Erster Brief

[17] Godwi an Römer


Schloß Eichenwehen


Hu! es ist hier gar nicht heimisch, ein jeder Federstrich hallt wider, wenn der Sturm eine Pause macht. Es ist kühl, mein Licht flackert auf einem Leuchter, der aus einem in Silber gefaßten Hirschhorne besteht. In dem Gemache, in dem ich sitze, herrscht eine eigene altfränkische Natur; es ist, als sei ein Stück des funfzehnten Jahrhunderts bei Erbauung des Schlosses Eichenwehen eingemauert worden, und die Welt sei draußen einstweilen weitergegangen. Alles, was mich umgiebt, mißhandelt mich, und greift so derb zu wie ein Fehde-Handschuh. Die Fenster klirren und rasseln, und der Wind macht ein so sonderbares Geheule durch die Winkel des Hofes, daß ich schon einigemal hinaussah und glaubte, es führen ein halb Dutzend Rüstwagen im Galopp das Burgtor herein.

Diesem äußern Sturme hast du meinen Brief zu danken, er stürzt sich zwischen mir und meiner Umgebung wie ein brausender Waldstrom hin, und alle Betrachtungen liegen am jenseitigen Ufer. So muß ich dann meine Zuflucht in mich zurück, in mein Herz nehmen, wo du noch immer in der Stellung der Abschiedsstunde gegen mir über in unserm Garten sitzest und mir gute Lehren giebst.

Es ist oft so, wie in diesem Augenblicke, und ich glaube, daß der Sturm in der Natur und dem Glücke, ja daß alles Harte und Rauhe da ist, um unsern unsteten Sinn, der ewig nach der Fremde strebt, zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Wenn draußen der wilde Sturm in vollen Wogen braust, dann habe ich nie meinen so oft beklagten Drang nach Reisen empfunden. Mein Ideal – kennst du es noch? – verschwindet in der Nacht. Ich wünsche nicht, zwischen hohen schwarzbewachsnen Bergwänden, ein liebliches leichtsinniges Weib an meiner Seite, auf weißer mondbeglänzter Bahn, im leichten Wagen hinzurollen; daß mir die schönste Heimat in dem Arme ruht, die mich nie mit trägen Fesseln bindet, wo, Ring an Ring gereiht, höchstens ein bewegliches Einerlei entsteht; daß vor mir laut das muntre[17] Horn des Schwagers die lockenden Töne nach der Fremde glänzend durch die Büsche ruft, und Echo von allen Felsen niederspringt, und alles frei und froh die verbotenen Worte durch die Nacht ruft:


So weit als die Welt,

So mächtig der Sinn,

So viel Fremde er umfangen hält,

So viel Heimat ist ihm Gewinn.


Nein, alles dieses nicht; ich empfinde dann fast die Zulänglichkeit von guten Familiengemälden, wo es ohne Zugluft hergeht, und keiner in die Hitze trinkt, und jeder Husten oder Schnupfen von gutem Adel ist und viele Ahnen zählt.

Wenn die Katzen vor den Türen Minnelieder singen, und ein Käuzchen vor dem Fenster das Sterbelied von ehrlichen Bürgern singt, die ohne die Anlage des Schwans, das letzte Leben in Melodien auszuhauchen, doch ohne Singen nicht sterben mögen, dann drängt sich wohl das Weib zu dem Manne furchtsam hin, es wird die Furcht zur Liebe, in der sich alles löst, und alles bindet sich in dieser schönen Minute; die Sinne, die in Träumen wie in fremden Feenländern schwebten, sie kehren in sich selbst in die eigentlichste Heimat zurück, und in dem Traum, der das höchste Wachen unter sich sieht, ersteht nun hier das Denkmal jener schönen Mythe, wo Gott sich mit dem ersten Menschen im Schlafe dicht verband, und sich seinem Herzen das Schöne, die Poesie, das Weib entwand. Wie hier Furcht zwischen der Ehe und ihrer Pflicht stand, so steht sie hier zwischen der Freundschaft und diesem Briefe.

