Römer an Godwi

[193] Mein letzter Brief war ein wenig toll, lieber Godwi, aber ich kann es gar nicht anders einrichten; ich verliere mich so in das Wesen hier, daß ich fast Maß und Ziel vergesse, und hätte ich nur Zeit, mich ein wenig mit einer einzigen von allen den Weibern zu beschäftigen, so würde mich vielleicht eine einzige fesseln, aber so bin ich immer in eine ganze Tapete mit eingewebet, alle Augenblick fliegt eine andre wie ein Weberschiff an mir vorüber, und reißt mich hin, an ihrem Punkte mein Kolorit herzugeben; bald muß ich ein Stückchen Blume, bald einen Punkt im Auge, bald einen Funken, bald eine Perle vorstellen helfen.

Es wird dir, glaube ich, wohltun, oben auf deinem Berge, wo du halb im Himmel steckst, solche Menschenbilder zu sehen, und du kannst Tilien meine Portraits vorlesen, die ohnedies keine Weiber als Joduno und deine Molly kennt, und keine Männer als dich und den Landjunker.

Es sind drei Söhne im Hause; die übrigen, zu denen der gehört, der einen Brief geschrieben hat, den du auch geschrieben haben könntest, sind in der Fremde.[193] Ich will dir die drei ein wenig einteilen, in den Allzudeutlichen, den Deutlichen und den Undeutlichen.

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 193-194.
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