Godwi an Römer

[154] Ich bin schon wieder genesen. Ich gehe schon wieder durch Wald und Flur, und ohne Mühe, ohne Kampf mit dem vorigen. Auch mein Körper ist sanfter gestimmt. Alles ist einfacher in mir. Ich kann lange an einer Stelle stehen, ohne jene innere Angst, die mich immer weitertreibt.

O wie ist die Natur so groß, und wie ist der Mensch größer! Wie kann er sie bändigen in sich; wie kann er weit hinaus sehen, und so unendlich viel in sein Auge fassen, und es mit seinem Geiste ruhig anfühlen und betrachten.

Es ist mir nun alles erklärbar, alles verstehe ich; es hängen mir nicht mehr um jede Aussicht alle Erinnerungen, und reißen mich von der Gegenwart gewaltsam zurück.

Sonst mußte ich immer durch eine düstere Wolke von Reflexionen durchbrechen, um zu genießen. Es ist, als sei nach[154] dieser Krankheit mein Bedürfnis kleiner und mein Begehren heftiger geworden.

Der Alte ist nun immer freundlicher mit mir, und ich bringe heilige Stunden mit ihm und Tilien zu.

Eins nur kann ich noch nicht lösen; wer war sie, die mit dem Knaben auf dem Arm am Ende der Wiese stand? –

Godwi

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 154-155.
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