Dreiundzwanzigstes Kapitel

[334] Annonciata an Marien


Was machst du, liebe Marie? Mir muß es nicht gut gehen, denn ich frage, was du machst, und weiß es doch. Du bist glücklich und liebst Josephen; o! schreibe mir doch und frage, wie mir ist, recht mit Liebe frage, vielleicht wende ich mich dann in mich, und erfahre, wie mir ist.

Jeder Tag wie der andere, Wallpurgis geht dem Grabe entgegen. Ach sie ist so liebenswürdig in ihrem Sterben, das Leben will sie nicht lassen, denn sie ist allem so freundlich. Es ist, als[334] stände der Frühling zu Füßen ihres Lagers, und wolle sie nicht sterben lassen. Sie ist krank wie ein Weib, und wird auch so sterben, sie fühlt es und ist ruhig; aber was sie zerreißt, ist das Leben, denn sie liebt ohne Hoffnung.

Ich erzählte ihr gestern von dir und Josephen, wie ihr so glücklich seid; sie bat mich dringend darum, und der Arzt will, daß man ihr allen Willen tue. Als ich fertig war, gab sie mir die goldne Halsnadel für Josephen, und die Ohrringe für dich, die hier beiliegen; sie nahm beides von sich, und weinte dann sehr. Sie liebt einen jungen Edelmann, der es auch verdienen soll; aber wer verdient, daß die Jugend um ihn sterbe?

O! es ist ein Jammer, Marie, wie Wallpurgis aussieht, bleich und abgezehrt, die schönen langen Haare verwirrt, und die herrlichen Augen erloschen. Die Gräfin möchte verrückt werden vor Kummer. Mir tut es nichts, es ist mir nur fremd zu Mute; wenn ich es selbst wäre, würde ich noch ruhiger sein.

Das Schrecklichste ist, wenn sie oft plötzlich auflebt, und der Gedanke an den Tod ihr fürchterlich wird. Sonst weilt sie oft halbe Tage in einer ruhigen Betrachtung des Todes, und spricht mit einer schönen Rührung von ihm, so daß man gern sterben möchte, wenn es so ist; aber dann faßt sie plötzlich der Gedanke, wie das Leben lächelte, da ihre Liebe noch jung und er mit ihr war. In einer solchen Minute sagte sie jüngst zu mir:

»Ach ich kann doch nicht sterben, so sterben ohne Freude, ohne Liebe; wenn du wüßtest, Annonciata! wie ich meine Kinder lieben könnte, wie sie schön sein würden und freundlich, und sich die ganze Welt ihrer freuen müßte – aber das ist alles nicht, und ich muß wohl sterben, nicht wahr, Annonciata!«

Was soll ich dann sagen? ich, die unbekannt ist mit Leben und Tod, und mit Liebe – »Alles ist schön in einem solchen Herzen, Wallpurgis,« sage ich dann, »nur die Trennung ist Schmerz, und alles Erreichte ist Glückseligkeit und Schönheit.«

Da erwiderte sie:

»Schweige, Annonciata, ich werde nichts erreichen, auch über dem Grabe nichts, ich werde auch dort herumgehen, und so fort immer sterben.«

Jüngst sagte sie auch:

»Ich quäle dich recht mit meinem Elend, aber wenn du jenen[335] Mann kenntest, du wärest auch so. Gott gebe, daß ich nach dem Tode hier sein könne, so will ich dir alles vergelten, ich will dich mit sanfter Stille erfüllen, und dich stärken gegen die Liebe; denn sieh, wir Mädchen sind recht arm in der Liebe, wenn wir lieben können. Wir sind wie die Blumen, die nimmer sagen können, wie es ihnen ist; wir blicken den Himmel mit schönen Farben an, und sterben.«

Solchen Worten soll ich Trost geben? solchen Worten? die mein Trost sind – »Du hast recht, Wallpurgis,« sage ich, »auch ich fühle, wie es sich in meinem Herzen regt, und wie sich meine Gedanken ausbreiten in einer andern Welt, auf welche die Blume nur hinweist, und dann verwelkt. Doch ist mein Herz stolz auf dieses Zeugnis eines höhern Zusammenhangs, und ich will mich seiner als eines edleren Gedankens erfreuen, wenn mich keiner lieben sollte.«

Gestern war sie mit mir im Garten, sie sprach kein Wort, und setzte sich mit mir mitten unter die Blumen. Es war rührend zu sehen, wie sie leise mit den müden Augen über sie hinblickte, bei einzelnen sinnend verweilte, und keine Träne in ihr Auge kam.

