Der Wolcken- und Luft-Himmel
Ps. CIV, 12.

[147] Du breitest aus den Himmel, wie einen Teppich.


Man siehet, in dem frohen Lentzen,

Nicht nur den Kreis der grünen Erden,

Auch dort den Kreis der Luft, in neuem Schimmer, glantzen,

Und Wunder-würdig helle werden.

Damit ein allgemein gleichförmigs Einerley

Dem Hertzen nicht gleichgültig sey,

Den Augen keinen Eckel brächte,

Und weniger gefallen möchte,

Wenn, an des weiten Himmels Bühne,

Nichts, als ein leeres Blau, erschiene:

So zieren schön geformt- und schön gefärbte Düfte

Den Boden-losen Grund der gantz durchstrahlten Lüfte,

Durch Gottes Huld, zu unsrer Lust allein,

Mit Farben, Bildungen, mit Klarheit, Glantz und Schein.

Noch mehr: indem wir bloß in Aend'rung Freude finden;

Bemüht sich gleichsam die Natur,

Uns auch, durch Aend'rung, zu verbinden.

Darum muß manches Wolcken-Bild

Veränderlich, so wohl an Farben, als Figur,

Sehr schnell entstehn, und schnell verschwinden.


Dem allen ungeacht't, wie groß, wie tief, wie weit

Des Himmels Schau-Platz ist; wie voller Lieblichkeit,

Wie prächtig, mancherley, wie herrlich und wie schön

Der Wolcken Cörper anzusehn;[148]

Wie rein der Silber-Glantz, wie hell der güld'ne Schein;

Wie herrlich und wie klar Figur- und Farben seyn:

So sehn wir leider doch, daß Menschen auf der Erden

Gefunden werden,

Die solchen ungemess'nen Platz,

Die einen solchen reichen Schatz

Von Bildung, Farben, Glantz und Licht

Nicht so viel würdigen, daß sie, zu Gottes Ehren,

Ihr bloß auf Geld erpicht Gesicht

Zu diesem grossen Wunder kehren.

Sonst reisset unsern Sinn

Ein grosser Cörper leicht, ihn zu betrachten, hin;

Noch schneller mercket man,

Wenn grosse Cörper sich bewegen, an.

So ändert etwas auch, das helle,

Nicht leichtlich unvermerckt die Stelle.

Nicht minder pflegen wir,

Aus angebohrner Neu-Begier,

Veränderungen gern und bald zu spüren.

Hier aber, ob der Wolcken Reich

Gleich groß, beweglich, hell, veränderlich zugleich,

Kann alles dieses uns nicht rühren,

Noch uns, in unsrer Lust, zum grossen Schöpfer führen.

Hör auf, geliebter Mensch, den Schöpfer zu verachten!

Komm, laß uns, GOTT zum Ruhm, das Firmament betrachten!


Der Himmel wird jetzt nicht so sehr

Mit schönen Farben ausgeschmücket,

Als man an ihm vielmehr

Ein buntes Licht, das allgemein, erblicket.

Man sieht von ungezählten Bildern

Veränderungen ohne Zahl,[149]

Womit sich itzund auf einmahl

Die ungemess'nen Tiefen schildern.


Der Wolcken meistens halbe Kreise,

Die allzumahl ihr gläntzend Prangen,

Nachdem sie hoch und dick, auf gantz verschied'ne Weise,

Vom Licht, das an sie strahlt, empfangen,

Zertheilen sich bald hie, bald dort,

Wodurch wir Brüche, Tiefen, Höhen

Und Oeffnungen an manchem Ort,

Mit Lust und mit Verwund'rung, sehen.


Man siehet oft, mit recht vergnügter Seelen,

Durch schwartze bald, und bald durch braune Hölen,

Ein den Sapphir weit übertreffend Blau;

Indem der Wolcken Dunckelheit

Des reinen Firmaments so klare Heiterkeit

Noch desto mehr erhebt. Ein Berg, der dunckelgrau,

Lässt dort, auf Purpur-farb'nen Spitzen,

Den äussern Rand, wie reines Silber, blitzen,

Den der sapphirne Grund noch eins so helle macht.

