Balz und Andres – ein Gespräch

[359] BALZ. was doch die Zeitungsschreiber vor Hungerschluker sind – da sieht mans – ich hets doch nie glaubt – das sie dergleichen Narheiten – Hundsfüthereyen – in Ihre Blätter aufnähmen – kein Wunder das ich nichts auf Ihr Geschrieb halte – wüssen die Kärls dann sonst nichts zu schreiben –

ANDRES. was, was – von was ist dann die Rede –

BALZ. Hast dann die B ... Zitung nicht gelesen – wo der läppische Kärl als Anhang hindenan steht – und alle Leuthe, die Ihn kennen, das Maul rümpfen –

ANDRES. das ist mir das erste – nein, ich weiß kein Wort – hab auch nichts gehört – und die B ... Zitung les ich nicht – auch keiner von meinen Nachbarn –

BALZ. Grad so gut – wenn nur solch Lumpenzeug drin steht – ist sie nicht lesenswerth. Beym G. im Stättle kanst sie lesen – wirst dich ärgern, was gilts –

ANDRES. Aber um Gotteswillen was ist's denn – noch weiß ich nicht, von was oder von wem die Rede ist – möchts doch dütlicher hören –

BALZ. So höre denn – der Anfang heißt – Geschichte eines Armen Mannes im Toggenburg – da wird's den keinen wundernehmen – wer der Arme Mann sey – wil er gleich anfangs vom Näbis zu erzehlen anfangt – du wirst doch die Näbis ja kehnen –

ANDRES. o ja gar gut – und der welcher du meinst, ist ja mein Nachbar – aber das so was von Ihm sol in B ... Zitung stehen – das kann ich nicht begreifen –

BALZ. nicht begrifen – ja woll – nicht begriffen – das[359] ist doch gut begreifen – hast ja schon lange von dem Hochmuthswitznarren gehört – das er seine Nase in alle Bücher steken wil und selbst Tagbücher und andere Narheiten schreibt – und das er sich aus Hochmuth in die Büchergesellschaft eingezwengt – ich halte gar nichts von der Büchergesellschaft – wil sie dergleichen schlechte Kärl aufnehmen – und das sie Ihm einest noch ein Dukaten und einest eine dukatenwertige Medalie vor seine geschmierten Narheiten bezahlt haben – aber das er jez gar seine Boksprünge in Druk gibt – als ein Kärl von Bedütung in der Welt wil figur machen – macht einem s Bauchweh –

ANDRES. Nun ja – ich kehne den Mann und kehne den B ...des Mans Schreib- und Lesehang ist mir bekandt – aber das er dem B ... seine Geschichte in die Zeitung Einzurüken übergeben habe – das kan ich in Ewigkeit nicht glauben – gesezt aber er hets gethan – wäre er deswegen doch kein schlechter Kärl Ihr seyt gar biterbös auf den Mann – Balz – was hat er euch denn gethan – oder in den weeg gelegt –

BALZ. gar nichts – im geringsten nichts – aber ich kans dem narren nicht vertragen, so naseweiß zu sein – er und seine gantze Familie sind arme verachtente Hudler – seine Eltern konten sich des Bettelns kaum erwehren – liesen alle Ihre Keinder ohn die geringste erziehung wild aufwachsen – dieser als der älteste Lappe gieng in den Krieg – kam aber bald wieder noch läppischer heim – nahm ein Weib – schad ums weib – fieng den Bauelgewerb an und verstuhnd[360] kein Drek – wärn mahl bald zum Lumpen worden – hat noch jez kein Hund auf den Ofen loken und wil so naseweis sein und einen gelehrten Mann scheinen – nein ich kans ihm nicht vertragen –

ANDRES. ganz sonderbar – aber ich habe doch mein Tag nie gehört, das unverschuldete Armuth schändlich sey – sonst wüßt ich dieser Familie nichts anzuhaften –

BALZ. nichts – ich auch nicht – aber das der Mann da sich wil auszeichnen – aus seiner Betelfamilie vorstechen – eine erztölpische Geschichte in die Welt nein schreibt – als wenns weiß Gott was wäre – das solt man den Narren nicht gestatten – ich bin nicht der einzig, ders sagt – glaubs nur, Andres – der Kärl ist das Gespött der ganzen Welt – und wenn die Herren nicht selbst auch Narren wären, heten sie nicht noch wohlgefahlen an solch einem Lausjunker und seinen Firlifaxen seine eignen Freund spotten seiner –

