XXXIX. Von Riesen und Zwergen.

[606] Es sind von den Heydnischen Poeten sehr vielerley Sachen von denen Riesen erdichtet worden: und nennen sie die Söhne der Erden von sehr grosser Statur mit Drachen-Füssen, welche den Göttern zum Schaden gebohren worden, damit sie mit denselben Krieg anfiengen, und den Jupiter vom Himmel herab würffen. Macrobius verstehet Saturn. I. 20. durch die Riesen nichts anders, als eine Art gottloser Menschen, welche keine Götter geglaubet, und daher in Verdacht gekommen, daß sie die Götter aus dem Himmel vertreiben wolten: und was der Fabeln mehr seyn.

Was den Ursprung der Riesen betrifft, so sagen einige, sie wären des Titanis und der Erden Söhne gewesen; andere sprechen: Sie wären aus dem Blut der Titanum, welche der Jupiter getödtet, aus der Erden gebohren worden.1 Hesiodus gibt vor: Sie wären aus dem Blut des Himmels, nachdem er demselben die Mannheit abgeschnitten, gezeuget worden. Josephus will in seinen Antiq. Judaic. behaupten: Die Riesen wären daher entsprungen, wann der böse Feind[607] denen Hexen ehelich beygewohnet; welcher Meynung auch Lactantius ist. Augustinus aber und andere neue Theologie widersprechen diesem, und sagen: Es sey unmöglich, daß der böse Feind denen Hexen ehelich beywohnen, und mit ihnen Kinder zeugen könne, wie oben mit mehrerem angeführet worden.

Sonst wird geschrieben, daß die Patagones, ein Americanisches Volck, gemeiniglich von grösserer Statur, als andere Leute, wären.2 Daß man zuweilen Leute von ungewöhnlicher Grösse habe, ist aus heiliger Schrifft Deuteron. 3. 11. zu ersehen, da stehet von Og / dem Könige zu Basan daß sein eisern Bett 9. Ellen lang / und 4. Ellen breit gewesen. Und in 1. Sam. 1714. stehet von Goliath / er sey 6. Ellen und einer Hand breit hoch gewesen. Ob man aber jemahls Leute von 3o. 40. 60. 100. und 200. Ellen lang gehabt habe, wie Boccatius in Genealogia Deorum lib. 4. c. 68. vorgeben dörffen, daran hat Kircherus lib. 4. Mund Subterran. billig gezweiffelt, und erwiesen, daß ein Mensch über 9. Ellen lang nicht werden könne. Dann es hat ja die Natur allen Thieren eine gewisse Maaß ertheilet, welche es, wann es sein Geschäfft wohl ausüben soll, nicht überschreiten darff. Wann nun ein Mensch 200. Ellen lang wäre, so könten die Glieder[608] nicht aneinander hangen, sondern müsten ihrer Last wegen voneinander fallen. Die Füsse könten einen so schweren Leib nimmermehr ertragen; wie solches Kircherus I. 2. an den grossen Marmor-Bildern zu Rom dargethan. Insgemein aber hält man doch davor, daß die Leute vor alten Zeiten grösser gewesen, als heut zu Tage.

Wir lesen Genes. cap. 6. daß noch kurtz vor der Sünd-Fluth grosse Riesen in der Welt gelebet, als nehmlich die Kinder GOttes nach den Töchtern der Menschen gesehen.3 Nach der Sünd-Fluth finden wir, daß wieder etliche Riesen gewesen, welche doch keine besondere lange Zeit gewähret: denn es hielt die Gütigkeit der Natur (wie Abulensis im 6. Buch des 5. Buchs Mosis bezeuget) den menschlichen Saamen im Gebrauch der Speisen und Affect des Firmaments in einer solchen Krafft, daß nichts denn grosse gewaltige Leute daraus konten erwachsen; da hergegen, als die Natur je langer je unvermöglicher, die Welt allgemach alt worden, keine so vollkommene Menschen mehr, wie zuvor, herfürbringen kan.4 Allein, wenn vor diesem schon die Natur abgenommen, warum hat dann solch Abnehmen aufgehört, da ja die Erfahrung lehret, daß die Menschen schon viel hundert Jahre her einerley Grösse behalten, und[609] ist schon zu Davids Zeiten des Goliaths Statur von 6. Ellen vor eine Riesen-Gestalt gehalten worden, welche doch den heutigen Menschen nicht so gar ungleich ist. Bleibt also wohl darbey, daß die Menschen vor diesem nicht grösser gewesen, als sie itzo seyn.

