Sechsundzwanzigstes Kapitel

[350] Als ich so weit geschrieben hatte, führte mich Godwi nach dem Bildersaal, wir traten vor ein großes Gemälde, er zog den Vorhang in die Höhe, und wir sahen es stille an; es stellte Wallpurgis und die Blumen vor, und war von dem nämlichen Künstler, der das Bild Annonciatens gemalt hatte, in demselben Stil, doch mystischer gearbeitet, so wie jenes Allegorie des Lebens, so dieses Hindeuten auf den Tod. Jenes Bild hatte mich heftig bewegt, und in diesem löste ich mich auf.

»Vor diesem Bilde«, sagte ich zu Godwi, »kann ein liebes Mädchen ruhig sterben. Alles schwindet, es ist, als vergehe es unter meinen Augen. Die Farben sind beweglich, sie fliehen alle gegen die ferne Glut des Himmels, und scheinen schon im Nachklang zu wallen. Ich habe nicht gedacht, daß der Abend so könne gefesselt werden, wie er hier aus den dunklen Gewölben der Bäume dringt. Seine geheimnisreichen Seelen schleichen über den dicht belaubten Boden, fließen mit leisen Schimmern an den schlanken Blumen hinab und hinauf, aus deren Kelchen zarte Geister an der größten holdesten Blume des ganzen Bildes, dem stillen liebe- und lebenmüden Mädchen, hinaufsteigen. Es herrscht um das Mädchen eine wunderbare Haltung des Lichtes, die Farben werden gleichsam zu verschiedenen Form-Atomen, und scheinen nur im Lichte zu schwimmen, besonders wo die Blumen ihr näherstehen, gegen ihren Busen wird es schon einiger, um ihre Wangen und Lippen verschwimmt es[350] ganz, und aus ihren Augen strömt wieder völlige Einheit des Lichts, doch ein anderes, unbeschreiblicheres. Ihre Stirn und ihre Locken aber brennen in den Flammen des sinkenden Tages, der von oben durch die geöffnete grüne Pforte der Bäume niederbricht, ringsum die Zweige in grüne Glut setzt, und den großen Früchten, die schwer aus ihnen niederblicken, feurige Blicke giebt.«

»Ich habe vergessen,« sagte Godwi, »Ihnen zu sagen, daß diese Gemälde von Franzesko Firmenti sind, dessen traurige Schicksale im ersten Bande Ihres Romans Seite 165 sein Bruder Antonio an meinen Vater schreibt, der ihn wieder gefunden hatte; es ist derselbe, von dem Römer Seite 50 schreibt, daß er seine Stelle ersetze und mit meinem Vater viel allein sei. Ehe er sich in die Handlungsgeschäfte einließ, an denen er seinen Geist wieder systematisieren wollte, hat er hier auf dem Gute diese Bilder gemalt. Es war damals eine begeisterte Melancholie in seiner Seele, in der sich seine Verrücktheit gelöst hatte. Doch wir werden mehr von ihm hören.

Alle seine Bilder haben einen eignen Charakter, und zwar den, daß sie eigentlich nicht sind, sondern ewig werden, und dies entsteht durch eine Manier, in dem er das Licht der Pflanzen, des Himmels und des Fleisches in verschiedene Haltungen setzt, obschon nur eine Beleuchtung stattfindet. In Bildern dieser Art macht dieses oft einen glücklichen Effekt.«

»Ja,« fuhr ich fort, »es ist auffallend, denn eben hierdurch entsteht diese Bewegung, ich möchte sagen, dieses leise Wogen der Farben über das Ganze, das Auge wird vor seinen Bildern ein feines Gehör, das die Schwingungen der einzelnen Töne durch den vollen Akkord hört, und ich möchte seine Malerei rhythmisch und deklamatorisch nennen: es ist, als wallen die Wellen sanfter Jamben durch das Gemälde.