Das Blatt Postpapier vor mir und ich, wir sind wohl die leichtesten Wesen in dem ganzen Umkreise, den ich überschielen kann, denn um mich sehen könnte ich um alles in der Welt nicht; von allen Seiten bin ich eingeschlossen, die Ahnherren schließen ein Bataillon carré um mich. Vor mir vereinigt sich die Linie mit Anfang und Ende. Rechts hängt der bärtige Herr Kunz von Eichenwehen, vom Kopfe bis zum Fuße in Eisen gehüllt, er hat im eisernen Zeitalter dieses Schloß erbaut, zur Linken kommt Frau von Eichenwehen mit bloßer Brustman schoß in ihrem Zeitalter nicht mehr mit eisernen Pfeilen;[18] dann kommt ein Hirschkopf, der in die Wand eingemauert ist, und ach! wer kommt nun? – das liebe schöne Mädchen, das mich hier verließ, sie hat eine Rose in der Hand, neben mir auf meinem Tische liegt auch eine – wenn ich der Maler gewesen wäre, so hätte ich der Mutter eine Spindel in die Hand gegeben, und der Tochter ein Buch, um anzuzeigen, wie Flachs Leinewand, Leinewand Lumpen, und Lumpen Bücher werden.

Sie hat ein weißes Kleid an – das war der letzte freundliche Lichtstrahl, den ich heute erblickte. Mein Blick stand auf der räucherigen Wand, als sie verschwunden war, und das Ächzen der ungeheuren Türe verschlang ihre freundliche gute Nacht und meinen Seufzer. Die Rose vor mir sieht mich so freundlich an, – o du verfluchtes Tischbein! Der Tisch hat Beine, die sich mit meinen leichten Füßen gar nicht vertragen. – Sonderbar, kaum spreche ich dieses Wort mit Schmerz und Unwillen aus, so bin ich auch schon wieder mit ihm versöhnt. Unter dem Gemälde des freundlichen Mädchens steht: Tischbein pinxit. Doch was soll das!

Ich bin in der Burg irgend eines Landedelmannes, das merkst du wohl, und fühle nur zu sehr, wie viel langweiliger es hier ohne ein gewisses Etwas wäre als bei den himmlischen Einfällen in den geschmackvollen Gemächern der einzigen Molly in B.: aber das gewisse Etwas wird in der unangenehmen Atmosphäre, wie die Rose vor mir in diesem ungeheuren Saale, wie ein einziger kleiner Stern in der dunkelsten Gewitternacht, so reizend, so freundlich, daß ich es lieber anschaue als die Sonne im Glanze des Mittags. Die Rose, der Stern tröstet mich, indes die Sonne mich nur blendete. Pfui! keine Ungerechtigkeit, sie erwärmte mich.

Dir zulieb, kalter Freund, steig ich wieder von den Stelzen herab, auf denen ich das gewisse Etwas anredete, das du am Ende dieses langen langweiligen Briefes kennen lernen sollst. Geduld!

Dein letzter Brief machte mir Vorwürfe, daß ein Weib wie Molly (du kennst sie aber gar nicht) meinen Aufenthalt in B. vierzehn Tage verlängern konnte, machte mir Vorwürfe, daß ich ein Weib bis zu den Sternen erhöbe, die frei und ohne Fesseln des Geistes, oder irgend eines Verhältnisses mit andern,[19] die verlassene Bahn der Menschlichkeit wieder betritt; die allein da steht, wo alle stehen sollten, und wo auch ich bei ihr gestanden habe. Sich selbst genug, und den meisten zuviel, lebt sie glücklich und wahr, obschon ihre Geschlechtsgenossen sie einseitig beurteilen, weil ihrem kurzsichtigen Blicke die Übersicht einer so großen, so ganzen, so harmonischen Oberfläche zu unermeßlich ist. Du sprachst als ein Freund mit mir, du wolltest retten, aus Gefahren retten, die es nur dem Schwachen werden können. Du glaubtest, ich hätte mich in die Arme der zügelloseren Liebe gestürzt – o dann hätte ich bei Molly nicht um alles bitten müssen, die nur giebt, wo sie liebt, und nur liebt, wo ihre Liebe im vollen Verstande Belohnung ist. Molly befriedigt nie Leidenschaften, wo ihre Befriedigung Menschen schaden kann. »Godwi!« sagte sie an einem Abende, an dem ich, durch ihre Freundlichkeit, durch die trauliche Anschmiegung ihrer Ideen an die meinigen und meiner Sinnlichkeit an die ihrige kühner, sehr verwegne Hoffnungen wagte: »Sie sind hier um meinetwillen, Sie sind hier ohne Zweck, erwarten Sie mehr? Ich kann Ihnen nicht mehr geben, als ich Ihnen gab, ich gab Ihnen mein Herz – nur dem, der es fassen kann, der es ganz kennt, bin ich alles, bin ich ein Weib; Sie sind weit, sehr weit davon entfernt.« Hier ward sie ruhig, und reichte mir ihre Hand, die in der meinigen bebte, in ihrem Auge glühte eine reine Flamme, die in der Träne, ach! in der Träne des Abschieds erlosch. »Sie reisen morgen, ich befehl es Ihnen«, sprach sie ernst, und stand vor mir wie mein Herr. – »Ich bitte Sie um meinet- und Ihrentwillen, folgen Sie meinen Befehlen«, fuhr sie mit einer unwiderstehlichen Anmut fort; sie hatte sich, wie die Liebe, sanft über mich herabgebogen, und nun konnte ich ohne Kühnheit die Träne des Abschieds von ihrer Wange küssen – seltsam süßer Widerspruch von Gefühlen, ihr Befehl macht mich zum Sklaven, ich muß gehen, ihre Bitte umarmt mich, hält mich fest an sie gefesselt, und indem sie mich zum Gehen bittet, wird es so süß, ihren Willen zu tun, und ich möchte doch nicht gehen.

