[Ich grüß' dich, zarte schöne Fraue]

[136] Ich grüß' dich, zarte schöne Fraue,

Und biet' dir freundlich gute Nacht,

Bis daß der ew'ge Tag im Taue

Vor deinem Kämmerlein erwacht.


Ein heil'ger Engel soll zur Seiten

An deinem Bettlein wachend stehn,

Den goldnen Flügel ob dir spreiten

Und schwere Träume von dir wehn.


Daß sie sanft erwache

Aus ihres Schlummers Ruh',

Der Morgenstern, der scheine

Ihr recht mit Liebe zu.


Sie schlafe, sie wache,

Sie stehe, sie gehe,

Die Fraue meine,

Oder was sie tu'.


Ich grüß' vor aller Blüt' die Rose,

Die an dem Abendhimmel blüht,

Ihr Herz ergießt sich dir im Schoße,

Wenn sie zur Erde niederglüht.


Ich grüß' dich, klarer Abendsterne,

Du brennest auf dem Haupte mein.

Bei ihr, bei ihr so wär' ich gerne

In ihrem engen Kämmerlein.


Daß ein Engel bringe

Der Zarten meinen Gruß,[136]

Leis wie im Maienscheine

Der Honigblumen Kuß.


Sie bete, sie singe,

Daß eile die Weile,

Da ich alleine

Ohne sie sein muß.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 136-137.
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