Es ist wunderbar dargestellt und gemalt, was ich für unmöglich hielt, ein Bild, das nicht historisch ist, keinen Moment erfüllt, sondern die fortdaurende stille Bewegung eines dichten Gemütes vorstellt. Ich sehe, daß das Mädchen spricht, obschon ihre Lippen nur leise geöffnet sind; ich sehe, daß sie sich den Blumen vergleicht, und die Blumen sich, denn nur auf ihren Lippen, in ihren Augen wird sie Jungfrau; ihr schlanker Leib[351] hebt sich in leidendem Streben wie eine Pflanze, ihre Arme gleichen zarten Zweigen, ihre Brüste drängenden sehnenden Knospen, welche gelinde vorstreben, und um die sich die samtenen Blätter lebendiger regen. Über diesem Throne des milden Herrschens wallt ihr Antlitz wie Duft; auf den Lippen wird alles ein stiller Erguß; die Augen sind reflektierendes holdseliges Sinnen, und das Haupt ergießt sich mit den Locken in das flammende Element des Himmels. Alles, was sie empfindet, steht in dem Lichtgrade, in dem ihre Empfindung selbst steht und es beleuchtet.

Aber ich werde nimmer fertig, das Bild wächst unter meinen Augen, und hänge ich an den Formen des Mädchens, und suche sie zu enträtseln, so rufen mich die Blumen, als sollte ich sie hinaufheben, an ihr keusches begehrendes Herz; gehe ich nieder, um die stummen Kinder zu brechen, so werde ich zur Biene, und schwebe über ihren Kelchen, deren Süßigkeit sie selbst nie leeren, dann zieht mich wieder der feurige Himmel hinauf, und meine Empfindung verliert alle Gestalt. Diese Geschichte meines Anschauens aber beruhet allein auf diesen drei Lichtern, die in dem Bilde herrschen und sich auf allen Punkten auswechseln.«

»Es scheint,« sagte Godwi, »als wären die Blumen in einem Opfer entzündet, und alles andere sei nur ein Gedicht, das sich in ihren Dampfwolken gebrochen habe, um zu erscheinen, und als wäre das Mädchen nur der Mittler zwischen ihnen und dem Himmel, denn in diesen Blumen liegt ganz der Charakter von Wallpurgis Gestalt und des Himmels. Es ist, als seien die Blumen nur die Darstellung ihres Leidens, das schon stille geworden, und ihre traurigen Blicke ins Leben, so wie der feurige Himmel ihr brennendes Begehren nach dem Tod. Nach dieser Ansicht ruht der Mittelpunkt des ganzes Bildes in ihrem Busen, dessen Schmerz und Andacht ich deutlich in mir fühle; ist es nicht, als sähe man, wie ihr Herz bricht? Ihr ganzes Haupt bis auf die Brust wird gierig vom Himmel angesogen, und von da, wie es schwer niederdringt, als zögen es Bande des Blutes hinab.«

»Und dennoch ist auch hier kein Ruhepunkt,« sagte ich, »denn auch die Glut des Himmels ist die Mutter des Ganzen: ist diese Röte des Abends nicht reine Sehnsucht im Äther reflektiert, und ist Sehnsucht nicht Abendrot in der Empfindung,[352] und ist das Bild etwas anders als Sehnsucht im Äther, Sehnsucht in der Pflanze, und Sehnsucht im Mädchen?«

Godwi sagte: »Es ist schön, wie die Natur unsere Ansicht begleitet hat, es ist nach und nach dunkel geworden, das Bild hat sich doppelt bewegt, in seinem Lichte, und in der Beleuchtung des Tages. – Die stille Fackel des Mädchens ist verloschen, die Blumen sind gestorben, die Schatten der Bäume haben ihre Arme um den Schmerz gelegt, die glänzende Pforte des grünen Gewölbes schließt sich der schönen Bahn, auf der die ganze Bescheinung hingezogen ist, nun ruhet das arme Herz, lebe wohl, Wallpurgis!«

Es war dunkel geworden, und wir hatten es nicht bemerkt. Wir verließen nun die Stube, um ein anderes Gemälde zu besehen, das den Geliebten Wallpurgis' vorstellt, wie er abends unter den Leichenmännern die Nachricht von ihrem Tode empfängt. Godwi sagte mir, daß dieses Bild sehr gut bei Licht gesehen werden könne, weil es selbst ein Nachtstück sei, und er steckte zu diesem Zwecke eine Lampe an, die an der Decke angebracht war.

