75. Dießmal vier Jahre
(1778–1781.)

[283] Diesen Brief, mein Sohn! den ich in jener angstvollen Nacht schrieb, gedacht' ich gleich Morgens darauf an seine Behörde zu senden; allein bey mehrmaligem Lesen und Ueberlesen desselben, wollt' er mir nie recht, und immer minder gefallen; als ich zumal mittlerweil' erfuhr, wie der theure Menschenfreund Lavater von Kollektanten, Betlern und Betlerbriefen so bestürmt werde, daß ich auch den blossen Schein, die Zahl dieser Unverschämten zu mehren, vermeiden wollte. Also – unterdrückt' ich mein Geschreibsel, und nahm von dieser Stund' an meine Zuflucht einzig zu Gott, als meinem mächtigsten Freund und sichersten Erretter, klagte demselben meine Noth, befahl ihm alle meine Sachen, und betete innbrünstig – nicht um ein Wunder zum meinem Beßten, sondern um Gelassenheit, alles abzuwarten wie es kommen möchte. Freylich[283] wandelten auch im Verfolge mich noch öftre Anfälle von meinem eingewurzelten Kummerfieber an; aber dann eräugnete sich auch wieder manches, das meine Hoffnung stärkte. Ich wandte nämlich alle meine Leibs- und Seelenkräfte an, meine kleinen Geschäfte zu vermehren; sah' überall selber zu meinen Sachen; stellte mich gegen jedermann nichts weniger als muthlos, sondern that immer lustig und guter Dingen. Meinen Gläubigern gab ich die beßten Worte, zahlte die ältern, und borgte wieder bey andern. In der benachbarten Gemeinde Ganterschweil sah ich mich nach neuen Spinnern um, so viel ich derselben aufzutreiben wußte. Das Jahr 1778. gab mir ganz besondern Muth und Zuversicht; mein Händelchen gieng damals vortrefflich von statten, und bald konnt' ich glauben, daß ich mit Zeit und Weile mich vollkommen wieder erholen und von meinem ganzen Schuldenlast entledigen würde. Aber die Angst will ich doch mein Tage nicht vergessen, die mich auch itzt noch zum öftern quälte, wenn ich so den Geschäften nach traurig meine Strasse gieng, und mich dem Comptoir eines überlegenen Handelsmanns oder der Thür eines harten Gläubigers nahte, wie es mir da zu Muthe war; wie oft ich meine Hände gen Himmel rang: »Herr! Du weissest alle Dinge! Alle Herzen sind in deiner Hand; du leitest sie wie Wasserbäche, wohin du willst! Ach! gebiete auch diesem Laban, daß er nicht anders mit Jakob rede als freundlich«! Und der Allgütige erhörte meine Bitte; und ich bekam mildere Antwort, als ich's nie hätte erwarten dürfen. O wie ein köstlich Ding ist's,[284] auf den Herrn hoffen, und ihm alle seine Anliegen mit Vertrauen klagen. Dieß hab' ich so manchmal, und so deutlich erfahren, daß mir itzt die felsenfeste Ueberzeugung davon nichts in der Welt mehr rauben kann.

Zu Anfang des Jahrs 1779. ward mir ohne mein Bewerben und Bemühen der Antrag gemacht, einem auswertigen Fabrikanten, von Glarus, Johannes Zwicki, Baumwollen-Tücher weben zu lassen. Anfangs lehnt' ich den Antrag aus dem Grund ab, weil vor mir her ein gewisser Grob bey der nämlichen Commißion Bankerott gemacht. Da man mich aber versichert, daß die Ursache seines Unfalls eine ganz andre gewesen, ließ ich mich endlich bereden, und traf den Accord vollkommen auf den Fuß wie jener. Sofort hob' ich diesen Verkehr an. Man lieferte mir das Garn; und zwar zuerst sehr schlechtes; aber nach und nach gieng's besser. Auch hatt' ich Anfangs viele Mühe, genug Spuhler und Weber zu kriegen. Doch merkt' ich bald, daß zwar mit diesem Geschäft viel Verdruß und Arbeit verbunden, aber auch etwas dabey zu gewinnen wäre. Ao. 80. erweitert' ich daher meine Anstalt um ein merkliches, fieng nun auch an, vor eigene Rechnung Tücher zu machen, und befand mich recht gut dabey. Mein Credit wuchs wieder von Tag zu Tage. Meine Gläubiger merkten bald, daß die Sachen eine ganz andre Wendung genommen; ich bekam Geld und Waare so viel ich wollte, und zählte nun steif und fest darauf, itzt hätt' ich mich für ein- und allemal erschwungen.

Auch Ao. 81. gieng's wieder im Ganzen wenigstens passabel, und bey der Jahrrechnung zeigte sich ein[285] ziemlicher Profit. Ich hüpfte daher nicht selten in meiner Waarenkammer vor Freuden hoch auf; betrachtete mein Schicksal als recht sonderbar, und meine Errettung wenigstens als ein Beynahe-Wunder. Und doch gieng von je her, und noch itzt, alles seinen ordentlichen natürlichen Lauf; und Glück und Unglück richteten sich immer theils nach meinem Verhalten, das in meiner Macht stuhnd, theils nach den Zeitumständen, die ich nicht ändern konnte.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 283-286.
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