CVI.

[207] Wem es an Oel hier nicht gebricht,

Wer leuchten läßt der Ampel Licht,

Dem fehlt die ewige Freude nicht.


Die fünf thörichten Jungfrauen klopfen an die verschlossene Himmelsthüre; hinter ihnen jammert eine Seele im Höllenrachen.


Von Versäumniß guter Werke.

Der ist ein Narr, der zu der Zeit,

Wann Gottes Urtheil ist bereit,

Urtheilen muß mit eignem Mund,

Daß er verborgen hab' sein Pfund,

Das ihm empfohlen Gott der Herr,

Damit er sollt' gewinnen mehr.

Dem wird dasselbe genommen sein,

Und er geworfen in die Pein.

Desgleichen deren Ampel ist

Entleert, daß ihr das Oel gebrist,

Und die erst suchen ander Oel,

Wenn schon ausfahren will die Seel'!

Vier Dinge klein sind auf der Erden

Und weiser doch als Mannsgeberden:

Die Ems, die keiner Arbeit schont,

Das Häschen, so im Felsen wohnt;

Die Heuschreck' keinen König wählt

Und zieht in Einheit doch ins Feld;

Die Eidechs geht auf Händen aus

Und wohnt doch in der Könige Haus.

Wer Honig find't und volle Waben,

Ess' nur soviel, als ihn thut laben

Und hüte vor Füllung sich mit Süße,

Daß er's nicht wieder speien müsse.

Wenn auch ein Weiser jähling stirbt,

Die Seel' ihm nimmermehr verdirbt,

Aber wer thöricht und unklug denkt,[208]

Verdirbt und wird dann eingesenkt

Und wohnt für ewig in dem Grabe.

Dem Fremden läßt er Seel' und Habe.

Ein größrer Thor ward nie gemacht,

Als wer der Zukunft nicht hat Acht

Und ewig schätzt zeitliches Gut.

Es brennt manch Baum in Höllenglut,

Der nicht getragen Früchte gut.

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 207-209.
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