Vorher teilte er mir aber noch ein Gedicht mit, welches Franzesko, während er das vorige Gemälde verfertigte, gemacht hatte. Es ist italiänisch, und in dieser Sprache wirklich voll Wärme, doch gleicht es seiner Schwester, dem Gemälde, bei weitem nicht; ich habe es den folgenden Morgen zu übersetzen gesucht, aber es war durch die Eigentümlichkeit seines Ausdrucks ebenso schwer, als das Gemälde zu kopieren sein würde. Diese Übersetzung füge ich hier bei und bitte, daß Sie immer Ihre Augen auf das Bild wenden, während Sie sie lesen.

Über dem Gedichte standen folgende Worte in Prosa, als Einleitung:

Es wollte Abend werden, da saß ein alter Harfenspieler an einem öffentlichen Spaziergange, um ihn her wandelten Jünglinge und Männer, die sich teils geschäftig bewegten, teils gravitätisch schritten und sehr nachdrucksvolle Bewegungen machten; einige lächelten auch bedeutend, oder sahen gerührt gegen den Himmel; keine Jungfrau war zugegen, die Schüchternheit hatte sie zurückgeführt in ihre Wohnungen, sie saßen in dem einsamen Garten des Hauses oder an dem Fenster ihrer Kammer,[353] und sehnten sich, wie sich die Jungfrau Gottes sehnte, ehe der Geist über sie kam. Das wußte der Greis, denn es war ihm sein liebstes Kind gestorben, ach! und er wußte ja nichts als das. Sie sagten von ihm, wenn sie an ihm vorübergingen, er sei ein schwärmerischer Mann, der nur Ideale im Kopf habe, und dem es an respektablen Gefühlen mangle. Er aber sang folgendes Lied zu seiner Harfe.


Der Abend

Nach seiner Heimat kühlen Lorbeerhainen

Schwebt auf der goldnen Schale

Schon Helios, es glühen rings die Wellen,

Der Ozean erschwillt in frohen Scheinen,

Die wie mit Blitzesstrahle

Die ernste Nacht der fernen Ufer hellen,

Und über alle Schwellen

Ergießt der Gott die stillen Feuerwogen

Zum ewgen Himmelsbogen,

Daß von den Bergen durch das dunkle Leben

Des Tages Flammen wiederhallend beben.


Hoch auf den Bergen wehen seine Flammen,

Den raschen Mann zu führen,

Der seiner Reise Ziel noch nicht errungen,

Er strahlet mit dem Glanze stets zusammen,

Wenngleich die Füße gleiten,

Bleibt von dem Lichte doch sein Haupt umschlungen.

Nie von der Nacht bezwungen,

Lenkt ruhig nach der Sterne heilgem Feuer

Das ernste Schiff den Steuer

Und wandelt heimwärts durch die dunkeln Fluten,

Vertrauend auf des Leuchtturms hohe Gluten.


Vom kühnen Felsen rinnen Lichter nieder,

Die Täler zu ergründen,

Und wo des Feuers milde Quelle ziehet,

Verglimmen bald des Haines wilde Lieder,

Denn alle Töne schwinden,

Bis sie des Abends Flammen rein geglühet –

Und welch ein Lied erblühet –[354]

Es flicht die Nachtigall die goldnen Schlingen

Und süß gefangen ringen

Im Liede Liebesschmerz und Schmerzes-Liebe,

Daß Schmerz in Liebe, Lieb in Schmerz sich übe4.


So drang der Töne Frühling aus dem Schweigen,

So auch in reinen Seelen

Des Tages wilde Kämpfe bald zerrinnen,

Wenn Lieb und Schmerz sich hold zusammenneigen,

Die Zwietracht zu verhehlen,

Und rührend doch den ewgen Streit beginnen.