Der Kuß des Abschieds, er war so inhaltreich, es lag das Bleiben so deutlich darin, er hatte ja die Scheideträne weggeküßt, denn was ist Scheiden anders als eine Träne, und[20] Wiedersehen anders als ein Kuß. Ach hätte ein Kuß kein Ende, Molly hätte mich gerne behalten, und vertrocknete eine Träne nicht, so könnte ich sie nicht vergessen. Es lag viel Wahrheit in dem Kusse, und da er offenbar ganz anderer Meinung als Molly war, so mußte wohl ein anderer Umstand sie zwingen, vielleicht gar die Furcht, bald durch die sinnliche Wahrheit der Küsse im Rausche der Leidenschaft die geistreiche Heuchelei ihrer Enthaltsamkeit im Rausche der Eitelkeit enthüllt zu sehen. – Süß waren ihre Lippen, es schwamm ein stilles liebendes Hingeben auf ihnen, und im Gefühle des Übergehens eines andern Wesens und seines Genusses in mich und den meinigen lag der entzückende Traum einer Ewigkeit der Wollust des Kusses. – Doch auf dem Gipfel des Rausches entsinkt uns der Becher, kalt strömt die Wirklichkeit zwischen unserer glühenden Lippe und seinem Freuden-Rande durch, reißt den letzten Tropfen los, und wir erwachen. So löste sich die Raserei des ersten und letzten Kusses. Stumm stand Molly, um sie her die Trümmer ihres stolzen Befehls, Scham färbte ihre Wange, Blässe folgte. Der Kuß hatte die Scheideträne und nicht die Scheidestunde weggenommen. Sie richtete sich auf, und so wie etwa Ludwig der Achtzehnte aussieht, wenn er in Reval über Frankreich regiert, erschien sie mir in ihrer Armut, in diesem kleinen Schiffbruche ihres Plans, der mir nicht entging bei folgenden Worten: »Godwi! Sie gehen morgen, ich bin dem Jünglinge gut, aber ihm darf nie werden, was Belohnung des handelnden Mannes ist, gekrönte Liebe. Es ist Verdienst, im Arme des Weibes ruhen zu dürfen; es ist Elend, vom Arme des Weibes ruhen zu müssen. Müssen Sie nie um zu dürfen.«

Ach wie klangen diese Sentenzen so kalt und gezwungen nach einem Kusse, der ihr Verräter war. Mir war dabei zu Mute wie dem Gaste eines geizigen Wirts, der seinen Gast berauscht glaubt, und die spätere Weinflasche, die also nach ihrer Herkunft aus dem Keller die jüngere ist, auch immer die jüngere nach ihrer Herkunft aus dem Weinberge, das heißt, ein bißchen saurer sein läßt; er denkt, der Rausch der älteren mag die jüngere betten; sehr weislich – der Chirurg betäubt uns erst die Ohrläppchen, ehe er uns die Ohrlöcher sticht; wer gern Ohrringe[21] trägt, wer gern zu Gaste geht, und wer gern küßt, muß sich das alles gefallen lassen.

