, oder andrer Ehrenanlaß einfiel, etliche Batzen in den Sack; allein die waren bald über die Hand geblasen. Der ehrliche Kreutztrager hatte eben sonst immer mehr auszugeben als einzunehmen, und Kummer und Sorgen machten ihn lange vor der Zeit grau. Denn, die Wahrheit zu sagen: Keins von allen seinen zehn Kindern wollten ihm recht ans Rad stehn. Jedes sah vor sich, und doch mochte keines was vor sich bringen. Die einten waren zu jung. Von den zwey Brüdern, die nächst auf mich folgten,[229] gab sich der ältere mit Baumwollen-Kämmen ab, und zahlte dem Aeti das Tischgeld; der andere half ihm zwar in der Pulvermühle: Ueberhaupt aber ließ der liebe Mann jedes, so zu sagen, machen was es wollte, ertheilte uns viel guter Lehren und Ermahnungen, und las uns aus gottseligen Büchern allerley vor; aber dabey ließ er's dann bewenden, und brauchte kurz keinen Ernst. Die Mutter mit den Töchtern machte es eben so, und war gar zu gut; so gerade davon, was 's giebt, so giebt's. O! wie wenig Eltern verstehen die rechte Erziehungskunst – und wie unbesonnen ist die Jugend! Wie späth kömmt der Verstand! Bey mir sollte er damals schon längst gekommen, und ich meines Vaters beßte Stütze geworden seyn. Ja! Ja! wenn das sinnliche Vergnügen nicht so anziehend wäre. An guten Vorsätzen fehlte es nie. Aber da hieß es:


Zwar billig' ich nicht mehr das Böse das ich thue

Doch thu' ich nicht das Gute das ich will.


Und so stolpert' ich immer meinem wahren Glück vorbey.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 228-230.
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