Ach keine mag gewinnen! –

Ein Wundergift fließt beiden von den Pfeilen,

Zu töten und zu heilen –

Denn er muß stets an ihrem Pfeil gesunden,

Und sterbend lebt sie nur in seinen Wunden.


Doch bald wird nun die Ruhe niederschweben,

Daß alle Schmerzen fliehen,

Den heißen Kampf die stillen Schatten kühlen,

Dann mag der Sehnsucht ungelöstes Leben

In heilgen Phantasieen,

In schönen Träumen dichtend sich erwühlen.

Könnt ihr solch Leben fühlen?

So will, mit seinem Rausch euch zu erfüllen,

Mein Bild ich gern enthüllen,

Mein Bild, wie in des Abends Heiligtumen

Die Jungfrau redet mit den holden Blumen.


Die Jungfrau und die Blumen

Wo leis des Gartens dichte Schatten rauschen

Und in den dunklen Zweigen

Die reifen goldnen Früchte heimlich schwellen,

Gleich holden Engeln, die in Wolken lauschen

Und freundlich sich bezeigen,

Seht ihr die weiße Jungfrau sich erhellen.

Des Lichtes letzte Wellen

Umfließen sie. Sie sitzt, und ihr zu Füßen[355]

Unschuldge Blumen sprießen;

Sie spricht zu ihnen, weckt mit ihren Blicken,

Die schon die Augen schließen, schlafend nicken.


Es scheint ihr Wort sie mehr noch einzuwiegen;

Was ihre Lippen sprechen,

Wallt längst im Traum um ihre zarten Seelen

Und wohnt in ihrem Leben still verschwiegen –

Die Stummheit zu zerbrechen,

Sind sie zu schwach, und könnens nicht erzählen;

Doch sie kann nichts verhehlen,

Der stille Abend löst die keuschen Banden,

Die ihren Schmerz umwanden,

Sie klaget leis, und mit den blauen Augen

Will Antwort sie aus ihrer Stummheit saugen.


»Ihr blinden Kinder, wenn der ewge Schlummer

Von euren Augen weichet,

Wenn eure Lippen seufzend sich erschließen,

Ein warmes Herz euch bebt und eurem Kummer

Die Götter Worte reichen,

Erblüh ich eine Blume euch zu Füßen.

Ihr werdet still mich grüßen

Und für der Liebe jungfrauliches Bangen

Der Blume Trost verlangen,

Denn wir sind Schwestern, sind im harten Leben

Der tiefen Liebe frühem Tod gegeben.


Was, Lilie, keusch in deinem Kelche webet,

Was, Rose, rot dich malet

Und eure Augen, stille Veilchen, sagen,

Auch keusch und bang in meinem Busen strebet,

Von meinen Lippen strahlet

Und still und mild die blauen Augen klagen.

Uns faßt ein gleich Verzagen,

Ach! nimmer kann des Herzens still Verbrennen

Der keusche Mund bekennen,

Ach! nimmer will die wilde Welt verstehen,

Was unsrer Düfte stumme Lippen flehen.


Wenn linde Sonnenstrahlen niedersehen,

Sich laue Weste regen,[356]

Erkennen wir aus uns mit dunklem Sehnen,

Doch nimmer wissen wir, wie uns geschehen.

Was wir im Innern hegen,

Ist süßes Träumen und ein kindisch Wähnen.

Es fließen alle Tränen

Noch leicht herab, und weilen keine Schmerzen

Im unerschloßnen Herzen,

Bis von der ewgen Liebe tiefen Quellen

Das Herz sich dehnt, und leis die Knospen schwellen.


Im Busen keimet heimliches Begehren,

Und mildes Widerstreben,

Und wie sie liebend miteinander walten,

Erzeuget sich ein hoffendes Entbehren;

Der Blüte junges Leben

Will nun die zarten Blätter schon entfalten.

Die freundlichen Gestalten,

Die in verborgner Werkstatt noch gefangen,

Nach Freiheit sehr verlangen,

Bis uns des Morgens goldner Pfeil erschließet

Und der geheimen Wunde Träne fließet.