Ich teile gern mit dir, sehr gern, aber nur meine Freuden. Laß mich deswegen von der Nacht schweigen, die ich gepeinigt durchwachte. Du kennst mein Talent, alles von allen Seiten anzusehen, die lachenden und weinenden Seiten jedes Gefühls und jeder Geschichte hervorzuziehen, so daß ich nie ganz glücklich und nie ganz unglücklich werden kann. Auch diese Nacht zerriß mich ein steter Gefühlswechsel. Den freundlichen Traum, der meinen Morgenschlummer umgaukelte, kann ich nicht beschreiben; wer kann das süße Licht der ersten Sonnenstrahlen nach dem Gewitter, wer den lächelnden Frieden und die holde Versöhnung malen? Ich selbst fühle nur noch unbestimmt und verwischt die rosigten Fußtapfen dieses Traums in meiner Erinnerung.

Ich saß auf meinem Pferde, die Regentropfen schlugen mir um die Nase, und der wache Donner weckte mich aus dem Seelenschlummer, in den ich versunken war. Wir können uns durch innen von außen verhüllen; eine vollfühlende Seele bedeckt den Körper mit Gefühllosigkeit. Ich kenne kalte Gesichter, ruhige Oberflächen, unter denen ein warmes Herz pocht. Stille Wasser gründen tief. Wohl dem, der kalt von außen ist, weil alle seine Flammen im Innern brennen; er ist Feuer unter der Asche, und wird keinen entzünden, sicher ruht er auf dem häuslichen Herde des Lebens. Weh dem, dessen Oberfläche kalt ist, weil Jammer und Elend eine Eisrinde um ihn gezogen haben. Scheint die Sonne, so wird leicht die Eisbahn zum Grab, und wird der Winter kälter, so stirbt das Leben auf dem Grunde des Stroms.

Mein Tiefsinn hatte mich dichter umhüllt als mein Mantel. Dieser hing über meine Schulter und ich ward über und über naß. »Was weckst du mich nicht, Conrad!« rief ich meinem Purschen zu; »da es so stürmt, und da es dir doch selbst lieb sein muß, bald in eine Herberge zu kommen.«

»Nun, Herr Junker, unsereiner tut selten, was ihm selbst lieb ist, ich habe nun einmal meinen Willen vermietet, und der Unterschied zwischen Herrn und Diener besteht darin, daß der eine seinen Willen aus Armut versetzt, und der andere ihm auf[22] dieses Pfand geliehen hat; darüber dachte ich nun so nach und lobte Gott den Herrn, daß Sie nicht immer so große Intressen von dem Pfande nehmen als jetzt.«

»Und deswegen wecktest du mich nicht?«

»Nichts vor ungut, Junker, ich dachte, wen dies liebe Wetter nicht wecken kann, der schläft nicht zum Wecken; wer von der schönsten Frau von der Welt wegreitet, der reitet nicht schnell; wer dabei einen Kuß von einer so charmanten Dame auf den Weg hat, ach! der ist so beladen, daß sein Pferd den Schritt kaum aushält.«

»Von einem Kusse weiß ich nichts.«

»Wenn Sie was davon wüßten, so hätten Sie ihn nicht gekriegt, so wüßte ich nichts davon, und hätte auch nichts gekriegt.«

»Conrad, sprich deutlich, oder ich werde Intressen von meinem Pfande nehmen.«

»Sie drohen ein Geheimnis heraus, das Sie heraus locken sollten. So will ich denn sprechen, um auch einmal großmütig gewesen zu sein. Ich war heute nacht immer um Sie her und packte ein, und konnte nicht recht begreifen, wie Sie nun so auf einmal fortwollten. Sie wälzten sich im Bette und konnten nicht schlafen, und ich dachte, wohl eben deswegen, weil Sie reisen müßten. Heute morgen überfiel Sie endlich der Schlummer, und Sie waren so freundlich dabei, daß ich mich mitfreute über den verliebten Traum, den Sie wohl haben mochten.«