Da ich sie fragte, warum sie so nachdenklich sei, sprach sie lange, und erklärte mir ihre Gedanken; es war ihr schon oft so bei den Blumen gewesen, und sie gab mir nachher ihr Tagebuch, wo sie folgendes hineingeschrieben hatte:

»Ich weiß nicht, woher es kömmt, aber es ist wunderbar, was ich vieles empfinde, wenn ich so über die mancherlei Blumen hinsehe. Mein Denken verliert sich dann, in jedem Kelche ertrinken einige Begriffe von mir, und ich fühle mich leichter als vorher, und willenloser müde. Manchmal sehe ich meinem Gedanken ordentlich zu, wie er sich auf dem sanften Rande der Lilie kindisch schaukelt; aber bald ängstigt ihn die Welt um ihn herum, es ist ihm, als wären alle Bäume und Berge, ja alles, die ganze Erde eine Kette von gebundnen Ewigkeiten, und er hält sich bange am samtnen Blumenblatte fest. Dann fühle ich, wie er die Blicke aufwärtshebt, und sich nicht mehr erhalten kann; es ist ihm, als stürze er in den Abgrund der Höhe, über ihm schwimmt das öde Meer des Rausches, der noch in keiner Traube war, und der Liebe, die noch in keinem Körper webte,[336] und dieses Meeres Wogen brausen ohne Ton, und Gestaltenstrudel ohne Umriß wühlen in ihm. Aus allen Tiefen streckten glänzende Polypen ihre Arme nach dem Gedanken aus, und wo sich die wilden Wogen trennten, war es, als stürzten blitzende Pfeile nach ihm herüber, die ihm das Innre mit süßem Tode impften, und näher, wo das Meer ihm um die Locken spielte, da trennt es sich, und öffnet sich ihm ein heller Schacht durch den öden wühlenden Kampf, in den er gelinde hinabsinkt. Von allen Seiten drängen blühende Gestalten aus des Schachtes Wänden, und alle grüßen ihn wie einen Freund von Ewigkeit, und jede reicht die Arme nach ihm aus, und er ruht in aller Armen, auch will ihm jede der Gestalten einen ewgen Weg zeigen; doch weilt er nicht, und sinkt hinabgezogen in dichterischer Wollust immer tiefer, bis daß er in dem Grunde ruht. Er schaut nun aufwärts durch den Schacht, und alle die Gestalten sieht er wie zwei Säulen emporsteigen, zwei herrliche Bäume, auf deren einem holde Mädchen wie Blüten und Früchte auseinander dringen, und auf dem andern Jünglinge; und wie die beiden tausendarmichten Leben ineinander rauschen, verschwinden ihm die Blicke, er fühlt um sich ein wunderbares Weben, das höher ist als alle die Gestalten, die nun ein einziger Baum vor ihm zu werden scheinen, und er fühlt, wie sich des Baumes Wurzeln unter ihm regen, und umarmt bange den lebendigen Stamm, damit ihr geheimnisvolles Treiben ihn nicht verschlinge, und blickt er aufwärts, so betet er, und blickt er nieder, so schwindet er in dem Gewirre der Wurzeln, die wie lichte Schlangen um ihn wühlen, und schafft, und wo er schuf, dringen goldne Blitze aufwärts, klingend schießen sie in die Höhe, und leuchten an dem herrlichen Stamme bis zu dem Gipfel empor, der in der Glut sich wieder in die beiden ersten Leben löst. Da fühlt er sich nicht mehr, die leuchtenden Schlangen der Wurzeln umschlingen ihn, und eine freundlicher und dringender schmiegt sich um seine Brust, flößt aus dem wollüstig gewundnen Leben, das sie in tausend Lüsten um ihn windet, den süßen Tod verwandelnd ihm in die Lippen – da sah ich ihn nicht mehr, hinab blickte ich in den Kelch der Blume, wo er im stillen Tode lag, und der Auferstehung harrte, welche goldne Bienen singen werden.«[337]

So sprach sie, und fuhr fort:

»Sieh, Annonciata, und als ich weiter blickte, so war ich immer weniger, denn an jedem Kelche mußte ich ein Kind meiner Seele zurücklassen als ein Opfer des Todes. Als ich bei einer Blume niederblickte dem traurigsten Gedanken nach, denn er hatte alle andere überlebt, so war mir, als sähe ich mich selbst im Kelch der Blume liegen, eine andere Blume blickte nieder in mein zartes Grab, in das sie kühle Tränen träufelte, und ich empfand Erinnerung über den Rand der Blume hinüber wie Ahndung in mir weben.«

Da Wallpurgis so gesprochen hatte, war sie sehr schwach, und ich trug sie in meinen Armen nach ihrer Stube. Ich konnte nicht begreifen, daß sie bald nun nicht mehr sein würde, jetzt noch in meinen Armen warm liebend und denkend, und bald alles das vorüber, – schon die leuchtende Schlange der Wurzel sich um sie schlingend, ihre blassen zarten Lippen schon offen dem süßen verwandelnden Tode.