Aus der Nordischen Seefart / oder Reise-Beschreibung Oliviers, wird berichtet, daß im Lande Cossi, wie auch in den Inseln Castemme und Talke, fürnehmlich in einer Gegend, so Coin genannt, grosse Leute, wie Riesen / wohnen, 10. bis 11. Schuch lang; von welchen Insuln zu lesen ist Gottfrieds Neue Welt / p. 225. Jacobus Niezabilovius, ein Pohle /hat Anno 1575 einen Scythen ermordet, welcher von ungeheurer Grösse gewesen; seine Stirn war 24. Finger breit, und der übrige Leib so groß, daß sein auf der Erden liegender Cörper bis an den Nabel eines stehenden Mannes reichete.5 Vid. Thuanus lib. 61. p. 64.

Daß es im Lande Canaan Riesen gegeben, bezeugen Josua und Caleb / daß es ein Volck von grosser Länge gewesen, und daß sie vor denselben als Heuschröcken geschienen; im übrigen aber ist es eine Fabel, wie es Natal. Comes, ein Ausleger der Poetischen Gedichte / schreibt, daß man in Thessalien ein Bein von der Hüfft[610] eines Menschen gefunden, von so entsetzlicher Grösse, daß kaum 30. Ochsen dasselbe hätten ziehen können. Happelius in Relat. Curios. P. II. p. 279. schreibt: Mit dieser aus Norwegen erhaltenen Relation hat es folgende Beschaffenheit: Es hat neulich zu Trygstatt / oberhalb Christiania, den 29. Novembr. dieses Jahres, ein Bauer eine Wolffs-Grube zu graben ihm vorgenommen, dergleichen Thiere, die sich daselbst in grosser Anzahl aufhalten, und öffters nicht geringen Schaden thun, dar innen zu fangen; indem er aber im besten Graben begriffen gewesen, äusserte sich ein ziemliches Gewölbe: wie er solches mit grosser Mühe durchgearbeitet, kommt ihm ohngefehr ein solch groß Menschen-Gerippe zu Gesicht, so vom Kopff bis zu den Füssen neun Ellen lang; zu Haupten stunde ein Kästgen mit schönen runden Perlen / die auf einen güldenen Drath gezogen waren, und an dem einen Finger einen überaus grossen güldenen Ring habend, über welchen Fund der Bauer zum Theil bestürtzt, zum Theil auch höchst darüber erfreuet ward: massen er sich vollkommen eingebildet, daß dieses Gerippe / welches sehr nahe an seinem Hof begraben war, von seiner Familie, und die Grösse seiner Vorfahren genugsam zeigete, die Riesen solten gewesen seyn:[611] wannenhero er solches sofort der dortigen Obrigkeit offenbahrete, die es hernach selbst in Augenschein genommen, und davon nach Coppenhagen Bericht abgestattet etc.6


Nimrod / der die Stadt Babylon und den berühmten Thurn erbauen lassen / soll auch ein Riese / und zwar zehen Ellenbogen hoch / gewesen seyn: die Heil. Schrifft hat aber davon nichts gemeldet, sondern nennet ihn nur einen gewaltigen Jäger. Vielleicht ist dieses daher erdichtet worden, daß die 70. Dollmetscher ihn einen Riesen genennet. Und was Ovidius schreibt von den Riesen, daß sie verwegene Thaten gethan, Berge auf Berge geweltzet, und sich die Götter zu bekriegen erkühnet, solches hat seinen Ursprung von der Unternehmung der ersten Menschen, welche zu Babel einen Thurn bauen wolten, dessen Spitze bis an den Himmel reichen solte. Was sonst von andern ungeheuren Riesen erzehlet wird, als von dem Hildebrand / von dem starcken Dieterich von Bern / vom starcken Eck / vom Hürnen Seyfried, dessen Rüstung zu Worms in dem Thurn gezeiget wird, lassen wir in seiner Gültigkeit. Zu Zeiten Kayser Heinrichs des Dritten soll zu Rom ein Riesen-Cörper[612] gefunden seyn, dessen Angesicht, wie man saget, fünffthalb Schuch breit und die Länge wie ein kleiner Thurn gewesen sey.

