Finkenlied, von neun Groschen Münze, Kamelgedanken und Überbeinen

[379] Vom Gesange lust'ger Finken

Durch das Fenster aufgeweckt

Lasse ich den Schleier sinken,

Der mir meine Seele deckt.


Durch des alten Birnbaums Blüten

Schaut zwar trüber Himmel her

Doch in meiner Brust ist Frieden,

Ach wenn's doch der ew'ge wär'.


Nein, jetzt kann ich gar nicht trauern

Alles scheint mir lieb und gut,

Und mir wächst da überm Lauern

Auch ein Finkenliedermut.


Wie die kleinen Sänger schweben

Wie es sehnt und lockt und zirpt.

O wie herrlich klingt das Leben

Wenn's zu neuem Leben wirbt.


Keiner fällt ohn' Gottes Willen

Von dem Dach, vom Haupt kein Haar,

Und mein Schmerz läßt sich schon stillen,

Weil ich einst unschuldig war.[379]


Und bin ich gleich abgefallen

Fiel ich doch in Gottes Schoß

Lieg' da mit den andern allen

Heil in seiner Gnade groß.


Munter, Herz, schwing dein Gefieder

Auf, wohl auf zum Kreuzesbaum

Täglich Sonne, täglich Lieder,

Alle Nacht ein frommer Traum!


Und ein Nest in seine Wunden

Meiner Leidensbrut ich bau',

Grün liegt seine Erde unten

Oben schwebt sein Himmel blau.


Und ich seh' auf grüner Aue

Eine fromme Magd hinziehn

Primlen bricht sie schwer vom Taue,

Bis der jüngste Tag erschien.


Bricht die Blumen, bricht die Blüte

Bricht ihr Herz, die Heilandsfrucht

Bietet es dem Gott der Güte

Der den dürren Baum verflucht.


Und sie spricht mit schwerem Herzen

Gestern war mein Leiden schwer,

Und ich fragte sie mit Schmerzen

Was ihr dann begegnet wär'.


Bange zagten meine Ohren,

Was sie wohl für Leid angiebt,

Weil neun Groschen ich verloren,

Sagt sie, bin ich so betrübt.


War's Courant? – Ei Gott behüte,

Münze war's, dem Herrn sei Dank! –

O du Spiegel aller Güte!

Machst du mich doch freudenkrank.[380]


Denk, vom Dache fällt kein Sperling,

Ohne Gott, vom Haupt kein Haar,

Aus dem Beutel kein Pfund Sterling,

Oder auch neun Groschen bar.


Denk, was hatt' ich all verloren

Leib und Seel und Gut und Heil

Alles ward mir neu geboren

Und noch mehr ward mir zuteil.


Dich zu kennen, dich zu lieben,

Dir zu folgen treu und still,

Was mir wird, was mir geblieben,

Alles ich dir teilen will.


Leben, Kämpfen, Siegen, Sterben

Abendrot und Morgenrot,

Mitleid mit den armen Erben,

Ihnen bleibt die Erdennot.


Als die Magd mein Lied vernommen

Hat sie freundlich mir genickt,

Und der Nebel schien verschwommen,

Und ein bißchen Sonne blickt.


O lieb Herz! um Jesu willen

Fasse einen frischen Mut

Laß dich doch sein Herzblut stillen

Bist ja Pelikanenbrut.


Himmel, Himmel werd' doch heiter,

Ach, herrje! da regnet's gar!

Liebe Finklein, singt doch weiter,

Da versteckte sich die Schar.


Liebes, liebes Linum denke

An neun Groschen Münze nicht.

Doch sie spricht: zur Erde senke

Ich des Opfers Fruchtgewicht.[381]


Doch es nimmt mit meinen Blüten

Ja mein Heiland schon vorlieb,

Apfel brauch' ich nicht zu hüten

Vor dem schlauen Apfeldieb.


Als ich sonst mit brünst'gen Ranken

Auch auf goldne Frucht gehofft

Hatte ich Kamelgedanken

Über mich wohl selber oft.


Arme Näherin mußt' lesen

Vom Kamel und Nadelöhr

Und gab dann dem eiteln Wesen

Nimmer wieder ein Gehör.


Bin jetzt eine arme Made,

Matte Fliege, Stäublein klein,

Bin ein Ekel, der aus Gnade

Höchstens trägt ein Überbein.


Wer giebt um solch schlechte Dinge

Wohl neun Groschen Münze hin

Drum mir mehr verloren gienge,

Als ich selber wert ja bin.


So? doch ist der armen Made

Keine Speise je zu gut,

Selbst für Jesu Leib nicht schade,

Schade nicht für Jesu Blut.


Ja ganz wohl! die matte Fliege

Sitzt auf Gottes Angesicht,

Wenn ein Engelsflügel schlüge,

Er vertriebe sie da nicht.


Stäublein klein! o ja! um nimmer

Abzutreten von dem Tanz,

Sonnenstäubchen tanzen immer

Ohn' zu sinken aus dem Glanz.[382]


Ei du Ekel! ja ich eckle

Seit ich dich im Herzen trug

Vor der Welt, an allem mäckle

Ich, nur nie an mir genug.


Überbeines Gnaden zähle

Überige Gnaden ein

Überfleisch und Überseele,

Überhimmelsschlüsselbein.


Wer kann es dem Herrn verdenken

Daß er Milde an dir übt,

Dir, die ihm ihr Fleisch will schenken,

Dafür Überbeine giebt.


War doch Eva auch im Schlafe

Nur des Adams Überbein,

Eva umgekehrt ward Ave,

Mögst du auch gegrüßet sein.


Und weil ein Kameles Rücken

Nur ein großes Überbein,

Mag's drum, wenn die Schuh' dich drücken

Gotts Kamelgedanken sein.


Und so soll mein Mut nicht wanken

Wenn er deinen hinken sieht,

Also aus Kamelgedanken

Sang ich dir dies Finkenlied.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 379-383.
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