Da ich in der Stube war, legte ich sie nieder, und fühlte mich zu ihren Lippen gezogen, ich wollte sie küssen, aber sie erschrack heftig dabei und drängte mich mit den Worten zurück:

»O lebe! lebe! daß die Meinige zurückbleibe, denn zwei solche können nicht sterben, nicht leben, laß uns die Welten verbinden.« Sie war heftig gereizt, ich rief den Arzt, der nun im Hause wohnt, er war über ihren Zustand sehr verlegen. Ich konnte nicht mehr zugegensein, ihre Mutter ging zu ihr, und ich trat in den Garten. Da ich an die Stelle kam, wo wir gesessen hatten, fiel mir Wallpurgis Rede ein, und ich betrachtete die Blumen aufmerksam. Da steht ein Rosenstock, den sie einstens selbst gepflanzt, und seither immer gepflegt hatte, in der letzten Zeit aber, da sie der Liebe erlag, vernachlässigte sie ihn, und er war umgekommen bis auf einen Zweig, der eine weiße Rose trug, die dem Verwelken nahe war. In dieser Blume schien sie sich gesehen zu haben, denn neben ihr steht eine Lilie, die ich pflanzte, als wir uns das erstemal sahen, die Lilie beugt das Haupt nieder, und leert ihren Kelch über der Rose aus sie ahndete ihren Tod, und mir ist es ebenso.

Mir war eigentlich nur stille zu Mute, traurig nicht, dies Wesen ist nun schon ganz mein Leben, und man kann in jedem[338] Leben zur ruhigen Erhebung gelangen. Ich setzte mich in das Gartenhaus, dessen Fenster auf die Landstraße geht, und schlief allmählich ein. Ich möchte vergehen, Marie, vor Ärger, plötzlich störte mich etwas, ich erwachte: ein Mann hatte mich vertraulich umschlungen, und küßte mich, ich schrie um Hülfe, und er sprang zum offen stehenden Gartenfenster mit einer lächerlichen Leichtigkeit hinaus. Es war so närrisch, daß ich mich umsehen mußte, da hörte ich ihn in den Büschen singen:


Non gridate per aiuto

O lo farò senz' ogn' aiuto.


Ich empfand nie einen lächerlichern Widerwillen, die Bedienten der Gräfin liefen ihm nach, aber sie fanden niemand.

Ich habe dies gleich nach dem abgeschmackten Vorfalle geschrieben, und jetzt will ich Wallpurgis noch gute Nacht sagen. Lebe wohl! grüße Joseph, und sag dem Vater, ich wäre wieder ruhig. Ich bin gerne hier, denn dieser Aufenthalt stärkt mich für mein ganzes Leben.

Annonciata


Marie ward sehr traurig durch diesen Brief, so auch Joseph und der Vater; dieser sagte:

»Man sollte nicht denken, was die Umgebung der Mutter auf das Kind für einen Eindruck machte. Einige Monate lang vor Annonciatens Geburt war ihre Mutter sehr traurig über den Tod ihrer Eltern, und bald darauf des jungen B. wegen, der sich aus Liebe zu ihr das Leben nahm; so ist das Mädchen in Kummer und Ängsten geworden, und muß nun ewig das Zeugnis davon in ihrem trüben Gemüte tragen.«

Bald hierauf kam noch ein Brief von der Gräfin selbst: sie bat Wellner, ihr Annonciaten noch zu lassen, weil ihre Tochter gewiß früher ohne sie sterben würde; sie lobte dabei sehr Annonciatens vortreffliche Seele und versprach, ihr einstens alles zu vergelten.

Da einige Tage nachher die Zeit von Josephs Abreise sehr nahe war, und der Vater sehr gern den Genueser mit Annonciaten bekannt gemacht hätte, so nahm er den Vorwand, daß Joseph sie noch einmal sehen müsse, und fuhr mit ihm, Marien und dem Italiäner nach dem Gute.[339]

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 334-340.
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