Fortunatus Licetus setzt in seinem Buch de Spontaneo rerum ortu: Er habe zu Venedig einen Riesen aus Portugall gesehen, der so mächtig, groß und starck gewesen, daß er ihm an einen jeglichen Arm Stricke binden lassen, und zwölff Träger, an jeder Seiten sechs, aus allen Kräfften daran ziehen, aber doch seine ausgespannete Arme allgemach an die Brust bracht, und zwar so, daß er keinen Fuß von der Stell gerühret, wie hefftig auch die zwölff widerstrebet und zurück gezogen.7 Und als er die in Händen habende Aepffel zum Munde bracht, asse er davon eine merckliche Weile, und verlachete die schwitzende Träger, die alle ihre Kräffte vergeblich anspanneten, daß sie ihm die Hände möchten vom Maul reissen.

Wir wollen aus diesem Autore noch eines andern starcken Menschen gedencken, des geneigten Lesers Urtheil überlassende, ob solches alles der Natur gemäß sey:

William Joy, aus der Insul Tanet in Kent gebürtig, erwiese Anno 1700. im Haag unterschiedene Proben seiner unerhörten Stärcke, indem er 1) ein Stück Bley, 2014. Pfund, von der Erden aufgehoben.8 2) Einen Strick um seine Lenden[613] gebunden, an welchen ein Pferd gespannet war, so ihn aber mit allen seinen Kräfften nicht von der Stelle bewegen können. 3) Hat er gedachten Strick an zwey Pfähle gebunden, und darauf zerrissen. 4) Gegen 16. Personen einen andern Strick gezogen, dergestalt, daß er sie, sie aber ihn keinesweges, an sich ziehen können. 5) Hat er einen Mühlstein von 2240. Pfund von der Erden aufgehoben. 6) Zog er ein in eine Grube gesunckenes Pferd gantz allein heraus. 7) Setzte er sich auf einen Stuhl nieder, und ließ darauf verschiedliche Proben seiner Leibes-Kräffte sehen. 8) Tranck er ein Glaß Wein aus, welches auf der grossen Zähen seines Fusses stunde, ohne daß er solches mit der Hand berührete. Allein man darff nicht aus allen starcken Leuten Riesen machen, sonst würde man derer eine ziemliche Anzahl finden.

Johann Friedrichen / Churfürsten zu Sachsen /haben gleichfalls etliche, absonderlich die Herren Spanier, für einen Riesen gehalten.9 Denn als dieser Herr 1547. bey Mühlberg war gefangen worden, wurde ihm der eine Stiefel abgezogen, und seiner ungeheuren Grösse wegen nach Spanien geführet, und erstlich zwar am Königlichen Frantzösischen Hof gezeiget, hernach gen Madrid gebracht, allwo er noch gewiesen wird. Monconys sagt in seiner Reise-Beschreibung [614] pag. 954. dieser Stiefel sey so groß, daß sich fast einer mit dem gantzen Leib darin verstecken könne. Allein Wilhelm Ertl / saget in seinem Bayrischen Atlas / p. 254. Dieser abscheuliche Siefel, darinnen kaum eine Spanische Lügen Raum hätte, sey noch in der Churfürstlichen Bayerischen Kunst-Kammer zu München zu sehen.