Ein güld'ner Umstrich schmückt, in ungemeiner Pracht,

So manchen dunckel-braunen Kreis,

Roth, Purpur, Leibfarb, blau, grau, grünlich, gelb und weiß

Erfüllt und ziert, im angestrahlten Duft

Der Wolcken, jetzt die reine Luft.


Hier scheint ein grosser Platz von Gold ein güld'nes Meer,

So dorten glatt, und hier voll kleiner güld'nen Wellen,

In blauen Ufern, vorzustellen.

Man siehet öfters, mit Vergnügen,

In diesem Luft-Meer eben so,

Als wie im Archipelago,

Viel' Inseln, die zerstreuet, liegen.[150]

Da siehet man bald halb- bald gantze Spuren

Von wunderlich geformten Creaturen,

So manchen grossen Wall-Fisch schwimmen,

Bald manchen feurigen ergrimmten Drachen glimmen.

Hier scheinet manch Gewölck, als wenns ein wilder Bär,

Dort eins, als wenn ein Pferd in vollen Sprüngen wär.


Ein Meilen-langer Ries', umringt von kleinen Zwergen,

Entstehet und vergeht. Auf hohen güld'nen Bergen

Wächst Angesichts ein Baum, der schwebet sanft daher,

Allein im Augenblick erblickt man ihn nicht mehr:

Es wird aus seinem Stamm ein Vogel, ein Gesicht,

Und bald ein leeres Nichts. Hier sieht man rothe Schlösser,

Da Thürme, stehn, dort Masken, welche grösser,

Als eine gantze Stadt. Bald lassen sich Armeen,

Mit Fahnen, Spiess- und Degen, sehen.

Hier lassen güld'ne Bilder sich,

Auf einem fast sapphirnen blauen,

Und blaue dort, auf güld'nem Grunde, schauen.

Des Himmels Schönheit, Weit' und Zier

Kommt mir sodann nicht anders für,

Als wie ein Schau-Platz ohne Grentzen,

Auf welchem tausend Scenen mir,

(Die alle schön, in buntem Schimmer, gläntzen)

Beständig vorgeschoben werden.


Wie sehr ergetzet sich das menschliche Gesicht

An einem schönen Schau-Platz nicht?

Wer aber sahe je ein gleiches auf der Erden?

Wie sehr bewundert man nicht auf der Bühnen

Von farbigem Gewölck' erscheinende Machinen?

Die, bey der wahren Wolcken Schein,

Jedoch nur Klicker-Werck und Schatten seyn.[151]

Oft siehet man, mit Purpur-farb'nen Bildern,

Ein Feld, das weiß, wie Schnee, sich schildern.

Nicht weit davon kann man

Viel' ungemess'ne Gold- und Silber-Klumpen sehen.


Wer aber kann das helle Sonnen-Licht,

(Das öfters, wenn ein Berg von duncklen Wolcken bricht,

Durch selbigen, als wie aus einer schwartzen Höle,

In gantzer Klarheit strahlt) beschreiben?

Wer kann der Farben Glantz so hoch in Worten treiben?


Es strahlet, durch der Oeffnung Dunckelheit,

Uns eine helle Herrlichkeit

Nicht in das Aug' allein, zugleich auch in die Seele.


Der Mittelpunct des Lichts, das Erd' und Himmel füllt,

Woraus der Farben Pracht, Glantz, Wärm' und Leben quillt,

Der Born der Fruchtbarkeit, der Creaturen Wonne,

Der Schönheit Seele, Geist und Leben, kurtz die Sonne,

Lässt sich an diesem Ort, ohn' uns zu blenden, sehn.

Das Auge, durch den Flor der Dunckelheit beschützt,

Sieht unverletzt, wie Wunder-schön

Die reine Gluht, in kleiner Oeffnung, blitzt.

Man siehet, an der Wolcken duncklen Grentzen,

Die Sonne sich mit einem bunten Glantz,

Recht als mit einem Sieges-Krantz,

Von Millionen Strahlen, kräntzen.


