Einundzwanzigstes Kapitel

[323] Georg, der stille Diener, brachte mir die Laute, er hatte sie selbst aus dem Jagdhause geholt, wo sie, wie er sagte, noch von Kordelien her in einem Winkel gestanden habe.

Es war ein schönes großes Instrument, und die gothischen Schnirkel, welche die Resonanzöffnung verschlossen, waren fein mit Gold und Elfenbein durchzogen. Eine recht freundliche Idee war, daß durch dieses Gitter alle Töne in Gestalt kleiner Engelsköpfe heraussahen, als seien sie wie himmlische Kinder hineingebannt, und sängen liebliche Lieder durch das Gitter; sie öffneten nach der Reihe die Lippen recht kräftig und immer feiner, wie auch ihre Gesichter die Höhe und Tiefe des Tons durch das Alter ausdrückten. Der Steg stellte eine Äolsharfe vor, hinter der eine lauschende Jungfrau auf den Arm gestützt in schlafender Stellung lag.

Ich brachte die Saiten mit Vergnügen in Ordnung, und ergötzte mich an dem ruhigen vollen Tone des Instruments. Ich war mit ihm in den Garten gegangen, denn meine ersten Akkorde opferte ich wie eine Libation eurem Angedenken, schwesterliche Seelen! Ich hatte lange nicht gespielt, und es war mir, als erwache ein entschlummertes Götterbild in mir, und breite mit Wollust die Arme wieder wirkend und schaffend aus. Es war schon dunkel, und die Töne schienen die Dämmerung zu heben. Ich sang das herrliche katholische Mutter-Gottes-Lied:


Ave maris stella etc.

Meerstern, ich dich grüße usw.


Dann ging ich zurück, und wir schickten uns nach Tische an, Habern seine Buße bestehen zu lassen. Die Sache ward recht lustig, er kam oben ans Fenster in ein Bettuch gewickelt, als jage ich ihn aus dem Schlafe, und wir sangen wechselsweise zur Laute folgendes scherzhafte italiänische Lied, wie ich es in der Eile im Deutschen nachgeahmt hatte.


Giacinto:


Dorme la bella, Amor, deh tu con l'ali

Rinfresca tal'hor l'aria, e fagli vento,[323]

Acciochè dell' estate alcun tormento

Non risenta la Dea, ch'è tra mortali.


Se i miseri occhi miei posar non ponno,

Godi la quiete tua la quiete mia,

E quello ch'io perdei, placido sonno,

Sen venga adormentar l'anima mia.


Se ben che tu mi dai cattivi giorni,

Ecco ti vengo a dar la buona notte,

Lontananza, ne tempo far non puote,

Ch'al lume qual farfalla io non ritorni.


Laura:


Chi è colui, che dormire non potendo

Sen vien a perturbar i sonni altrui,

Che dica quanto volei, io non l'intendo,

Son qual Aspide sorda a canti suoi.


Giacinto:


Canto mia bella, ma ne piange il core,

Io canto come il Cigno in sul morire,

Se ben vorrei tacer convengo dire,

E ridir ciò, che va dettand' Amore.


Laura:


Non intendo, Signor, vostre ragioni,

Che fiete, che volete, e cosa fate?

Andate altrove, semplicetto, andate,

Che voglion esser altro, che canzoni.


Giacinto:


Mendico io son, hor eccomi alla porta,

Che chieggio in elemosina del pane.

Deh non mi fate andar d'oggi in dimane,

Doppia è la gratia al fin qua d'ella è corta.


Laura:


Al chieder vostro io sarò sempre muta,

Qui non s'apre la porta, a chi non porta,[324]

Presso di noi la Caritade è morta,

Chi non conta non ha la ricevuta.


Giacinto:


Prendetemi, Signora, per soldato,

Sarò vostro guerriere senza paga,

Di già assueffatto all' amorosa piaga

Non temerò d'esser per voi piagato.


Laura:


Noi non stimiamo l'amoroso drudo,

Non habbiamo questione, e non ci aggrada

Quell' Amante, che sa portar la spada,

Quando non sappia maneggiar lo SCUDO.


Giacinto:


Soldato no, dunque Poeta almeno

Che v'immortalerà ne propri versi.

Famosa vi farò tra Sciti e Persi,

Loderò il crine, gli occhi, il volto, il seno.


Laura:


Poesia e povertà van di concerto,

Che val il saper far un buon Sonetto

E non haver per far un sonno in letto,

Far sempre STANZE, e non haver coperto.


Giacinto:


Vado cercando come Pellegrino

Il più bello del Mondo in ogni parte,

Ma amico il Cielo a voi sola comparte

Il terrestre non solo, ma il divino.


Laura:


Alloggiar Pellegrini già mai si suole

Quando che non venisse di Ungaria.

Solo all' UNGHERO aperta è qui la via,

E molto più s'è armato di PISTOLE.[325]


Giacinto:


Signora, son Barone, e sono Conte,

Nacqui di duca, e son d'alto lignaggio,

Sudditi ho molti, che mi fanno omaggio

Della gran nobiltà nasco dal fonte.


Laura:


Non si fa qui gran stima d'antenati,

E non vale essere Conte a chi non CONTA,

Ogni lignaggio al fin passa e tramonta,

E tutti Duchi son quei, che han DUCATI.


Giacinto:


Non sprezzate, vi prego, Amante fido,

Ch'adorerà in perpetuo il vostro nume,

Che seguirà qual Talpa il vostro lume,

Deh non siate ribelle di Cupido.


Laura:


Seguir nudo fanciul, dite, che vale,

Hor che i vestiti son tutti alla moda,

Se voi sete fedel e senza froda

Per voi solo, è fedel quel ch'è REALE.


Giacinto:


Dunque sprezzate Amor, perfida e ria

Donna vorace più che nero Corvo.


Laura:


Non ch'anzi per il Cieco con voi stia,

Cerchia di quei che fanno calar l'ORBO.


Hiacinth:


Liebchen schläft, mit deinen Flügeln fächle,

Amor, daß des Sommers heiße Schwüle

Um des Mädchens Lager bald sich kühle

Und sie in dem Schlafe freundlich lächle.


Kann nimmer ich die armen Augen schließen,

Ist meine Ruhe nur allein die ihre,[326]

So möge, was ich hier am Schlaf verliere,

Wie Ruhe mir ins kranke Herze fließen.


Giebst du mir gleich nur immer böse Tage,

So sieh mich hier, dir gute Nacht zu geben,

Nicht Zeit, nicht Ferne lindert mir die Plage,

Ein Schmetterling ein Lämpchen zu umschweben.


Laura:


Wer ist es, der nicht schlafen kann, und andre

So frevlend in dem süßen Schlafe störet,

Ein Felsen bin ich, der sein Lieb nicht höret;

Er sing, doch packe er sich bald und wandre.


Hiacinth:


Die Lippe voll Gesang, das Herz voll Zähren

Sing ich, ein Schwan in seines Todes Ringen,

Und schwieg ich gern, so würde ohne Singen

Und Wiedersingen Liebe mich verzehren.


Laura:


In Eurer Schlüsse Wahrheit einzudringen

Hab ich nicht Zeit: was seid Ihr, wollt Ihr, macht Ihr?

Geht, Simpelchen, steht nicht die ganze Nacht hier;

Die Dinger, die ich brauch, kann man nicht singen.


Hiacinth:


Ein Bettler bittet hier vor Eurer Türe,

Gebt Liebe ihm, und fristet Euch ein Leben:

O daß er gleich, o daß er bald Euch rühre!

Denn gleich gegeben heißt ja doppelt geben.


Laura:


Wer mir nichts bringt, hat nichts von mir zu hoffen,

Dem Mitleid hab ich längst den Hals gebrochen,

Und ohne Klingen hilft Euch hier kein Pochen,

Nur offnen Händen steht die Türe offen.


Hiacinth:


Nehmt mich zum Krieger an, hört auf zu höhnen,

Will streiten für und mit Euch aller Stunden,[327]

Denn abgehärtet fürcht ich keine Wunden,

Die Löhnung sei mir nur, Euch anzulehnen.


Laura:


Bei mir war offner Krieg stets schlecht empfohlen,

Auch führ ich keinen Krieg, wo ich was kriege;

Und weil ich meist dem Degen unterliege,

So ehr ich das Duell nur auf Pistolen.


Hiacinth:


Zum Streiter nicht? So nehmet mich zum Dichter!

Bin Dichter ich dem Busen, sing in Versen

Ein Lied ich Euch bei Skythen und bei Persen

Zum Lob des Haares und der Augenlichter.


Laura:


Mit Poesie geht Armut nur gesellt,

Macht Ihr Sonette, macht sie noch so nette,

Ihr bleibt ein armer Sohn und so ohn Bette:

Gebt Geld statt Versen oder Fersengeld.


Hiacinth:


Ein Pilger bin ich, suche aller Orten,

Das Göttliche im Irdischen zu finden,

Doch ists umsonst, denn Euch ist nur geworden,

Das Göttliche im Irdschen zu entbinden.


Laura:


Gott helf Euch! geht, ich bitte, geht von hinnen,

Denn wißt, allhier beherbergt man nur Ungern,

Nur Kremnitzer, was sonst woher, muß hungern,

Auch für Zechinen ist die Zeche innen.


Hiacinth:


Ein Graf bin ich, ein Duc, bin mit Souvrainen

Verwandt, und habe mehr als sechzehn Ahnen,

Auch frönen mir gar viele Untertanen,

Und Euer Untertan laßt mich Euch frönen.[328]


Laura:


Ein Duka ist mir lieb, doch mit Dukaten,

Souvrainen pflege ich für Severinen,

Baronen ohne Bares nie zu dienen,

Und kann mit Ahnen keine Hahnen braten.


Hiacinth:


Verachtet nicht die Liebe des Getreuen,

Vor Eurem Sterne will er ewig knieen,

Nach Eurem Lichte wie ein Maulwurf ziehen;

O suchet nicht, Cupiden zu verscheuen.


Laura:


Auch Ihr seid nackt, drum bleibt nur sein Geselle,

Ich brauche Kleider und des wackren Glauben

An Eure Treu will ich Euch nicht berauben,

Doch nur Reale sind bei mir reelle.


Hiacinth:


Mit Spotten siehst du, wie ich hier vergehe,

Du Weib, goldgierig, fleischfressend wie Raben.

Von Ihm ist nichts, Er nur zum Narrn zu haben,

Ich stand Sein Narre hier, Er steh, ich gehe.


Haber zankte noch ein wenig in Prosa über Husten und Schnupfen; ich aber ging ins Haus, das Bild Annonciatens und Mariens in zwei Sonetten aufzuschreiben.

Mich reute der Scherz mit Habern, denn die stillen Sitten der Mennoniten schienen das mutwillige Lied nicht zu vertragen, und der alte Anton rief während dem Gesange die jungen Burschen und Mädchen weg, welche zuhörten. Die Unschuld ist sich selbst die größte Freiheit und andern Beschränkung.

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 323-329.
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