Nun wollen wir auch mit wenigem etwas von Zwergen gedencken; und finden wir bey Herodoto, Philostrato, Mela, Plinio, Solino und andern mehr viel von solchen aufgezeichnet, aber sie haben es alles anders woher, ausser was Homerus davon geschrieben; aber dieser ist ein Historicus, der gern das Ohr ergötzen wollen, und viel Gleich nisse gebrauchet.10 Durch die Zwerg-Völcker / sonst Pygmæer genannt, verstehen wir eine kleine Zwergen-Art, nehmlich ein Volck, welches das kleineste seyn soll unter dem menschlichen Geschlecht, nur eines Ellenbogens hoch / oder, wie andere wollen, zween Schuch, oder drey Spannen / und muß man nicht nur ein oder den andern, sondern das gantze Volck miteinander betrachten, wie sie nehmlich bey einander wohnen. Hiervon wird zwar viel Schreibens und so viel Zeugniß gemachet, als schier in keinem von dergleichen Puncten, die von klugen Leuten[615] unter die Fabeln gezehlt werden. Daß aber einige solche Nation, Geschlecht oder Volck fürhanden sey, hat man auf gethane genaue Untersuchung, bishero durch gewisse und bekräfftigte Zeugnisse noch nicht erfahren können; wohl aber ist solches von denen, so es mit Fleiß untersuchet, gantz verworffen worden. Auch Strabo, welcher ein genauer und verständiger Welt-Beschreiber ist, verwirfft es als eine Fabel, und Julius Scaliger hält es für ein poëtisches Gedicht. Die Alten berichten, daß in dem Trogloditischen Arabien und in Africa über dem Ursprung des Nili ein gantzes Volck Zwergen gewohnet haben. Auch heutiges Tages sollen in den Mitternächtigen Ländern die Lappen / Samajaden und andere kleine Leute seyn; und in den Nordischen Gegenden sollen die Schrelingers / nach Olai Magni Bericht, nur die Länge eines Schrittes haben.11 Was aber Münsterus und andere Alte von dem Streit der Zwerge mit den Kranichen geschrieben, welche nur eine Spann lang gewesen seyn sollen, solches ist gewiß eine blosse Fabel. Man nennet sie Pygmæen /davon ist angemerckt worden, daß sie nur anderthalb Schuch lang gewesen, und vor Zeiten in Indien / Carien und Thracien gewohnet haben, derer Weiber im fünfften Jahr gebohren hätten, und im[616] achten Jahr schon als alte Weiber geachtet worden. Sie wären Anfangs des Frühlings auf Hämmeln und Geissen nach dem Meer geritten / und hätten die Eyer der Kraniche zerbrochen, und ihre Jungen umbracht, dieweil sie steten Krieg mit diesen Vögeln geführet, wider welche sie sich offtmahls nicht beschützen können, sogar, daß sie auch aus Germannia, einer Stadt in Thracien / von den Kranichen verjaget worden. Vid. Plinium nat. hist. lib. 4. c. 11. l. 5. c. 29. l. 6. c. 19. l. 7. c. 2. etc.

Daß auch in den Gebürgen so kleine Leut solten gewohnet haben, scheinet so wenig wahrhafftig als das vorige, und beweiset nichts, daß man gantz zarte Knöchlein bey den Bergwercken gefunden; zumahlen eher daraus zu schliessen ist, daß es Gebeinlein kleiner Kinder / oder Thiere / als Knöchlein der Zwerge gewesen seyn solten.12 Suetonius gedencket zwar eines Lucii, der nur 17. Pfund gewogen; In vita Augusti c. 23. und Cardanus erzehlt, daß man in Italien einen solchen Menschen gesehen, der so klein gewesen / daß man ihn in einem Vogel-Käfig / wie einen Papagey / umher getragen; Aber durch dieses wird nichts mehr erwiesen, als daß die Natur in Formirung des Menschen zu kurtz gekommen.13[617]

Es werden noch hin- und wieder in unsern Europäischen Landen Zwerge gefunden, an welchen die Natur der Grösse wegen geirret, wie dann an Fürstlichen Höfen viel Herrn und Dames an solchen Mißgeburten einen sonderbaren Gefallen haben. Zu Wien ist mir einer, so nur auf die Banck sehen können /bekannt gewesen, ein ungestalt Monstrum von Kopf und Leibe, welcher auf einem kleinen Karn mit einem Pferd umher gefahren, und sich als ein Taschen-Spieler gebrauchen lassen.14 Solcher war nicht bey Hof, hatte aber jährlich 50. fl. als ein Gnaden-Geld zu geniessen. Aber ungeachtet seiner armseligen Positur / hat er sich doch 1696. mein armselig Bettel-Mensch verheyrathet, welche allzeit um und bey ihm seyn müssen; Er war in solcher Jalousie, daß ihm keiner sein Weib freundlich ansehen dörffen, wann er sich nicht hefftig ergrimmen sollte: weßwegen viele sonderbaren Schertz mit ihm gepflogen haben. Des Chur-Fürstens zu Brandenburg / Joachim Friedrichs / sel. Gedächtniß / seine Gemahlin / Frau Catharina / hatte eine grosse Lust an den Zwergen, daß sie fast ein gantzes Zimmer voll derselben unterhielte, auch solche unter einander verheyrathete, damit sie andere solche kleine Leutgen aus ihnen bekommen[618] kommen möchte; Sie konte aber ihren Zweck nicht erreichen, indem diese Zwerge alle unfruchtbar blieben.15 Gleicher Gestalt hielt auch Catharina de Medicis drey Paar solcher Zwerge, (v. P. Messias var. Lect. Lib. 5. Tom. 3. c. 6.) gab selbige ehelich zusammen, und wolte gern junge Zwerge von ihnen haben; sie wurde aber in ihrer Hoffnung betrogen: Woraus man siehet, daß GOtt sein Geschöpff nicht der Menschen eitler Curiosität unterwerffen wolle. Werden aber die Zwerge mit andern Leuten vermählet, so pflegen sie zwar Kinder zu zeugen, jedoch nicht ihres gleichen, sondern von ordinairer Statur; denn die Natur schämet sich gleichsam ihre Mängel fortzupflantzen.