»Du vergißt die Intressen; keine Bemerkung. Ja, ich träumte.«

»Nu, Herr, ich träumte fast dasselbe, nur mit halb offnen Augen. Die Türe geht leise auf, und, nun kömmts, es kommt Milady auf den Fußspitzen hereingetrippelt, in der Hand hatte sie einen Brief, den steckte sie in Ihre Brieftasche, die auf dem Nachttische lag, und, ach! nun« –

»Du kannst dir denken, lieber Römer, mit welcher Eile ich den Brief aus der Tasche zog. Welche sonderbare Adresse! »Ich beschwöre meinen lieben Godwi, diesen Brief nicht eher zu öffnen, als bis ichs ihm selbst erlaube.« Schwer, sehr schwer ward meinem Gehorsam der Sieg. Nur ihrem Befehle kann man bei dem Reize, den sie selbst gegeben, gehorchen. Nun weiter![23]

»Nun schlief ich fest, bis alles vorbei war, dann wacht ich auf, weil ich eben nicht dumm bin; und weil die Zeit zu kurz war, als daß die reifen Äpfel hätten von selbst fallen sollen, so fing ich an zu schütteln.«

»Laß dich weg aus der Geschichte, oder die Geduld geht mir aus. Was tat sie, der Engel?«

»Nun ich habe keinen gesehen, und wollte bei Gott mit Milady zufrieden sein, und alle Engel entbehren, denn sie machte mir sehr warm, als sie Sie so umarmte und küßte. Herr, wenn Sie gewacht hätten, hätten Sie ihn, den Kuß, so nicht gekriegt, das Glück kam Ihnen im Schlafe. Hier tat ich, was ich vorhin das Schütteln nannte, das heißt, ich dachte, nun ist es Zeit zu wachen und ein Lebenszeichen von sich zu geben. Ich gähnte und Milady seufzte, beide sehr laut; ich streckte mich und Milady beugte sich über Sie hin; ich wischte mir den Schlaf und Milady sich eine Träne aus den Augen. Ei, schon auf, gnädge Frau? Gott! schweig Er, Conrad! sie drückte mir ein Goldstück in die Hände; schweig Er wenigstens bis Sein Herr weg ist. Die Äpfel waren gefallen, und nun schlüpfte sie wie ein Lüftchen davon.«

»Nie mehr ein Wort hiervon. Das Geld wirst du dem Weibe wohl wiedergeben müssen, und wenn du noch einmal schüttelst, so sollen dir Stockschläge fallen.«

Ich gab meinem Pferde die Sporen, und so schnell bin ich lange nicht geritten, außer mir flogen die Gegenstände wie Augenblicke vorbei, in mir drehten sich langsam die Begriffe, Coquetterie, Betrug, Liebe, geheimnisvoller Brief. – Ach glückliche Stunde, wenn ich ihn erbrechen darf, wann wirst du erscheinen? war der einzige Zusammenhang, dessen ich mich erinnere, und ich jagte, als könnte ich die Stunde im Raume ereilen. – Ganz verschiedene Dinge treten sich in den Weg – ein Fluß, der durch den Regen so angeschwollen war, daß wir nicht durchreiten konnten, hob meine ganze Liebesqual einstweilen auf; ich ritt also links einen andern Weg, und meine Sorge schien mir wie die Straße durch den Fluß zerschnitten, und blieb rechts liegen. Reite ich nicht in die Welt, lebe ich nicht in der Welt? Soll ich etwa am Flusse harren, bis die letzte Welle vorübereilt, und soll ich etwa auf die Stunde passen, bis sie der[24] Strom der Zeit vorüberwälzt? Über unerklärbare Dinge will ich mich nicht quälen. Ich und mein Leichtsinn wurden stark genug, die ganze Geschichte einem Ausschusse, wie die Herren zu Paris, zu übergeben. Der Ausschuß bist du. – Lieber Freund, sage deine Meinung.

Der Fluß zwang uns nach einem Dorfe, das an einem Berg lag, zu reiten. Über dem Dorfe lag ein altes gotisches Schloß, das bewohnt zu sein schien, und ich träumte gar nicht mehr, weil mich die Hoffnung, bald unter ein Dach zu kommen, von aller Empfindsamkeit heilte.