ANDRES. So gehts in der Welt – wen einer sich aus dem Staub erheben wil, schlagen seine Kameraden und Bekandte mit Händ und Füssen drein, ihn wieder in Drek zu stampfen – aber hier ist nicht der Fahl – glaubs nur, Balz – du bist lez bericht – ich wil dir sagen wie das Ding zugeht – das der Mann vil schreibt – ist wahr – ist hang und drang aber nur vor sich – ohne einige interessierte Absichten – als etwa vor sein Nachkömling – oder seinen vertrautesten Freunden zu zeigen – sonst legt er seinen Schreibereyen gewüß selbst keinen Werth bey – erkennt gar[361] gerne seinen niedrigen – unwüssenden Layenstand – ist so gerne unbekandt als einer in der Welt – das etwas von seiner Lebensgeschichte in der B ... Zitung kam, ist gewüß nicht seine Schuld – dem Pfarrer hat er freylich etwas von seinem Geschrieb gezeigt – wie bilich – Ihme allein – hat ers – nicht gar gern – erlaubt etwas davon in das Schweizermuseum einzurücken – da geht B ...und drukt es in seiner Zeitung nach freilich nicht brav – daher der Lärm – ich habe selbst gesehn wie der Arme Mann in Feuer und Flammen gerieth – als ers vernohmen hat – das war doch nicht seine Schuld –

BALZ. Also hat ers doch zu druken erlaubt – das dacht ich wohl – ha wie sich der Kärl verstelen und bey den einfältigen Herren einzuschmeicheln weiß – So n Lappe – das nimt mich selbst wunder – mich solte der Löffel gewüß nichts glauben machen.

ANDRES. Gut – vor dich, Balz – das hüzutage keine Apostel gibt – du wärst der schlimste Verfolger – ein rechter Saul – du hast den Lärm über den Armen Mann angeblasen – aber sage was du will – hierin ist er unschuldig – da könt ich den Pfr. zum Zeugen stelen – er hat geglaubt das schweizerische Mausaeum werde hier gar nicht oder nur selten – etwa in Pfarrheusern – gelesen – und wäre auch wenn der heimtückische B ... ihme diesen fatalen Streich gespielt hete. –

BALZ. Ich habe nicht mit dir, Andres – ich sehe wohl, du bist sein Vorsprech – aber ich sage dir rund heraus – der Hudler konte seine Südlereyen bleiben lassen[362] – müst nur auch nicht seine Nase in alle Bücher steken – würde er sich darvor aufs arbeiten legen – dan zum Handeln taugt er nichts – würde er vor Weib und Kind besser sorgen – und aufs Alter hausen – der Kerl muß gewüß im Alter Betteln gehn – seine Jungen taugen auch all nichts – sein Weib dauert mich –

ANDRES. Nicht so rasch und Lieblos geurtheilt. Balz, denk ein bisgen zurück – in welchen Umständen deine Familie vormals war und zum Theil noch jez ist – mir ist ich habe erst kürzlich deine Schwöster vor einer Hausthüre gesehn – schon du nun zum reichen Mann worden bist – und es deiner Klugheit zuschreibst – aber wüsse – ander leuth urtheilen – auch anderst von dir – jedermann weiß – das Zeit und Umstände dir günstig waren – zum Ex. die hungerigen 70ger Jahre waren Erndt-Tage vor dich rühmlich oder nicht – das wil ich nicht sagen – hingegen haben diese Jahre – den Armen Mann – wie viele andere – vast zu boden gedrukt – Uebrigens ist er freylich nicht der Mann – der nach Reichthum strebt – sonst trachtet er doch mit Gott und mit Ehren durch die welt zu komen – glaube gewüß die Vorsehung werde – ohne sein sorgen gleichwohl vor ihn sorgen – so wie vor seine Jungen – an denen er thut was er kan –

BALZ. Blas mir den Hobel aus – ist ein Narr wie der ander – was geht dich meine Schwöster an – ist mir nicht lieb das sie ein Luder ist – laß mich ungheit – oder –


Ab.[363]


Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 359-364.
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