Offtmahl hat der böse Feind unter Gestalt der Zwerge die Leute vexirt, wie solches Hermann Suden im gelehrten Critico P. 1. p.m. 755. aus Silv. Girald. Itiner. Cambr. lib. 1. c. 8. von Heliodoro, einem Prediger, erzehlt; denn weil sich dieser Mann denen Studiis gewiedmet, und einsten der Disciplin entgehen wolte, begab er sich an den hohlen Rand eines Flusses; als er nun daselbst zweyer gantzer Tage gefastet hatte, erschienen ihm zwey kleine Menschen in der Gestalt der Zwerge, und sagten zu ihm: Wofern du [619] mit uns gehen willst / so wollen wir dich in ein Land führen / wo lauter lustige Spiele anzutreffen sind.16 Heliodorus willigte in ihr Anbringen, und folgete ihnen nach; da sie ihn denn durch einen unter-irdischen und finstern Gang führeten, und endlich in ein schönes Land brachten, welches mit Flüssen, Wiesen, Wäldern und ebenen Land wohl gezieret, darbey aber finster war; es waren daselbst alle Tage gleichsam nebelicht, und die Nächte wegen Abwesenheit des Mondes und der Sterne gantz entsetzlich. Der Knab Heliodor ward zu dem Könige geführet, und demselben vor der gantzen Hofftatt fürgestellet: welcher ihn lange mit aller Verwunderung ansahe, und endlich seinen kleinen Sohn zuordnete. Die Leut an selbigem Ort waren alle von kleiner Statur, jedoch gar geschickt, gelbe und mit schönem Haar versehen, welche nach Art der Weiber über die Schultern herab hingen: Sie hatten solche Pferdgen / welche sich zu ihrer Grösse schicketen / und den Hasen ziemlich gleich kamen. Sie assen kein Fleisch, keine Fische, sondern lauter Milch-Speise, welche als ein Muß mit Saffran gewürtzt war. Man hörete bey ihnen kein Schwöhren, weil sie nichts so sehr als die Lügen verabscheueten. So offt sie aus der[620] Ober-Welt zurück kamen, beklagten sie sich über den Ehrgeitz, Untreu, und Unbeständigkeit, so allda im Schwang gienge. Sie hatten keinen offentlichen Gottesdienst / und beobachteten nur, wie es schiene, die Wahrheit aufs genaueste. Es pflegete aber dieser Knabe öffters die Ober-Welt zu besuchen, manchmahl durch denjenigen Weg, durch welchen er dahin gelanget war, manchmahl auch durch einen andern; erstlich ward er etlichmahl von andern begleitet, hernach aber gieng er gantz allein; Er offenbarete aber solches alles seiner Mutter, und beschrieb ihr desselbigen Landes Volck und Beschaffenheit: die Mutter ermahnete ihn, er solte ihr doch einmahl aus dem Lande / worin so viel Gold wäre / ein Geschenck mitbringen. Der Knabe folgete seiner Mutter, und nahm des Königs Sohne einen güldenen Drat / womit er zu spielen pflegete, im Spiel hinweg, und lieff geschwinde durch den gewöhnlichen Weg damit fort; als er nun zu seines Vaters Hauß kam, unter Verfolgung gedachten kleinen Völckleins / und hinein zu tretten eilete, blieb er mit dem Fuß an der Thür-Schwelle hangen, und fiel übernhauffen, worauf zween nachfolgende Zwerge den entfallenen güldnen Drat alsbald hinweg nahmen, bespyen den Knaben, höneten und lacheten ihn aufs ärgeste aus.