Wir waren kaum einige Minuten weiter geritten, als wir einen Trupp Jäger aus dem Walde, der an der Seite der Landstraße lag, hervorspringen sahen, die ebenso sehr als wir eilten. Die Hauptperson war ein etwas bejahrter Mann, er hatte einen grünen Tressenrock, ähnlichen Jagdhut und Haarbeutel an. Er ritt immer mit einer gewissen Grandezza in kurzem Galopp an der Spitze, und wenn einer mit ihm sprechen wollte, mußte er auf die Seite reiten, nach welcher der gnädge Herr seinen Kopf drehte. Hinter ihm ritt noch ein Grünrock, der dem alten im verjüngten Maßstabe alles nachmachte, er schien mir der Herr Sohn zu sein, ein derber gesunder Landjunker mit ungeheuren Stiefeln, einem preußischen Zopfe und Tressenhut; den Zug beschlossen mehrere reitende Jäger und eine Kuppel Hunde. Die Herren ritten schnell, und wir ritten schnell, und waren kurz hinter einander, als aus der Tasche der Hauptperson eine Brieftasche fiel. Ich rief, allein das Geplätscher des häufig herabfallenden Regens und das Geräusch der Reitenden machten es ihm unhörbar. Mein Pursche hob die Brieftasche auf, und da wir mit unsern müden Pferden den Besitzer nicht mehr einholen konnten, und uns eine Schenke am Wege ein Obdach anbot, so warteten wir den Sturm ab. Der Wirt sagte mir, daß der Jäger der Besitzer des nahe liegenden Schlosses und Dorfes sei. Ich eilte nun, die Brieftasche zu überbringen und zugleich um Herberge für eine Nacht zu bitten.

Es war Abend, der Himmel hatte sich erheitert, und die Natur um uns her atmete mit vollen Zügen die Ruhe, die alles Leben nach einem heftigen Sturme so leise und so liebend umweht. Auch dein Freund war ruhig, dachte an dich, wie dir[25] diese Stunde auch Ruhe giebt, nach deinen vielen Arbeiten des Tages, und war in der Erinnerung froh bei dir.

