Godwi an Römer

[147] Ich bin krank, und diese Krankheit ist mir nicht schmerzlich, denn ich hoffte viel für meine Genesung, ich hoffte Genesung für meine Krankheit, und mein voriges Leben von ihr.

Ich bin nicht in dem Zeitraume zwischen diesem und meinem[147] letzten Briefe krank geworden; ich bin es, seit ich dir von meinem Spaziergange mit Tilien in den Wald schreibe, nur in dieser Minute fühle ich es, daß ich es bin.

Ich bitte dich, habe hier keine voreiligen bürgerlichen Gedanken, und denke nicht, daß ich mich sicher verkältet hätte. Es wäre mir fatal, wenn ich glauben müßte, daß in solchen Momenten man sich verkälten kann, in denen man glüht, und doch ist es leider so; aber ich will es nicht haben, daß ich es glaube, und du sollst es mir zum Gefallen tun, und es nicht glauben.

Meine Spannung, meine Überspannung, meine Abspannung und ein Schrecken, dessen Ursache nur in dem natürlichsten und künstlichsten Zustande uns eine ruhige Ansicht sein kann, hat mich krank gemacht.

Tilie verpflegt mich und der Knabe. Der einzige Arzt in der Gegend ist der, der Tiliens Mutter, wie Werdo glaubt, umgebracht hat, und der Alte kann ihn daher nicht leiden; doch hat sie ihn einigemal heimlich zu mir gebracht, nur um ihn zu fragen, ob meine Krankheit gefährlich sei; aber er versteht nichts davon. Er sagt, es käme ganz allein von meinem Leben mit den seltsamen Menschen hier oben, die alle nicht klug seien, das habe mich angesteckt, und der Geist wirke auf den Körper, und – er wäre ein Schafskopf, dachte ich.

Seine Arzneien glaubte ich lange genommen zu haben, und war meiner Genesung schon nah, da sagte mir der Knabe, daß die Tränke alle von Tilien seien; er suche die Kräuter und sie koche sie.

Ich habe nur einen Tag zu Bette gelegen, und länger konnte ich auch nicht; denn könntest du wohl ruhig liegen bleiben wenn sich dir von jeder Seite deines Lagers eine weite, herrliche Aussicht öffnet, die mit allen Punkten ihres Eingangs dich ergreift, und mit Gewalt, den Eindruck und sich selbst immer mehr vereinzelnd, dich in den einzigen Punkt der Perspektive ihres Ausgangs hinreißt?

Ich habe mancherlei gedacht, indem ich so hinaussah, über Aussichten, ihre Ansicht und ihren Genuß, aber ich habe dennoch keine Ideen über Landschaften gehabt. Es ist wunderbar und macht mich immer für meine Nebenmenschen in der Gegenwart[148] unnütz, daß ich nie eine Sache an sich selbst betrachte, sondern immer im Bezuge auf etwas Unbekanntes, Ewiges; und überhaupt kann ich gar nichts betrachten, sondern ich muß drinnen herumgehen, denn auf jedem Punkte möchte ich leben und sterben, der mir lieb ist, und so komme ich dann nimmer zur Ruhe, weil mit jedem Schritte, den ich vorwärtstue, der Endpunkt der Perspektive einen Schritt vorwärtstut.

Nur der Mensch kann glücklich und ruhig werden, der etwas ansehen kann, und der nicht den Drang in sich hat, daß ihm alle Ferne Nähe sei.

Aus eben derselben Art zu fühlen kann ich auch nie spielen, weil ich platterdings mich nie entschließen kann, den anerkannten Zweck des Spiels für mich als Zweck und den Gewinst für mich als Gewinst gelten zu lassen. So stelle ich mir immer unter den Figuren des Schachbretts eine Menge Charaktere vor, die ich durch mein Spiel, gegen den gegenarbeitenden Mitspieler, der mir das Schicksal vorstellt, in eine dramatische Zusammenstellung zu bringen suche, und so weiß mein Gegner nie, wie ich nur so dumm spielen kann, gerade wenn ich am zufriedensten bin, und mein Held recht herrlich dasteht. Es wird dann meistens ein Trauerspiel, und ich stehe recht gerührt und mit tiefen Betrachtungen über das Geschick auf, während mein Gegner mir vorwirft, daß ich geizig sei, und unzufrieden, wenn ich gleich meinen Verlust selbst verschuldet hätte. So wie mancher Dichter allein seine Werke versteht, und tief gerührt von seinen Geburten, dem Publikum die gutmütige Äußerung abgewinnt, wenn er nur etwas Lesbareres schrieb, da würde er nicht vor Armut Tränen weinen.

Auch mit dem Billardspielen geht mir es so; ich möchte immer gerne mit den schönen weißen Bällen irgend eine Gestirnstellung auf der grünen Fläche hervorbringen, und der andere stößt mir alles in die Löcher.

Ich schrieb dir meine Krankheit mit Fleiß nicht eher, bis ich wußte, daß ich leben bleiben mußte, und wäre ich gestorben, so hättest du nichts davon erfahren, denn nur im Vergessen wird man glücklich.

Hier folgt die Fortsetzung meines Tagebuchs, und – lebe wohl!

Godwi[149]

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 147-150.
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