Nun lösen sich die rätselhaften Triebe,

Und zu dem reinen Throne,

Der aus dem Herzen froh heraufgedrungen,

Steigt schüchtern und verschleiert unsre Liebe.

Es hat die bunte Krone

Der sanften Königin das Licht geschlungen.

Sie hat das Reich errungen,

Und blickt in ihres Sieges junger Wonne

So freudig nach der Sonne,

Die freundlich sich in ihrem Schoß ergießet

Und sie mit goldnen Strahlen froh begrüßet.


Dir arme Königin, wie wird dir bange,

So einsam und verlassen,

So arm siehst du hinaus, ins weite Leben,

Die eignen Düfte küssen deine Wange,

Du mußt dich selbst umfassen,

Kein Volk, kein schöner Freund dir Liebe geben.

Die zarten Säulen beben,

Auf denen sich dein leichter Thron beweget,[357]

Vom Weste selbst erreget.

Die Nacht flieht lieblos dir in dunklen Träumen,

Am Morgen Tränen deine Blicke säumen.


Sind nicht dein Thron des Busens junge Wogen,

Dein Purpur, rote Wangen,

Dein Diadem, der Locken goldne Schlingen?

Ach bald sind all die Wellen weggezogen,

Der Purpur bald vergangen,

Gelöst die Flechten, die dein Haupt umfingen.

Der Liebe Pfeile dringen

Vom Himmel, und der Schmerzen glühes Wühlen

Im Herzen zu erkühlen,

Löst du in stillen Tränen dein Geschmeide;

Der Tränen Weide wirst du, Augenweide!


Du arme Königin! so ohne Wehre

Sollst schweren Kampf du führen,

Will keiner für die holde Braut denn streiten,

Will keinen, daß die Glut sie nicht verzehre,

Solch zarte Schönheit rühren,

Des Schattens liebend Dach um dich zu breiten?

O stummes bittres Leiden!

Welch Leben, wo die Liebe ungedinget

Dir keine Hülfe bringet,

Und wolltest du den dichten Schleier heben,

So würde dir des Schatzes Geist entschweben.


Und heißer, immer heißer dein Begehren,

Und leiser deine Klagen!

Die Farben schon, die deinen Schmerz verkünden,

Der Düfte leise Worte sich verzehren,

Um lauter stets zu sagen,

Wie dich die wilden Flammen ganz entzünden.

Die Hülfe zu ergründen,

Willst du vom freien Throne niedersteigen,

Dem Frevel dich zu neigen?

Noch elender ein Handwerk voller Wehe,

Umzunfte dich der schnöde Tod, die Ehe. –


Nein! solcher Ärmlichkeit dich hinzubieten,

Wird Armut dich nicht zwingen;[358]

Die freie Liebe läßt sich nicht umarmen;

Wo sie den Kuß in Zweck und Absicht schmieden,

Wo Trieb und Freiheit ringen

Und alle Lüste an der Not verarmen,

Dem Handwerk zum Erbarmen,

Wo zwei geübte Langeweilen weilen

Und Pflicht und Notdurft teilen,

Darfst du dich nicht ergeben – heilig Leben!

Dein Bild nicht in des Haushalts Linnen weben.


O könntest ruhig du dein Sterben leben,

Die Andern nicht erkennen,

Die alles Lebens eine Hälfte fassen,

Sich stille wandelnd hohes Ansehn geben

Und hin und wieder rennen,

Als wäre ohne sie die Welt gelassen.

Ach wohl! sie ist verlassen,

Das Leben ist zur Selbstbetrachtung worden,

Die Liebe zu ermorden,

Und forscht die Schönheit tötend nach Gesetzen,

Die Liebe und die Schönheit zu ersetzen.


Sie wähnen gar, die Liebe sei verloren,

Weil sie sich selbst vermissen

Das Leben in Verzeichnisse schon bringen,

Als würde fernerhin nicht mehr geboren,

Als bräch aus Finsternissen

Der Tod herauf, die Mutter zu verschlingen.

