Neunundzwanzigstes Kapitel

[377] Den folgenden Morgen ritt er schon nach Mollys Landhaus. Als er an ihrem Garten vorbeikam, und sie in einer offnen Laube mit einem andern Frauenzimmer sitzen sah, rief er ihr zu: »Ich komme nun öfter« – und sprengte dem Tore hinein.

Molly war sehr überrascht, ihn zu sehen, und wußte nicht, ob sie sich freuen oder bedauern sollte; aber sie fühlte sich schon in den bezauberten Strom, den jede Liebe unter exzentrischen Umständen bildet, hingezogen.

»Arme Molly! ist dieser die Ursache deines Schweigens seit gestern«, sagte Kordelia6 zu ihr, und verließ sie.

Godwi kam nun den Garten herauf, und da er sah, wie Kordelia Molly verließ, so beugte er um eine Allee herum, um ihr zu begegnen. Dies tat er, um Mollys Stolz zu mildern, indem er sie sehen ließ, daß er nahe bei ihr noch einen Umweg nehmen konnte, um irgend einem andern Weibe zu begegnen. Kordelia grüßte ihn nicht, als er an ihr vorüberging – er stand einige Minuten still und sah ihr nach, bis sie ihm aus den Augen kam. Dieser Moment ist ihm ein Stillstand seines Lebens geworden, er wußte nie, warum; aber er hat nie vergessen, wie er stillstand, und sie an ihm vorüberging.

»Verirren Sie sich nicht«, hörte er Molly rufen, und seine wunderbare Rührung bei Kordeliens Anblick ward schnell ein Mittel, diese zu demütigen; er trat vor sie mit den Worten:

»Ihre Freundin ist so schön, so stolz, daß man leider verloren ist, ohne den Genuß zu haben, sich zu verlieren.« –

Molly fühlte die Spitze, und erwiderte ihm, daß sie ihn wieder suchen wolle, um ihm die Freude zu machen, sich zu verlieren. –

Es spann sich bald ein Gespräch zwischen ihnen an, wie es zwischen dem schönen stolzen Spötter und der stolzen sinnlichen[377] Enthusiastin sich weben konnte. Godwi erkannte ihre Schwäche, und ihre Stärke, er fand, daß er ihren Kopf entwaffnen müsse, um sie zu demütigen, und wie leicht war ihm das – denn sie antwortete schon auf seine Schönheit, als sein Verstand noch allein mit ihr koquettierte. –


Seine Besuche wiederholten sich, er schien ihr anhänglich zu werden, denn er faßte schon oft ihre schöne Hand bei diesen Unterhaltungen, und zählte seine Ursachen an ihren Fingern her.

Ihr Umgang erhielt auch schon jenen geheimnisvollen verführenden Reiz, wo sich das Geschlecht in die entferntesten Ideen mischt, sie waren schon so vertraut, daß sie hier und da manches sagten, was sie nicht recht ausgesprochen hatten, ihr Wort fing an Fleisch zu werden. – Molly wehrte sich, und Godwi ergötzte sich dran, wie sie in dieser Glut stets so heilig, und er immer witziger ward. –

Sie liebte ihn nun wirklich: wenn er nicht zugegen war, weinte sie oft heiße Tränen, und hatte in ihrer Liebe den sehnlichen Wunsch, an ihrem Herzen diesen Mann der Welt wiederzugebären; aber sie wollte ihn eigentlich nehmen, wie er war.

Er war der einzige Mann bis jetzt gewesen, der ihr Punkte vorschreiben konnte, die sie denkend nicht zu überschreiten wagte, und wenn das sinnliche Mädchen an ihrer Toilette saß und ihre Locken ringelte, so riß sie oft alle die schönen Schlingen wieder auseinander, faltete die Hände, drückte sie gegen ihren entblößten Busen, und sagte mit heißen Tränen in den großen Augen: »Ach sollte der kalte Spötter hier an diesen beiden Leben nicht wieder zum Enthusiasten erwarmen können?«

Kordelia entfernte sich immer mehr von ihr –.«


»Ich will Ihnen«, unterbrach sich hier Godwi, »nicht weiter erzählen, wie mein Vater dies Weib verführte.« –

Bald lag er an diesen beiden Leben, aber er war nicht wieder zum Enthusiasten erwarmt, er spielte mit ihnen, wie mit allen Leben, nahm alles, was die volle Blüte ihm entgegendrängte,[378] schwor ihr, er habe mehr genossen, als er vermutet habe, und verließ ihr Bett; sie faßte ihn mit ihren zarten Armen und verstand ihn nicht.

