Am 19. Februar 1818 morgens unter den Linden, da du traurig warst und die Sonne schön schien

[418] Wie treu scheint Gottes Sonne

Heut in die Welt herein,

Die Zeit erwacht mit Wonne

Im neuen Gnadenschein.


Es zünden alle Kerzen

Sich schon zum Feste an,

Und alle frommen Herzen

Sind festlich angetan.


Welch Kleid soll ich denn nehmen,

Hab' ich kein Hochzeitskleid?

Soll ich allein mich schämen

In dieser heil'gen Zeit?


Ist denn mein Kranz zerrissen,

Ist mein Gewand befleckt,

Hilf, Herr, der mein Gewissen,

Der meine Blöße deckt!


Laß einsam mich hier trauern,

Da du zur Wüste giengst,

Auf deine Rückkehr lauern,

Bis du ein Kleid mir bringst.


Ich streu' mein Haupt mit Asche

Hüll' mich in Buße ein,

Mit bittren Tränen wasche,

Ich doch mein Kleid nicht rein.


Und denk' auf alle Fragen,

Warum ich so betrübt,

In diesen vierzig Tagen

Hat Jesus sich geübt.[419]


Mein Heil gieng in die Wüste

Und ward vom Feind versucht,

Und ach, so lang ich büßte,

Bracht' ich doch keine Frucht.


So oft ich mich auch wagte

In seiner Gnade Schein,

War mir's, als ob ich sagte,

Mach Brot aus diesem Stein.


Und doch hat er vergossen

Um mich sein teures Blut,

Auf mich ist es geflossen,

Und doch bin ich nicht gut.


Bin immer nicht ergeben,

Treib' ewig hin und her,

Mach' das erlöste Leben

Der armen Seele schwer.


Mein eignes Blut unbändig

Will stets der Herrscher sein,

O Gott, mach mich lebendig,

Sei du mein Herr allein.


Laß dieses Eis zerbrechen

Vor deinem Sonnenschein,

Und zieh auf Gnadenbächen

Im Frühling zu mir ein.


In deiner Lieb' geborgen,

Mag Lilie, die nicht spinnt,

Mag auch kein Vöglein sorgen,

Viel wen'ger noch ein Kind.


Wie oft im jungen Herzen

Nannt' ich mich selig so,

Und ward in Freud und Schmerzen

Recht meiner Kindschaft froh.[420]


Nur du allein kannst wissen

Wie mich dein Gruß erquickt,

Und was mein Herz mußt' missen,

Wenn es von dir geblickt.


Kein andrer Blick kann taugen,

Mein Jesu mach mich blind,

Führ' unter deinen Augen

Auf reiner Bahn dein Kind.


Dein Tau steht auf den Auen

Und macht die Gräser frisch,

Herr, gebe mir Vertrauen,

Führ' mich zu deinem Tisch.


Laß alles Widersprechen

In mir getilget sein,

Und mach mich vom Verbrechen

Des Eigenwillens rein.


Den Vater hab' ich funden

Erkannt auch seine Braut,

Die Kirche, durch die Wunden

Der Märtrer ihm getraut.


Ich zage vor der Türe,

Ob ich dich bei ihr find',

Zum Schoß der Mutter führe,

O Jesu, selbst dein Kind.


Gieb daß in bittrer Reue

Ich alles Rückhalts bloß

Bekennend mich erneue

In ihrem Gnadenschoß.


Daß reiner als geboren

Daß wie getauft so rein,

Ich, was ich je verloren

In Buße nehme ein.[421]


Laß mich das Wählen enden,

Das der Versuchung gleicht

Zu Brot in meinen Händen

Sei dieser Stein erweicht.


Und von des Priesters Worten,

Der deine Weihe trägt,

Sei es zu dir geworden,

Mir unters Herz gelegt.


Dann gieb, daß wie die Reine,

Die dich empfangen trug

Ich glaubend jauchz' und weine

Und nie, ach nie genug.


Dann, in der Zeiten Fülle

Stell', wie die dich gebar,

Ich, bricht des Leibes Hülle,

Dein Bild im Himmel dar.


Dann trage voll Erbarmen

Den Geist vor deinem Thron

In deinen Vaterarmen,

Sei du mein Simeon.


Und deine Mutter süße,

Laß mir die Hanna sein,

Daß sie mich freudig grüße,

In deiner Sel'gen Reihn.


Mein Hoffen, Lieben, Glauben

Bring' dir die Kirche dar,

Wie deine Mutter Tauben

Geopfert am Altar.


O Herr, zu solcher Wonne

Gabst du mir selbst Geleit,

Und die geschaffne Sonne

Scheint dennoch mir zu Leid.[422]


Was ist's, daß ich verzage,

Welch Leid ist mir geschehn,

Die armen flücht'gen Tage

Von dir geschmückt zu sehn.


Mit Sonnenglanz begrüßte

Die Zeit das Erdenland,

Die fastend in der Wüste

Dir im Gebet verschwand.


Das Leben dich versuchet,

Mach Brot aus diesem Stein,

Hör' ich, die du verfluchet,

Die bunte Schlange schrein.


Und auf des Tempels Zinnen

Und zu dem Reich der Welt

Wird auf dem Berg den Sinnen

Die Seele ausgestellt.


Herr, laß dein Wort mich hören;

Sprich, Satan weich von ihr,

Ruf mit den Engelchören

Dein Kind zu dienen dir.


Es sei die junge Sonne

Und diese milde Zeit

Dir eine Festeswonne

In meiner Brust bereit.


Laß nicht tirannisieren

In mir das eigne Blut,

Herr laß mich triumphieren

In deiner Wunden Flut.


Heran, heran ihr Blüten

Nun öffnet euren Schoß

Neu bricht nun ohn' Ermüden

Der Strom der Gnade los.[423]


Mit reinen Kelchen trinken

Sollt bald ihr Jesu Blut

Wenn er sein Haupt läßt sinken

Dann, dann ist alles gut.


Wenn er erst ausgesprochen,

Das Vater, das Vollbracht,

Dann ist der Tod gebrochen,

Und nur auf Erden Nacht.


Er wird den Stein schon heben

Er wird schon auferstehn,

Daß die ihm sterbend leben

Ihn ewig wiedersehn.


Ihr Blumen euch zur Seite

Steh' ich am Grabe fromm

Und heiß' in Lieb und Leide

Den Herrn mit euch willkomm.


Wir brauchen nicht zu klagen,

Er hat uns ja gelehrt,

Das Vater Unser sagen,

Das Wort das er erhört.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 418-424.
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