78. Also?

[291] Was anders, als ich, nicht Ich? Denn ich hab' erst seit einiger Zeit wahrgenommen, daß man sich selbst – mit einem kleinen i schreibt. Doch, was ist das gegen andre Fehler? Freylich muß ich zu meiner etwelchen Entschuldigung sagen, daß ich mein Bißchen Schreiben ganz aus mir selbst, ohne andern Unterricht gelernt, dafür aber auch erst in meinem dreyßigsten Jahr etwas Leserliches, doch nie nichts recht orthographisches, auch unlinirt bis auf den heutigen Tag nie eine ganz gerade Zeile herausbringen konnte. Hingegen hatte für mich die sogenannte Frakturschrift, und zierlich geschweifte Buchstaben aller Art sehr viele Reitze, obschon ich's auch hierinn nie weit gebracht. Nun denn, so geh' es auch hierinn eben weiter im Alten fort.

Als ich dieß Büchel zu schrieben anfieng, dacht' ich[291] Wunder, welch eine herrliche Geschicht' voll der seltsamsten Abentheuer es absetzen würde. Ich Thor! Und doch – bey besserem Nachdenken – was soll ich mich selbst tadeln? Wäre das nicht Narrheit auf Narrheit gehäuft? Mir ist's als wenn mir jemand die Hand zurückzöge. Das Selbsttadeln muß also etwas unnatürliches, das Entschuldigen und sich selbst alles zum Beßten deuten etwas ganz natürliches seyn. Ich will mich also herzlich gern' entschuldigen, daß ich Anfangs so verliebt in meine Geschichte war, wie es jeder Fürst und – jeder Betelmann in die seinige ist. Oder, wer hörte nicht schon manches alte, eisgraue Bäurlein von seinen Schicksalen, Jugendstreichen u.s.f. ganze Stunden lang mit selbstzufriedenem Lächeln so geläufig und beredt daherschwatzen, wie ein Procurator, und wenn er sonst der größte Stockfisch war. Freylich kömmt's denn meist ein Bißel langweilig für andre heraus. Aber was jeder thut, muß auch jeder leiden. Freylich hätt' ich, wie gesagt, mein Geschreibe ganz anders gewünscht; und kaum war ich damit zur Hälfte fertig, sah' ich das kuderwelsche Ding schon schief an; alles schien mir unschicklich, am unrechten Orte zu stehn, ohne daß ich mir denn doch getraut hätte, zu bestimmen, wie es eigentlich seyn sollte; sonst hätt' ich's flugs auf diesen Fuß, z.B. nach dem Modell eines Heinrich Stillings umgegossen. »Aber, Himmel! welch ein Contrast! Stilling und: ich«! dacht' ich. »Nein, daran ist nicht zu gedenken. Ich dürfte nicht in Stillings Schatten stehn«. Freylich hätt' ich mich oft gerne so gut und fromm schildern mögen, wie[292] dieser edle Mann es war. Aber konnt' ich es, ohne zu lügen? Und das wollt' ich nicht, und hätte mir auch wenig geholfen. Nein! Das kann ich vor Gott bezeugen, daß ich die pur lautere Wahrheit schrieb, entweder Sachen die ich selbst gesehen und erfahren, oder von andern glaubwürdigen Menschen als Wahrheit erzählen gehört. Freylich Geständnisse, wie Roußeau's seine, enthält meine Geschichte auch nicht, und sollte auch keine solchen enthalten. Mag es seyn, daß einige mich so für besser halten, als ich nach meinem eigenen Bewußtseyn nicht bin. Aber aller meiner Beichte ungeachtet, hätten denn doch hinwieder andre mich noch für schlimmer geachtet, als ich, unter dem Beystand des Höchsten mein Lebtag nicht seyn werde. Und mein einzig unpartheyischer Richter kennt mich ja durch und durch, ohne meine Beschreibung.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 291-293.
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