[621] Als der Knab wieder aufstund und wieder zu sich kam, schämete er sich / und verdammete den Rath seiner Mutter / suchete den vorigen Weg zu dem unter-irdischen Weg wieder, konte aber keinen Eingang mehr zu solchem finden, ob er gleich nach solchem ein gantzes Jahr strebete. Endlich begab sich dieser Knab auf seiner Mutter und Freunde Zureden wieder zum Studiren, und ward endlich ein Priester / es konte aber solches Heliodorus in seinem Alter niemahl ohne Thränen bedencken: dieweil aber der Autor von dieser Geschicht weder Zeit, Ort, noch den Fluß benahmet, wo solcher Knab in die Unter-Welt geführet worden, weniger, wo derselbe hernach Prediger gewesen, ist es vielmehr für ein Gedicht als Geschichte zu halten. Besser aber könte für wahrhafftig gehalten werden, folgende Erzehlung: Hamelmannus in Chron. Oldenburg. P. 1. c. 5. p. 21. schreibt: Es sey einem Grafen von Hoja ein kleines Männlein in der Nacht erschienen; und wie sich der Graf entsetzt, habe es zu ihm gesaget: Er solte sich nicht entsetzen / denn er hätte ein Wort an ihn zu werben und zu bitten / er wolle ihm das nicht abschlagen.17 Darauf der Graf geantwortet, wann es zu thun möglich wäre, und ihme und den Seinen unschädlich,[622] noch beschwerlich, so wolte er es gerne thuen: da hat das Mannlein gesaget: Es wollen die folgende Nacht etliche zu dir in dein Hauß kommen / und Abläger halten / denen wollest du deine Küchen und Saal so lange leihen, und deinen Dienern gebieten, daß sie sich schlaffen legen, und keiner nach ihrem Thun sehe, auch keiner darum wisse, ohne du allein, man wird sich dafür danckbarlich erzeigen / und du und dein Geschlechte sollen es haben zu geniessen; es soll aber in dem allergeringsten weder dir oder den Deinen kein Leid geschehen. Solches hat der Graf eingewilliget; Also seynd sie die folgende Nacht, gleich als mit einem reisigen Zeug die Brücken hinan aufs Schloß gezogen, und seynd allesammt kleine Leutlein gewesen, wie man die kleinen Bergmännlein zu beschreiben pfleget, haben in der Küchen gekochet, zugehauen, und aufgeben, und hat sich nicht anders, als wann eine grosse Mahlzeit zugerichtet würde, ansehen lassen. Darnach fast gegen den Morgen, wie sie wiederum scheiden wollen, ist das kleine Männlein abermahl zum Grafen kommen, und neben Dancksagung ihm offerirt ein Schwerdt / ein Salamander-Lacken / und einen güldenen Ring /in welchen ein rother[623] Löwe eben eingemachet, mit Anzeigung, diese drey Stück solte er und seine Nachkömmling wohl verwahren, und so lang sie dieselbe bey einander hätten, würde es einig und wohl in der Grafschafft zugehen, so bald sie aber von einander kommen würden, solte es ein Zeichen seyn, daß der Grafschafft nichts guts vorhanden wäre. Und ist der rothe Löwe auch allzeit darnach / wann einer vom Stamme sterben sollen / erblichen.

Marginalien

1 Was vom Ursprung der Riesen zu halten.


2 Von unterschiedener Grösse der Riesen.


3 Riesen / so vor der Sünd-Fluth gelebet


4 Warum itzo nicht mehr so grosse Leute seyn.


5 Grosse Leute in Nord-Ländern.


6 Ein Bauer in Norwegen findet eines gantzen Riesen Grab.


7 Grosser und starker Riese aus Portugall.


8 William Joy seine unsägliche Stärcke.


9 Churfürst Johann Friedrichs von Sachsen grosser Stiefel.


10 Von Zwergen / was davon zu halten.


11 Zwerge / so mit den Kranischen streiten.


12 Zwerge / ob solche in Gebürgen gefunden werden.


13 Auch in Bogelkäffig umgetragen.


14 Ein ungestalter Zwerg zu Wien spielet aus der Taschen.


15 Zwerge werden zusammen gepaart / sind aber nicht fruchtbar.


16 Zwerg-Geister führen Heliodor. In unterirdische Wohnunge.


17 Zwerg erscheinet dem Grafen von Hoja.


Quelle:
Bräuner, Johann Jacob: Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten. Frankfurth am Mayn 1737, S. 606-624.
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