Unsere müden Rosse arbeiteten sich mit Mühe den steilen Burgweg hinan; ein offnes Tor empfing uns, ein halb Dutzend hungrige Hofhunde bleckten uns die Zähne, und der Herr Kastellan, Kammerdiener, Minister der auswärtigen Geschäfte und Torschließer brachte diese Störer meiner Gefühle von der Ruhe in der großen Natur zur Ruhe, indem er sein Phlegma und seine tönernen Pfeifen ihnen zuwarf. Nachdem er ein bißchen geflucht hatte, und mit den Füßen auf der Erde herumgestampft, kam er auf einmal in die dritte Position, und sprach: »Herr Jost Freiherr von Eichenwehen, und Herr Jost, Stammherr von Eichenwehen, zu welchen Sie vermutlich hinzugelassen zu werden wünschten, sind soeben wieder weggeritten, weil seine Exzellenz, der Herr Freiherr, seine Brieftasche verloren, die das ganze Glück der Hochadelichen Familie, seiner Exzellenz Stammbaum, enthält, seine Exzellenz« – »Die Brieftasche habe ich gefunden, schicken Sie Herrn von Eichenwehen nach, bringen Sie die Pferde in den Stall, und zeigen Sie mir eine Stube, in der ich mich ein bißchen umkleiden kann.« Das Umkleiden mußte der Herr Kastellan nicht für nötig halten. Er führte mich etliche Wendeltreppen hinauf – unmutig und träge tappte ich seinen schwerfälligen Fußtritten nach – ach! so dreht sich die Wendeltreppe meiner Laune aus dem traulichen wollustdüstern Boudoir meines Herzens hinauf zu dem wüsten toten Leben in meinem Kopfe, dachte ich, und kaum hatte ich es gedacht, so entstand eine sonderbare Generation in mir. Ich sah mich im Durchschnitt wie den Riß eines Gebäudes, in meinem Kopfe war ein großer Redoutensaal, aber alles war vorbei, den letzten Ton des Kehraus sah ich dicht bei der Orchesterbühne meiner Ohren mit sterbendem verschossenen Gewande gähnend zur Türe hinausschleichen. Eine Menge meiner jugendlichen Plane standen verstört und mißmutig da, der Tanz war vorbei, sie hatten die Masken in den Händen, weinten aus den trüben erhitzten Augen Abspannungstränen, und guckten sich an, und gebärdeten sich wie Phöbe, Diane und Proserpina in Wielands Göttergesprächen, sie konnten nicht glauben, daß sie alle dieselben seien. Unten in meinem Herzen,[26] da war das düstere Kabinett, Molly stand da wie eine Zauberin, sie kam von dem Maskenballe herab, meine Zufriedenheit saß bei ihr, sie suchten ihre krausen Gewänder auseinander zu wickeln, die sich auf der Wendeltreppe verwickelt hatten, und zeigten beide ziemlich unziemliche Blößen. Gut, daß vor die Fenster Gardinen, aus rosenroten Träumen gewebt, gezogen waren, und der Luxus der Sinnlichkeit in dicken wohlriechenden Rauchwolken den kleinen Raum mit Nebel erfüllt hatte, man konnte sich nicht recht erkennen. Ja räuchert nur, dachte ich, Goethe sagt doch, der Herr vom Hause weiß wohl, wo es stinkt. Nun ward es ganz dunkel, das letzte Lichtstümpfchen auf dem Kronleuchter im Ballsaale war erloschen, es schimmerte kein Fünkchen mehr die Treppe herunter. – »Nun, nun, Herr Baron, wo bleiben Sie denn?« donnerte mich eine Stimme von oben herunter an, ich war aus der Wendeltreppe des Schlosses auf die meiner Laune geraten, und hatte vergessen, auf der ersten weiterzugehen, nun schlich ich vorwärts. Die breite schöne Treppe in Mollys Landhaus, wo führte die mich hin, ach! in das Amphitheater ihrer Arme, das schöne Schauspiel ihres Geistes in ihren Augen zu sehen, und diese verdammte Wendeltreppe, wo führt sie mich wohl hin? »Ich brauche Sie nicht zu melden,« sagte der Kastellan, als wir an eine kleine gotische Türe kamen, »das Fräulein hält nicht viel davon.« Das Wort Fräulein lasse ich mir nicht zweimal sagen. Schnell tröstete ich mich, daß ein Fräulein, welches dem Unangemeldeten verzeiht, wohl auch dem im Reisehabit durch die Finger sieht. Ich klopfe. »Herein!« Ein niedliches Mädchen von achtzehn Jahren hüpft mir entgegen, sie entschuldigt die Abwesenheit ihres Vaters, ich meinen Anzug. Sie setzt sich in den Erker, ich mich ihr gegenüber, auf kleine steinerne Bänke, die in der Mauer angebracht waren.

Sie: Wollen Sie Licht, es ist schon Abend.

Ich: Es ist nicht Abend in uns, wenn es Abend außer uns ist.

Sie: Was meinen Sie damit – doch Ihr Name?

Ich: Godwi.

Sie: Godwi? Dies ist ein schöner Name, ach! das ist ein schönerer Name als Eichenwehen, ich möchte wohl auch so heißen. Doch ich will Licht holen.[27]

Ich: Nein, Fräulein, lassen Sie es, es wäre eine Sünde gegen die Natur und die Stunde, die ich bei dem Untergang der Sonne mit Ihnen durchleben kann.

Sie: Nun, so lassen Sie uns denn so sitzen bleiben.

Ich: Und uns unserer Freunde erinnern, die vielleicht jetzt ebenso glücklich sind als ich und Sie – Sie verzeihen, ich meine nur durch diese schöne Naturszene. Sie haben doch auch Freunde?

Sie: O ja, aber doch nicht viele – Otilien, Sophien, und nein, das sind sie alle. – Es ist mir recht lieb, daß Sie kein Licht wollen, denn Sie hätten mir sonst meine Lieblingsstunde verdorben. Sehn Sie, so sitze ich alle Abende hier, und sehe wie ein Nönnchen in der Klause nach der untergehenden Sonne, manchmal werde ich ganz traurig; da drüben, wo Sie sitzen, da saß sonst meine gute Mutter, die war so freundlich, und wir spannen dann immer in die Wette; jetzt bin ich immer allein, und wenn die Langeweile, ach! die Langeweile – der Vater ist gut, aber er ist immer auf der Jagd, und Jost, mein Bruder – nu, der ist gar nicht freundlich. Doch Sie werden bald sehen, daß hier nur ein Jäger froh sein kann – Doch was plaudere ich – verzeihen Sie, Ihre Ankunft hat mich so überrascht, daß ich ganz verwirrt spreche.

