Fünftes Kapitel

[245] Hier trat Godwi aus dem Gebüsche und sagte: »Lassen Sie die Kreuzfahrer so stehen und uns nach dem Jägerhause gehen, um etwas zu essen.«

Haber lächelte und ging mit. Er hatte mir gegenüber gestanden, an einen anderen Baum gelehnt in gebückter Stellung, und viel an seinem Stockbande gespielt.[245]

»Von Herzen gern,« sagte ich, »denn eigentlich fühle ich mehr Anlage zum Hunger als zur Allegorie.«

Godwi erwiderte: »Sie sollen uns dennoch Ihre Allegorie nicht schuldig bleiben, ich bin begierig, die Reden der einzelnen Haufen und das fernere Geschick der jungen Kreuzfahrer zu hören, unter denen Sie so artig die letzte akademische Generation verstecken. Ihre Ideen über Freundschaft gefallen mir, und es ließe sich darüber noch manches zwischen uns wechseln.«

»Sie haben das alles gehört?« versetzte ich beschämt, »das war etwas boshaft, ich glaubte nur vor meinem alten Bekannten so frei sprechen zu dürfen, und hatte die Nebenabsicht bei der Rede, einen Freund zu gewinnen.«

Hier versetzte er: »Wenn es diese war, so kann es sich bald entwickeln, ob Sie Ihre Absicht erreichten, und Sie sagten ja mit so vielem Nachdrucke – ob Sie sich kennen, ob Sie sich sehen oder nicht, das ist gleichviel – verzeihen Sie daher, daß ich mich versteckt hatte.«

Dabei war sein Blick fest, es war einer von den seltenen Blicken, die nur frühe Erfahrung geben kann. Der Blick eines Auges, das Blicke der Lust und des Rausches gegeben und genommen hatte, und nicht mehr begehrt, sondern bildet und begründet, der Blick eines Freundes. Wir erreichten bald den tiefsten Teil des waldigten Tales, und da wir noch einige Schritte links in das Gebüsche getan hatten, ertönten mehrere Jagdhörner auf eine sehr muntere Art. Es war eine rufende Melodie, und ich unterschied bald drei Hörner, die von verschiedenen Punkten aus sich in einem Wechselliede antworteten. Das Echo verdoppelte die Töne, und brachte in die gedrängte Melodie eine angenehme tonschimmernde Verwirrung. Bald schien sich auch das Echo zu verdoppeln und aus allen Tiefen des Waldes tönte es der Melodie nach, als ziehe ein geheimnisvolles musikalisches Leben durch die Wipfel der Bäume.

»Das Echo verdoppelt sich,« sagte Haber, »haben Sie es bemerkt?«

»O ja,« sagte Godwi, »ich habe das leider so oft bemerkt, daß mir durch die Gewohnheit die Rührung entgeht, welche alles Fremde, Geheimnisartige begleitet.«

Auch ich war durch den tönenden Wald wunderbar überrascht,[246] und fühlte, was die Alten in ihren Wäldern empfinden mochten, die noch mit Göttern belebt waren, welche in wunderbaren Waldstimmen um den Wanderer ertönten.

Ich mache hier noch die Bemerkung, daß in den Reden Godwis etwas Trocknes, Ernstes und Bewunderungsloses lag. Er zeigte jene Art von Ruhe, von der die Erfahrung begleitet wird, und welche die muntere offene Jugend mit dem Stolze auf ihre wenigen errungenen Begriffe nicht reimen kann, und die ihr daher drückend wird. Die Jugend sieht solche Wesen wie den traurigen Vorwurf der Menge an, die sie noch zu erringen hat. Ein solches Wesen wird ihr geheimnisvoll und erdrückt durch seine anspruchlose Strenge ihre Wißbegierde. Wenn ich mit meinem muntern, schnellen Sinne eine Zeitlang gelehrte und vortreffliche Freunde erfreut habe, die sich vertraulich zu mir herablassen, und ich in ihrem Umgange vergessen habe, wie weit mehr sie umfassen als ich, so befinde ich mich wohl auch oft in solcher Jugendlichkeit, denn ich darf nur irgend ein Werk solcher Freunde in die Hand nehmen, um jene Bangigkeit zu empfinden, oder habe ich gar das Unglück, mit einer solchen leichtsinnigen Fröhlichkeit in eine große Bibliothek zu treten, so werde ich ganz zertrümmert und empfinde einen recht panischen Schrecken.

Als wir in einen Winkel gekommen waren, wo sich die Wildnis immer mehr drängte und der Weg sich verlor, sprach Haber:

»Nun haben wir uns verirrt, die geheimnisreiche Musik hat uns irregeführt, denn dies ist nimmermehr der Weg nach dem Jägerhause.«

Godwi lächelte und sagte:

»Hier haben wir keine Hülfe als die Hülfe aller Menschenkinder, wir müssen zurückkehren oder, sind wir fromm, die Unsterblichen anrufen, dies nun ist die Sache der Dichter. Lassen Sie uns daher unter die große Eiche treten, die hier neben dem Gebüsche steht.«

Da wir einige Schritte durch das Gebüsch getan hatten, waren wir unter der großen Eiche; ich erinnere mich, nie eine solche Säule des Himmels gesehen zu haben, sie quoll wie ein ungeheurer Strom aus der Erde, und zerstreuete ihre grünen Flammen in den Himmel.[247]

Haber fragte, in welchem Silbenmaße er beten sollte, in Stanzen oder Sonetten?

Godwi lächelte, und ich sagte: »Überlassen Sie mir das Gebet, mein Hunger wird mich ein kräftiges lehren, und wenn es mein Eifer nicht ungereimt macht, so soll es doch sicher reimlos sein.« Dann sprach ich:


Unter des lebenden

Grünenden Tempels

Flüsternde Hallen

Komme ich irrend.


Wie sich die Eiche

Himmelwärts türmet,

Wie in dem Gipfel

Ruhet des mächtigen

Jupiters Fuß.


Und in dem Herzen

Fühl ich die Nähe

Heiliger Wesen,

Die durch die Zweige

Zu dem Olympos

Wandeln empor.


Führt mich, ihr friedlichen

Geister des Haines,

Die mich umschweben

Lachend und rufend,

Führt mich zurück.


Irrende, flüchtige,

Tönende Geister,

Die ihr mit schäkernden

Lispelnden Worten

Irr mich geführt.


Hier wo in mondlichen

Nächten ihr rauschet

Und um die wohnsame

Herrliche Eiche

Tanzend euch schwingt;[248]


Wo ich im Taue

Freudigen Grases

Von euren flüchtigen

Goldenen Sohlen

Ehre die Spur, –


Hört mich ihr freundlichen,

Die ihr verlorene

Götter gepfleget,

Die ihr die fliehende

Daphne umarmt.


Frohe, geheime,

Lindernde Geister,

Die in des Waldes

Rührigen Schauer

Weben den Trost.


Mächtige, lebende,

Stärkende Geister,

Die in der Stämme

Alter und Jugend

Bilden die Kraft.


Wenn ich je frevlend

Eure geheiligten

Stämme verletzet,

O! so verdorre

Welkend die Hand.


Nimmer auch höhnt ich

Echo die Jungfrau,

Die mit euch wohnet,

Teilt ihr vertraulich

Liebe und Schmerz.


Führet mich heimwärts!

Bin nur ein Wandrer,

Bin kein Unsterblicher,

Der mit ambrosischen

Bissen sich nährt.[249]


Wisset, mich hungert,

Führet mich heimwärts,

Daß ich dem Freunde

Von der Dryaden

Hülfreicher Güte

Bringe die Mär.


Während meinem Gebete hörten wir verwirrte Stimmen jenseits der Eiche.

»Der betet, glaube ich,« sagte eine Stimme, »wer mag das wohl sein?«

»Ein Narr« – erwiderte die andere.

»Gott gebe, daß er ihn erhört«, sagte die erste Stimme.

»Daß wer ihn erhört?« fragte die zweite.

»Ei nun, Gott« –

»Das ist ja dumm, Gott soll geben, daß Gott ihn erhört; es wäre wohl besser, Gott erhörte ihn, damit er ihm gleich was gebe.«

»Flametta, Flametta, du spaltest die Worte wieder.« –

»Das Spalten macht mir vielen Spaß, wenn ich deinen Verstand dazwischenklemmen kann, und sollte ich es allein tun, um dich empfinden zu lassen, wie es den Tieren zu Mute ist, die du lieber in Fallen fängst, als sie, wie ich, rechtlich totzuschießen. Glaubst du mich auch so zu fangen? Das lasse dir nur vergehen.«

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 245-250.
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