»Löse deine Bosheit im einzigen Ergeben, lieber Godwi,« sagte sie, »o zürne nicht, daß du ein Mensch bist, hat dich doch das Leben noch geliebt; ach du glaubtest nicht, daß noch solche Einheit bestehe« –

Sie kniete vor ihm, umschlang ihn, ihre holde Blöße bewegte ihn nicht.

»Fräulein,« sagte er, »Sie erniedrigen sich, schonen Sie Ihrer Gesundheit, Sie werden sich verkälten,« und eilte aus der Stube. –

Sie lag noch lange auf den Knien, und konnte am Morgen nicht mehr weinen. –

Als Godwi durch den Garten ging, stand er in einem Gebüsche still, er sah Kordelien im Mondscheine stehen, ruhig wie eine Bildsäule: er war wunderbar erbittert, und kalt, als er sie sah, er konnte sie nicht erdulden – und konnte er etwas Schlechteres tun, als zu ihr hingehen und sagen: »Guten Abend, Miß, noch so spät, mit der Natur beschäftigt? gehen Sie doch zu Ihrer Freundin, sie befindet sich nicht ganz wohl – sehen Sie, es war nicht gut anders möglich, ich konnte nicht anders –«.

Kordelia hatte nie mit ihm gesprochen; aber Molly hatte ihm ihr wunderbar andächtiges Gemüt in ihren Umarmungen verraten.

Kordelia floh erschrocken vor ihm, und er ritt weiter. Wie es ihm war, weiß Gott – er konnte nicht begreifen, als er so vor sich hin ritt, warum er ein so schlechter Mensch sei, und warum er sich nicht mit Molly verbunden habe: da fing er an, schneller zu reiten, und wußte nicht, warum er sein Gewissen durch einen starken Trab überreiten konnte. –


Molly fühlte sich so erniedrigt, als es ein Weib je werden kann, die sich nicht hinbietet: sie hatte Kordelien alles vertraut, und diese ließ die merkwürdigen Worte fallen:

»Das kenne ich wohl –«.

Kordelia konnte ihre Freundin nicht trösten, denn sie wußte, daß nichts trösten kann, wo das Edelste zertrümmert ist – und zu jener Erhebung des Gemütes, zu der sie selbst sich gerettet[379] hatte, war Molly nie fähig, da sie zu feste durch die Sinne ans Leben gebunden ward –.

Molly verließ nun ihre Wohnung nicht mehr, und ihre Trauer bewegte sich in der einförmigsten Umgebung; hätte sie weniger Leben in sich gehabt, sie würde wohl den Verstand verloren haben – aber sie sehnte sich dennoch nach Liebe, obschon nicht nach der ewigen; sie bildete neue Reize in sich, die weniger witzelten und herrschten, jenen stummen tiefen Reiz, dem man sich ergiebt wie dem Schlummer an heißen Tagen, und dem man am kühlen Abend rüstig entgeht –.

Sie konnte diese Schwermut nicht bewegen, und war selbst leidend, wenn sie reizte, – dabei ein Bewußtsein bei allem diesem, das sie zur Frevlerin machte.

Ihre Liebe zu meinem Vater war nicht ohne Leben geblieben, sie gebar einen Sohn, (Sie kennen ihn unter dem Namen Römer), und liebte ihr Kind –.

In der Nacht seiner Geburt verschwand Kordelia von dem Landhause, ohne daß irgend eine Nachricht von ihr zu finden war.

Nun war sie ganz allein, und sehr unglücklich: sie schrieb mehreremal an meinen Vater, ohne Antwort zu erhalten, er möge sich ihrer erbarmen; aber von seinem Kinde meldete sie nichts: sie gehe auf bösen Wegen, schrieb sie, ihre Ehre sei verloren, und sie werde noch tiefer sinken ohne ihn, er möge sie wieder aufrichten; sie erhielt keine Antwort –.