Ich: Nein, gnädiges Fräulein, Sie sprechen nicht verwirrt. Sie sprechen eine schöne seltene Sprache, die Sprache der Wahrheit, der Unschuld und der Natur. Ich habe lange keinen Menschen, am wenigsten ein Weib, so sprechen hören, und zwar in einer Minute, wo fast alles heuchelt, in der Minute des ersten Zusammentreffens.

Sie: Es ist sonderbar – in einer andern Stunde würde ich nicht so gesprochen haben – aber hier darf ich nicht mit Fremden sitzen, und nicht in dieser Stunde, daß ich nicht so sprechen sollte, denn hier habe ich immer alles gesagt, was ich fühlte, hier hörte mir immer die Mutter zu. – Wir waren aufgestanden, ich hatte ihre Hand gefaßt, Joduno weinte ihrer Mutter eine stille Träne, sie sah in die letzten Strahlen der sinkenden Sonne, wie wir dem fliegenden Gewande eines scheidenden Freundes, der nun unserm Nachsehen verschwindet, mit nassem Blicke folgen, und drückte mir dennoch die Hand, wie einem Freunde[28] beim Wiedersehn. Mein Herz, Römer, war verloren. Die Sonne ging unter, und Herr von Eichenwehen, Vater und Sohn, kamen herauf. Joduno machte geschwind Licht, wir setzten uns in eine ehrerbietige Entfernung, indes unsere Blicke und unsere Herzen ganz dicht beisammen steckten, so dicht, daß sie seufzten. Alles dieses geschah ohne die mindeste Verabredung, wir verstanden uns, und obschon es dich wundern mag, so wunderte es mich doch nicht. Unser Zusammentreffen war ein Wiederfinden. Die Sonne war unter, und als der Vater mich bewillkommte, und der Sohn mit offnem Munde vor mir stand, waren wir schon so vertraut, daß ich mit ihr lachte, schäkerte oder seufzte, wenn der Vater den Rücken wandte. Man dankte mir beim Abendessen für meinen Fund, und bat mich mit vielen Worten, einige Tage zu bleiben; ich entschuldigte mich mit vielen Worten, daß ich morgen wieder reisen müßte. Joduno sah mich an, und ich sprach: »Recht gerne will ich bleiben, wenn ich Ihnen nicht beschwerlich falle.« Von dem Tischgespräche weiß ich nichts mehr, als daß ich mehr von meinen Ahnen erzählte, als wahr ist, daß mir der Herr Sohn nochmals für meinen Fund danken sollte, aber schon schlief, und daß sich meine Schuhspitzen mit den Fußspitzen Jodunos unterhielten.

Joduno war etwas früher vom Tische aufgestanden als ich, sie kam wieder. »Leuchte den Herrn Baron in seine Stube, Joduno« – Sonderbare Sitte – Unbefangen und ohne ein Wort zu sagen, geht sie vor mir her, eine große ungeheure Türe eröffnet sich, das Licht steht auf dem Tische, eine süße freundliche Stimme sagt: »Gute Nacht!« – das übrige weißt du. Ich hatte bei Tische gesagt, daß ich noch schreiben wollte, Joduno hatte einstweilen alles dazu auf den Tisch gelegt, selbst den Stuhl hingerückt. Neben das Papier hatte sie die schöne Rose hingelegt – hat sie den Tisch wohl auch vor ihr Bild hingerückt?

Ach die Wendeltreppe führte mich doch auch zu einer schönen Aussicht. Molly, deine Worte »Gekrönte Liebe gehört nur dem Manne« haben einen sonderbaren Doppelsinn für mich erhalten, seit ich den Hirschkopf gegen mir über habe – das Bild der lieben Joduno sieht mich so freundlich an, daß ich jetzt fast schon vor der Dunkelheit erschrecke, wenn ich das Licht auslöschen[29] werde. Gute Nacht, ich steige ins ungeheure Riesenbette, in dem vielleicht alle Herrn von Eichenwehen, und wohl auch die liebe Joduno, geboren sind, um heute abend zu sterben, und morgen früh wieder neu geboren zu sein.

Dein Godwi

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 17-30.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon