Zweiter Band

[211] Herausgegeben von den Freunden des Verstorbenen, mit Nachrichten, von seinem Leben, seinen Arbeiten und seinem Tode[211]



An B.

unabhängige Dedikazion[213]


Es ist unstreitig ein reiner Enthusiasmus in mir, denn jeder heller froher Anklang von außen öffnet alle Schleusen meiner Seele, das Leben dringt dann von allen Seiten wohltuend in raschen Strömen auf mich ein, und meine Äußerung ergießt sich ihm in gleicher Freude. Ich fühle dann keinen Druck, keine Gewalt, weder eine Erniedrigung, noch eine Überlegenheit. Ach! in solchen Momenten habe ich nur eine Reflexion, sie ist Segen, den ich über mein Dasein ausspreche, und ich fühle dann Egmonts Gebet durch alle meine Adern strömen, ich lebe dann die Worte:

So ist es mir, wenn sich ein frohes Gemüt, dem die ausübende Kunst das Höchste zur lebendigen Kraft, zum bewußtlosen Innewohnen geschaffen hat, rein und mit klopfenden warmen Pulsen um mich bewegt, und in leichten Spielen ohne Studium ein Leben vor mir entfaltet, dem das Abstrakte durch eine glückliche Beugung der Formen zum lebendigen Elemente ward. Die Minuten, in denen ich mich in ihr verloren fühle, unter den Strahlen seiner gesunden Freude leichter atme, die Minuten, in denen ich vergesse, daß seine Schönheit auch der Mühe errungenes Kind ist, sind die einzigen, die ich vertraulich mit dem Leben umgehe und nicht ein unwillkürlicher Kummer auf meiner Seele liegt. Ich verzweifle dann nicht an meiner Fähigkeit, die großen Werke der Künstler erschüttern mich nicht, und in meiner Brust ist hell und deutlich geschrieben: Dahin magst du auch noch gelangen; die Werke der großen Meister erscheinen mir dann wie ferne Städte, nach denen sich mein wanderndes Leben hinsehnt, und die ich in warmen Frühlingstagen wohl auch noch erreichen möge.

Wenn dein holdes Bild vor mich tritt, meine Liebe, so ist mir, als harrtest du meiner dort, als wohntest du in jenen glänzenden Städten, sie wären deine Heimat, du sehntest dich nicht heraus: wie eine schöne wunderbare Blume bewachte dich der Genius der heiligen Fremde und verehrte dich in geheimnisreichem Gottesdienste.


Als hohe in sich selbst verwandte Mächte

In heilger Ordnung bildend sich gereiht,

Entzündete im wechslenden Geschlechte

Die Liebe lebende Beweglichkeit[215]

Und ward im Beten tiefgeheimer Nächte

Dem Menschen jene Fremde eingeweiht;

Ein stilles Heimweh ist mit dir geboren,

Hast du gleich früh den Wanderstab verloren.


Die Töne ziehn dich hin, in sanften Wellen

Rauscht leis ihr Strom in Ufern von Kristall,

Sirenen buhlen mit der Fahrt Gesellen,

Aus Bergestiefen grüßt sie das Metall,

Der Donner betet, ihre Segel schwellen,

Aus Ferne ruft der ernste Widerhall;

Die Wimpeln wehn in bunten Melodieen,

O wolltest du mit in die Fremde ziehen.


Die Farben spannen Netze aus und winken

Dir mit des Aufgangs lebenstrunknem Blick,

In ihren Strahlen Brüderschaft zu trinken.

Am Berge weilen sie und sehn zurück –

Willst du nicht auch zur Heimat niedersinken?

Denn von den Sternen dämmert dein Geschick;

Die fremde Heimat, spricht es, zu ergründen,

Sollst du des Lichtes Söhnen dich verbünden.


Auch magst du leicht das Vaterland erringen,

Hast du der Felsen hartes Herz besiegt,

Der Marmor wird in süßem Schmerz erklingen,

Der tot und stumm in deinem Wege liegt:

Wenn deine Arme glühend ihn umschlingen,

Daß er sich deinem Bilde liebend schmiegt,

Dann führt dich gern zu jenen fremden Landen

Dein Gott, du selbst, aus ihm und dir erstanden.


Dich schreckt so stiller Gang, so schwer Bemühen,

Du sehnest dich in alle Liebe hin,

Des Marmors kalte Lippe will nicht glühen,

Die Farbe spottet deiner Hände Sinn,

Die Töne singen Liebe dir und fliehen;

Gewinnst du nicht, so werde selbst Gewinn,

Entwickle dich in Form, und Licht, und Tönen,

So wird der Heimat Bürgerkranz dich krönen.


O freier Geist, du unerfaßlich Leben,

Gesang der Farbe, Formen-Harmonie,[216]

Gestalt des Tons, du hell lebendig Weben

In Nacht und Tod, in Stummheit Melodie,

In meines Busens Saiten tonlos Beben,

Ersteh in meiner Seele Poesie:

Laß mich in ihrer Göttin Wort sie grüßen,

Daß sich der Heimat Tore mir erschließen.


Ein guter Bürger will ich Freiheit singen,

Der Liebe Freiheit, die in Fremde rang,

Will in der Schönheit Grenzen Kränze schlingen

Um meinen Ruf, des Lebens tiefsten Klang

Mir eignen, ihn mit Lied und Lieb erringen,

Bis brautlich ganz in Wonne mein Gesang,

Gelöst in Lust und Schmerz das Widerstreben,

Und eigner Schöpfung Leben niederschweben.


Du sollst dies Buch nicht lesen, denn ich liebe dich, und was ich in dir liebe, ist dieses Buch Unwert, und der Wert des Lebens, die Poesie – daß ich hier zu dir spreche, ist meines Herzens innrer Drang, du hast mich gefangen, und bist mir die höchste Lehre. O ich möchte dichten, wie du da stehst, wie du wandelst und blickst, ich möchte denken, wie du gedacht bist, und bilden, wie du geschaffen bist.

Wie freundlich würde dann mein Werk mir in die Augen sehn, wie würdig sich dem Gedanken des Gebildeten in seiner Unschuld gesellen, denn Würde ist Unschuld der freien Hoheit; wie würde ich mein innres Leben gleich der Mutter meines Werkes verehren, und es rein erhalten von dem Übermute einzelner Kräfte, die roh und gewaltig wie ewiger Sturm die schöne Tätigkeit der Ruhe in mir vernichten. Ich würde mich selbst schätzen, um des Schatzes willen, der in dem Menschen und der Natur verborgen liegt, aus dem ich glänzende Edelsteine zu Tage gefördert, sie geschliffen und zu künstlichen Geschmeiden meiner Liebe, meines Lebens, aller Liebe und alles Lebens gebildet hätte.

Dir würde ich den herrlichen Schmuck anlegen, und du wärest eins mit diesem Schmucke. In deinem Auge und dem Diamant bricht sich der leuchtende Strahl, aber mein Diamant würde blicken wie dein Aug, mein Werk würde schweben wie[217] dein Gang, wie deine Lippe würde es singen, den Sinn würde es hinabziehen wie die Woge deines Busens, es würde umfassen wie dein Arm, und lieben wie dein Kuß; rein wäre mein Werk, groß, von sich selbst durchdrungen, und vom ganzen Leben tätig begrenzt, wie die Seele des Menschen.

Ich fühle tief in meinem Herzen, wie die Jünglinge jetzt dastehen, da sich die Zeiten trennen und die Philosophie mit der Reflexion alle Töpfe des Prometheus zerschlägt; traurig sehn sie ihr kindisches Bilden zertrümmert, und vergehen in weinerlichem Enthusiasmus. Gerne möchten sie das Feuer vom Himmel stehlen, und fürchten, daß der schreckliche Gott sie an den Felsen schmiede, des Geiers ewige Nahrung. –

O ihr hängt schon an dem Felsen, unbeweglich seht ihr den Wechsel des Tages und des Jahres: weder der leichte Flug des Vogels über eurem Haupte, noch das Rauschen des Stroms, der des Himmels Spiegel zu euern Füßen wälzt, löst eures Todes Band. Ihr vermögt nicht die Blume des Tales zu ergreifen, denn eure Hand erreicht kaum den blühenden Dorn neben eurem Lager. Ihr blicket nieder in das Getümmel der Schlacht mit Sehnsucht nach gekrönter Tat, und die Trommeten des Kampfes zerreißen euch das Herz. Ihr blicket nieder in die Gebüsche, wo Hirten in Liebe spielen, und die Flöte des Hirten zerreißt euer Herz.

Hoch seid ihr erhaben über die Aussicht, aber ihr seid an den Felsen geschmiedet, die Welt habt ihr erschaffen, die euch erschaffen sollte, und sie zielet mit Pfeilen des Todes auf euch, der Geier der Reflexion zernagt euer ewig wiederkehrendes Herz.

Wohl mir, meine Liebe, daß ich keiner von diesen bin, daß ich noch lieben kann, und fühlen im Ganzen, ein volles Leben mit vollem Herzen umarmen, und daß jedes Einzelne getrennt vom schönen Körper, und zergliedert, mich wie tot zurückschreckt. – Erschafft mich die Welt, oder ich sie? – Die Frage sei die älteste und verliere sich in die dunklen Zeiten meines Lebens, wo keine Liebe war, und die Kunst von dem Bedürfnisse hervorgerufen ward. – Du bist meine Welt, und du sollst mich erschaffen; o bewege dich, öffne mir die Augen, oder sieh nach deinen Lieblingen den Blumen. –


Hyazinth

[218] Wende die hellen,

Heiligen Augen

Zu deiner Liebe,

Daß ich erkenne,

Wie mir das Schicksal

Leben und Liebe

Gütig verteilt.


Schone nicht meiner,

Wende dich zu mir,

Daß ich im Strahle

Liebend erblinde,

Nicht mehr betrachte,

Wie sich das törichte

Leben bewegt.


Scheint dann die Sonne,

Duftet der Frühling,

Wehet die Kühle,

O so erfind ich

Heimlich im Herzen

Glühende Rosen,

Blüten und Blätter,

Dir zu dem Kranz.


Wie sie der Frühling,

Den du entzündet,

Freundlich mir bietet,

Wie sie mir färbet

Glänzend, bescheiden,

Glühend und hoffend

Die Phantasie,

Wie sie mir ordnet,

Festliche Andacht.


Keiner mag wissen,

Was ich im Herzen

Dir nur bewahre,

Keiner verstehen,

Was ich den glühenden[219]

Rosen, den Blüten,

Was ich den kühlenden

Blättern vertraut.


Keiner begleite

Führend den Blinden,

Einsam und ruhend

Will ich verweilen,

Wo du die Augen

Liebend mir schlossest,

Wo du das Leben

Mir in dem Busen

Liebend erschlossest.


Still wie die Blumen

Einsam nur leben,

Freundlichen Kindern

Liebe Gesellen,

Zärtlicher Mädchen

Holde Vertraute,

Und des Vergehens

Schönste Bedeutung

Will ich vergehn.


Schone nicht meiner,

Wende dich von mir,

Daß ich im Dunkel

Berge die Tränen,

Daß ich umschattet

Betend erwarte,

Wie mir geschehe!


Wer mir erglänzet,

Erblühet das Leben,

Blumen eröffnen

Die duftenden Augen.

Glühende Rosen,

Blüten und Blätter,

Zeigst du mir freundlich

Von mir gewandt.


Alle sie pfleg ich,

Verwandle[220] Und bild ich,

Dichtend die eine

Der andren in Liebe

Gattend, und webe

Aus deinen Lieblingen

Zart dir ein Lied.


Und in dem Liede

Werde ich singen,

Wie sich die Göttin

Von mir gewendet,

Wie ich im Dunkeln

Einsam nun stehe,

Wie sie nur glühenden

Rosen, nur Blüten,

Wie sie nur kühlenden

Blättern vertraut.


Werde dir singen,

Wie du mit Liebe

Unter den Blumen

Deinen Getreuen

Einst noch erblickest

Und mit den hellen,

Strahlenden Augen

Auf ihm verweilst.


Zephirus liebt mich:

Als mit den Blumen

Scherzend er spielte,

Hat er mich kindisch,

Scherzend geküsset,

Weil ich so emsig

Blumen verwebte

In deinen Kranz.


Aber Apollo,

Der wohl die mutigen,

Singenden, ringenden,

Freundlichen Knaben

Liebend umarmet,

Spielt auch mit mir,[221]

Lehrt mich die Pfeile

Schießen, den Diskus

Werfen zum Ziel.


Zephirus eifert,

Daß ich dem ernsten,

Herrlichen Gotte

Mich nur geselle,

Und in den Blumen

Nicht mehr ihn küsse,

Nicht mehr des Lebens

Freuden hinwehe,

Daß sie erwogen,

Ein lustiges Meer.


Und mit Apollo

Werf ich den Diskus,

Und in dem Herzen

Fühl ich dich näher,

Fühle mit süßen

Ahnenden Schmerzen,

Wie ich dir nah. –


Sieh, wie schon kreiset

Höher der Diskus.

Zephirus eifert,

Wirft mir die Scheibe

Tödlich umnachtend

Auf die erhobene,

Blickende Stirn.


Und in dem Busen

Brechen die Saiten,

Die mir Apollo

Liebend verliehen,

Nieder am Boden

Lieg ich erkaltet,

Und mir zur Seite

Trauert der Gott.


Will mich dem ernsten,

Finsteren Tode[222]

Nicht überlassen,

Wandelt mich liebend

Zur Hyazinthe;

Zephirus küßt mich,

Nun mit den andern.


Unter den Blumen,

Die du nur liebest,

Weile ich stille –

Trink' mit den glühenden

Rosen, den Blüten,

Und mit den kühlenden

Blättern dein Licht.


Wende die hellen,

Heiligen Augen

Zu deiner Liebe,

Daß ich erkenne,

Wie mir das Schicksal

Leben und Liebe

Gütig verteilt.[223]


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 211-225.
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