Um der Verzweiflung zu entgehen, zog sie in die nahgelegne Stadt, machte vielen Aufwand, und war eine galante Frau, mit einem armen zerrissenen Herzen.

Man gewöhnt sich an alles, sie gewöhnte sich an den freien Umgang mit Männern, an ihren üblen Ruf und seine Folge, ihren üblen Beruf, sie hörte ihr Leben auf und fing eine Lebensart an.

Sie war also keine exemplarische Frau, aber dennoch eine vortreffliche Mutter: ihr Sohn erhielt die schlichteste reinste Erziehung, von ihr getrennt; jährlich sah sie ihn mehrmal, und wer sie in den Minuten gesehen hätte, wo sie ihn in den Armen hielt, er hätte ihre Lebensart eine Lügnerin gescholten.

So lebte sie mehrere Jahre: ihr letzter Günstling war Carl von Felsen, ein Deutscher; er brannte so heftig für sie, und die[380] schönen Trümmer ihres ehemaligen Gemütes rührten ihn so tief, daß er sie verließ, ohne ihr zu sagen wie er meinen Vater aufsuche, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen; – er reiste ihm lange nach, denn er hatte keinen festen Aufenthalt mehr. –

Molly konnte das plötzliche Verschwinden ihres Geliebten nicht begreifen, und es schmerzte sie um so mehr, da sie den Entschluß gefaßt hatte, sich mit ihm zu verbinden, und in ihm ihr unruhiges Leben zu lösen. Einige Monate nach seiner Entfernung besuchte sie ein Mann, den Felsen empfohlen hatte wie seinen einzigen Freund, dieser war niemand als Joseph, der aus Deutschland nun einige Monate weg war –.

In dem Briefe, den er von Felsen mitbrachte, standen folgende Zeilen –

»Geben Sie diesem Menschen Ihr ganzes Vertrauen; ich hoffe, daß er vieles in Ihrem Herzen wieder er bauet, was ich nicht kenne, und doch vermisse, denn ich liebe Sie: aus seinen Händen empfange ich Sie gern, er soll unser Mittler werden.«

Joseph konnte ihr nicht sagen, wo Felsen war, er hatte seinen Brief in London ohne Anzeige seines Aufenthalts erhalten –.

Wie Joseph auf sie wirkte, wissen wir aus ihrem Briefe im ersten Bande dieses Romans, Seite 81 –. Sie ging als ein neues Wesen aus seiner Hand hervor, und war entschlossen, einstens in Deutschland zu leben, wo er sein werde. –

Joseph reiste nun nach Amerika. Molly harrte und harrte auf Felsen, aber es sollte ihr nicht werden, sich ihm als ein ruhiges entschloßnes Weib zu geben.

Felsen hatte meinen Vater gefunden, hart mit ihm gerechtet, und es kam zum Zweikampf: mein Vater wäre so gerne totgeschossen worden, aber er sollte seinen Gegner töten –.

Molly erhielt diese Nachricht, ohne zu erschrecken; sie sagte nur: »Warum mußte dieser sterben, und ich darf leben?« – Denn sie hatte nur gehört, daß er getötet worden sei: da sie aber einen Brief von meinem Vater erhielt: »daß er ihren Geliebten erschlagen habe, und nun sehr gestraft sei für das, was er an ihr begangen habe«, wollte sie verzweifeln –.

Mein Vater floh nun nach Deutschland: er hatte sich fest entschlossen, alles in sich zu verschließen, und ruhig ein neues einfaches Leben zu beginnen.[381]

Sie wissen, was er tat, aus Mariens Geschichte; Sie müssen aber noch wissen, warum Joseph ausblieb. Er hatte einen Sturm erlitten, war lange verschlagen gewesen, und fing dann wieder an zu schreiben. – Diese Briefe hat mein Vater aufgefangen, und der Totenschein war falsch. – Als Joseph nach England kam, besuchte er Molly, er fand sie wieder auf ihrem Landhause, mit wenigen Freunden umgeben, und hörte Carl von Felsens Tod durch Godwis Hand. Mit Molly traf er die Verabredung, ihr aus Deutschland zu schreiben, ob und wo sie hinkommen solle –.

Was er dort fand, wissen Sie. –

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 377-382.
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