Ein unbeschreiblich-lieblich Blitzen

Von hundert tausend zarten Spitzen,

Die alle bunt, die alle feurig seyn,

Erfüllt hier mein Gehirn und mein Gemüthe,

Mit einem holden Freuden-Schein.
[152]

Ein heller Andacht-Strahl begeistert mein Geblüte,

Erheitert meinen Geist. Die Weisheit, Macht und Güte

Des ewig sel'gen Lichts, des Schöpfers aller Welt,

Belebt mich, strahlt mich an. Es flammt in meiner Seelen

Ein Trieb, was herrliches vom Schöpfer zu erzählen,

Der alle Dinge wirckt, belebt, regiert, erhält,

Deß Wesen ich mit Lust in seinen Wercken sehe.


Es schwinget sich mein Geist in die sapphirne Höhe,

Ich eil' ins Firmament, ich fliege, wie ein Strahl,

Durchs Boden-lose Meer, durchs unumschränckte Thal

Des nie begriff'nen Raums, in dessen hohlen Gründen

Kein Ziel, kein Schluß, kein Grund zu finden.


Hier denck' ich an die Tief', hier denck ich an die Weite,

Die ungeheure Läng' und ungeheure Breite

Des Kreises, den allein der Sonnen Licht erfüllt,

Das unaufhörlich strahlt und unaufhörlich quillt

Aus einem Mittel-Punct von Millionen Meilen.


Hilf GOTT! was stellt sich mir,

Indem ich dieses denck, für eine Grösse für!

Kein menschlicher Verstand kann hier ein Ziel ereilen.

O unermeßlicher, o ungeheurer Raum,[153]

Wer wird doch deine Gröss' und Tiefe fassen können,

Indem die gantze Welt, Luft, Meer und Erde, kaum,

Bey deinem Mittel-Punct, ein Mittel-Punct zu nennen.


Nun ist es ausgemacht,

Daß diese hohle Tief' (o Wunder!) Tag und Nacht

Beständig angefüllt mit Licht und Sonnen-Schein,

Wie die Planeten dieß, mit ihren duncklen Kreisen,

Die bloß durch sie bestrahlt, uns augenscheinlich weisen.


Es fasse doch ein Mensch einst, seinem Gott zur Ehr',

Das leider mehrentheils verstreute Heer

Von seinen flüchtigen Gedancken,

So viel ihm möglich ist, in ordentliche Schrancken,

Und dencke nur ein eintzigs mahl:

Wie so gewaltig lang muß doch der Sonnen-Strahl,

Wie unermeßlich groß des Lichtes Cörper seyn,

Der, mit vereinigtem und ungetheiltem Schein,

Die allertiefsten tiefsten Tiefen

Von diesem Raum beständig füllt!

Der sich, vor unserm Blick, nur dadurch bloß verhüllt,

Weil, in des tiefen Raumes Gründen,

Kein Gegenstand zu finden,

Wovon er könnte rückwärts prallen,

Und so in unser Auge fallen.

Dieß aber hindert nicht, daß in den hohlen Höh'n

Und in der Tiefe sonder Grentzen,

Ob wir es gleich nicht sehn,

Die Strahlen doch nicht unaufhörlich gläntzen.
[154]

Indem ich dieses überlege,

Und von so grossem Licht die Gröss' erwege:

So deucht mich, würd' ein solcher Wunder-Schein

Fast nur umsonst erschaffen seyn,

Wenn ausser uns (den Planetar'schen Erden)

In der Natur sollt' anders nichts,

Von aller Kraft des ungemess'nen Lichts,

Empfunden und erleuchtet werden.


Es kommen, im Vergleich

Mit dieses Lichtes weitem Reich,

Mit diesem gläntzenden unmeßlichen Revier,

Die sechszehn Irr-Stern' und nicht anders für,

Als schwümmen, in dem weiten Meer,

Nur sechszehn Erbsen hin und her.

So wenig man

Von solchen Erbsen nun vernünftig schliessen kann,

Daß sich das Meer daran, mit allen Tropfen, reibe;

So wenig man zugleich von solchem Meer

Vernünftig schliesst, es sey von Creaturen leer:

So wenig geht es auch mit Licht und Strahlen an,

Daß von denselben nichts, als etwan sechszehn Erden,

Erleuchtet und getroffen werden.

