60. Heurathsgedanken
(1758.)

[230] Schon im vorigen Jahre gerieth ich bey meinem Herumpatrouilliren hie und da an eine sogenannte Schöne; und es gab deren nicht wenig die mir herzlich gut waren, aber meist ohne Vermögen. Ich nichts, Sie[230] nichts, dacht' ich dann, ist doch auch zu wenig; denn so unbedachtsam war ich doch nicht mehr, wie im zwanzigsten. Auch sprach der Vater immer zu uns: »Buben! seyt doch nicht so wohlfeil. Seht Euch wohl für. Ich will's Euch zwar nicht wehren; aber werft den Bengel nur ein Bißlin hoch, er fällt schon von selbst wieder tief; in diesem Punkt darf sich einer alleweil was rechtes einbilden«. Nun, das war schön und gut; aber es muß einer denn doch durch wo's ihm geschaufelt ist. Gleichwohl dacht' ich etwas zu erhaschen, und glaubte mich eigentlich zum Ehestand bestimmt, sonst wär' ich um diese Zeit sicher in die weite Welt gegangen. Inzwischen war, aller meiner obenbelobten Bedächtlichkeit ungeachtet, der Geitz wirklich nicht meine Sache. Ein Mädchen, ganz nach meinem Herzen, hätt' ich nackend genommen. Aber da leuchtete mir eben keine vollkommen recht ein, wie weiland mein Aennchen. Mit einem gewissen Lisgen von K. war ich ein Paarmal auf dem Sprung. Erst machte das Ding Bedenklichkeiten; nachwerts bot es sich selber an. Aber meine Neigung zu ihr war zu schwach; und doch glaub' ich nicht, daß ich unglücklich mit ihr gefahren wäre. Aber zu stockig, ist zu stockig. Bald darauf kam ich fast ohne mein Wissen und Willen mit der Tochter einer catholischen Witwe in einen Handel, welcher ziemliches Aufsehen machte, obschon ich nur ein Paarmal mit ihr spaziren gegangen, ein Glas Wein mit ihr getrunken, u.d. gl. alles ohne sonderliche Absicht, und vornehmlich ohne sonderliche Liebe. Aber da blies man meinem Vater ein, ich wolle catholisch, und[231] Marianchens Mutter, sie wolle reformirt werden; und doch hatte keins von uns nur nicht an den Glauben, geschweige an eine Aenderung desselben gedacht. Das arme Ding kam wirklich darüber in eine Art geheimer Inquisition von Geist- und Weltlichen; erzählte mir dann alles haarklein, und ihr ward himmelangst. Ich hingegen lachte im Herzen des dummen Lerms; um so viel mehr da mein Vater solider zu Werk gieng, mich zwar freundernstlich examinierte, aber mir dann auch auf mein Wort glaubte, da ich ihm sagte, daß ich so steif und fest auf meinem Bekenntniß leben und sterben wollte als Lutherus, oder unsre Landskraft, Zwinglin. Inzwischen wurde die Sach doch auf Marianchens Seite ernsthafter als ich glaubte. Das gute Kind ward so vernarrt in mich wie ein Kätzgen, und befeuchtete mich oft mit seinen Thränen. Ich glaube, daß Närrchen wär' mit mir ans End der Welt gelaufen; und wenn ihm schon sein mütterlicher Glaube sehr ans Herz gewachsen war, meint' ich doch fast, ich hätt' in der Waagschal' überwogen. Auch setzte mir itzt das Mitleid fast mehr zu, als je zuvor die Liebe. Und doch mußt' ich, wenn ich alles und alles überdachte, durchaus allmählich abbrechen; und that es wirklich. Hier falle eine mitleidige Thräne auf das Grab dieses armen Töchtergens! Es zehrte sich nach und nach ab, und starb nach wenig Monathen im Frühling seines zarten Lebens. Gott verzeihe mir meine grosse schwere Sünde, wenn ich je an diesem Tod einige Schuld trug. Und wie sollt' ich mir dieß verbergen wollen?[232]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 230-233.
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