Mit solchen Wunderdingen

Vermeinen sie die längst verlornen Grenzen

Der Liebe zu ergänzen,

Und ordnen uns und stellen nach den Flammen

Dem Tode in Systeme uns zusammen.


Wie schöner Sieg! Wir können hier nicht sterben,

Denn hier war uns kein Leben,

Ein Frühling nur, wir sind es selbst gewesen,

Erblühen und Verglühen – kein Verderben

Kann unser Bild entweben,

Nur Opfer kann der Liebe Fessel lösen,

O freudiges Genesen!

Erhebe, sanfte Königin, den Schleier[359]

Dem reinen Himmelsfeuer;

Will liebend nicht das Leben dich erringen,

So laß vom stillen Gotte dich umschlingen.


Wie glüht der Mittag heiß, in tiefem Schweigen

Eröffnet sie den Schleier,

Der Liebe Heiligtum muß sie enthüllen,

Und zu dem Throne glühe Strahlen steigen,

Des stillen Gottes Freier,

Die wachen Schmerzen tötend ihr zu stillen.

Sie reicht dem mächtgen Willen

Die Liebe hin, und löset ihre Krone

Und breitet auf dem Throne

Die duftenden Gewänder, an den Gluten

Des Bräutigams sich opfernd zu verbluten.


Mir ist das schöne Opfer bald verglommen,

Es wallt das letzte Düften

Dem lichten Gott, der mit der Krone fliehet,

Er wand sie mir, er hat sie hingenommen,

Und in den reinen Lüften

Das bunte Leben mit ihm heimwärts ziehet,

Mein stiller Abend glühet,

Und wo des hohen Glanzes reine Wellen

In heißem Purpur schwellen,

Da brechen sich der Sehnsucht letzte Wogen,

Und ist der Streit der Liebe hingezogen.«


O Nacht! so voller Liebe,

Ergieße deine dunkle Flut der Bangen,

Umfange ihr Verlangen,

Laß kühlend um die kämpfenden Gestalten

Das stille Meer der ewgen Liebe walten!


Godwi zog nun den Vorhang des Nachtstückes in die Höhe. Das Bild nahm die eine Wand der kleinen Stube ganz ein, wir saßen gegenüber auf einem Sopha. –

Der ganze Moment des Bildes war heftige Spannung, Männer mit schwarzen Mänteln ringsum, immer dunkler gegen den Rand. Mitten unter dem Baume ragt eine Fackel heraus, welche grelle Lichter über die hagern plumpen Gesichter der Leichenmänner wirft; von ihren Hüten fallen schwarze Flöre, welche[360] schön durchsichtig dem hellen Scheine eine Halbtinte entgegensetzen. Etwas entfernt von den Fackeln, doch allein in ganzer Beleuchtung, lehnt der Jüngling ohnmächtig im Arme eines Dieners, sein Kopf sinkt abwärts, so daß er von oben beleuchtet wird; er hat schöne blonde Locken, und einen edlen Gesichtsschnitt; der Bediente zieht ihm das Halstuch ab, und hat ihm die Kleider geöffnet, ein grüner Mantel fällt von seinen Schultern, und antwortet dem Grüne des Baumes, der durch die Fackel von unten erleuchtet wird; in dem Baume sieht man den Italiäner dunkel sitzen. Im Ganzen sind keine heftigen Farben, nur starker Kontrast von Dunkel und Licht.

Es war, wie dumpfes Murren in den dunkelsten Stellen, um die Flamme der Fackel einige lauten Schreie, um den Jüngling stille Bangigkeit, und er selbst leises Atmen und Seufzen. – Man meinte, es müsse sich nun bald ändern, sie müßten bald auseinandergehn.

Godwi ließ den Vorhang wieder fallen, und ich sagte: »Gut, es war Zeit, lange konnten die vielen Menschen nicht hier in der kleinen Stube sein, der Atem ward mir schwer.«

Wir verließen den Saal, und ich besuchte Georg, den Diener, der sehr krank war.

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 350-361.
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