Es geht der gröste Theil unendlich weit vorbey.

Mir kommts derhalben glaublich für,

Daß, ob gleich unsers Cörpers Augen,

In dieser Welt,

Den Licht-Strahl nicht zu sehen taugen,

Wenn solcher nicht von Cörpern rückwärts fällt;

Es darum doch nicht folgen müsse,

Daß nicht in der Natur Geschöpfe sollten seyn,

Die minder Cörperlich, als wir,

Und die vielleicht allein[155]

Sich an des Lichtes eig'nen Schätzen,

So wie wir uns am Licht, im Wiederschlag, ergetzen.


Wenn ich demnach von der sapphirnen Höhe,

Wann sie entwölckt, die tiefe Klarheit sehe:

So fühl' ich mich, vor Freuden, kaum.

Mich deucht, ich seh', mit Augen, einen Raum,

Wo Millionen Millionen

Verklärte Geisterchen und sel'ge Seelen wohnen,

Die all', in einem Meer von Licht und Wonne, schwimmen,

Die all', in reiner Gluht von heil'ger Andacht, glimmen,

Die all', an Gottes Huld, an seiner Wercke Pracht,

An seiner Weisheit, Lieb' und Macht,

An seiner Majestät und Herrlichkeit

Unendlicher Vollkommenheit,

Zu ihres grossen Schöpfers Ehren,

In sel'ger Lust, sich ewig nähren,


Kommt diese Meynung dir,

Weil sie dir fremd, vielleicht nicht glaublich für?

So laß dich nur dadurch sogleich nicht schrecken!

Dein' Unempfindlichkeit erschreckt mich noch vielmehr,

Da, zur Verkleinerung von Gottes Ehr',

In selbiger betrübte Folgen stecken.

Ist es genug,

Den Himmel obenhin nur, als ein blaues Tuch,

Wie? oder gar nicht, anzusehn?


Zudem so kannst du ja von den so hellen Sternen,

Die wircklich Cörperlich, und die, so groß, als schön,

Des Himmels Raum unleugbar schmücken,

Dennoch, bey Tage, nichts erblicken:

Wirst du dich deßfalls, sie zu leugnen, unterstehn?
[156]

Hieraus nun siehst du klar von deinem Blick die Schwäche,

Und sagest nicht mit Recht, zu meiner Meynung, nein,

Wenn ich, von Anmuth heiß, voll Andacht, glaub' und spreche:

Es wird wohl alles dort voll Mahanaim seyn.


Wie kann ein Mensch den Schöpfer besser ehren,

Wie kann man Seinen Ruhm doch mehr vermehren,

Wie können wir Ihm doch ein besser Opfer schencken,

Als wenn wir stets von Seiner Wunder-Macht,

Von Seiner Weisheit, Gröss' und Seiner Wercke Pracht

Das Allergrösseste, das Herrlichste, gedencken!

Ja, wenn ich mich vielleicht auch irren möchte:

So ist jedoch dein Irrthum grösser.

Denn das, was ich davon aus Ehrfurcht denck', ist besser,

Als wenn ich nichts davon, wie du aus Faulheit, dächte.


O undurchdringliches, allgegenwärtig's Licht!

Der Du der Ewigkeit Unendlichkeit erfüllest,

Der Du Dich in Dir selbst, zu unserm Heyl, verhüllest,

Aus welchem, als ein Strohm, der Dinge Wesen bricht,

Du ewig-selige Vollkommenheit und Liebe,

Vermehre doch in mir der Andacht reine Triebe!

Ach gib doch, daß, wenn ich des Himmels blaue Höhe,

In einem heitern Glantz, in reiner Klarheit, sehe,

Es stets, zu Deinem Ruhm, mit frohem Ernst, geschehe!


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 147-157.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Irdisches Vergnügen in Gott
Irdisches Vergnügen in Gott: Erster und zweiter Teil
Irdisches Vergnügen in Gott: Dritter und Vierter Teil

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon