3. Das Gehör

[629] 72.

Da wir also auch besehen

Des Geruchs Beschaffenheit;

Wollen wir nun weiter gehen,

Und uns mit Aufmercksamkeit

Zu dem dritten Sinne kehren,

Auch vom Hören was zu hören,

Dessen Nutz und Eigenschaft

Von verwunderlicher Kraft.


73.

Die Natur hat unsern Ohren,

Wie uns die Erfahrung zeigt,

Einen hohen Sitz erkohren,

Weil der Ton stets aufwärts steigt

Der, gezeugt von stoss- und schlagen,

Durch die Luft wird fort getragen,

Die in Kreisen sich bewegt,

Als wenn man ein Wasser regt.


74.

Wenn nun diese regen Kreise

Sich erstrecken bis ans Ohr;

Dringen sie, auf seltne Weise,

Durch das nie gesperrte Thor,

Wodurch sie sich selber führen,

Bis sie an ein Häutchen rühren,

Das daselbst, wie eine Wand,

Die da tönet, ausgespannt.
[630]

75.

Dieses scheint zwar fest und dichte,

Als ob das geringste Loch

Auch vom schärfesten Gesichte

Nicht darin zu sehn; dennoch

Hat sichs offenbar gezeiget,

Daß sich lebend Silber seiget

Und, wenn mans darüber giesst,

Es dadurch gar leichtlich fliesst.


76.

Wann der Ton sich hier gebrochen,

Und gereinigt, wird gespührt,

Daß er drauf drey kleine Knochen,

Die sehr künstlich sind, berührt.

Denn in dieser kleinen Kammer

Hängt ein Amboß und ein Hammer,

Und der dritte gleichet bald

Einem Stegreif an Gestalt.


77.

Wann der Ton nun hieher kommen,

Wird er von der innern Luft

Augenblicklich aufgenommen,

Und in manche Höl' und Kluft,

Durch verschied'ne Gäng' und Stege,

Labyrinthe, krumme Wege,

Die hier die Natur gemacht,

In ein Schnecken-Haus gebracht.
[631]

78.

Darin kann er noch nicht bleiben,

Sondern wird heraus geführt,

Und lässt sich noch weiter treiben,

Bis er an ein Nervchen rührt;

Welches, ob es gleich so dünne

Als der Faden einer Spinne,

Doch den Ton, durch den es klingt,

In den Sitz der Sinne bringt.


79.

Hier bey dieser kleinen Sehnen

Soll man mit Verwund'rung sehn,

Wie viel Aest' aus ihr sich dehnen,

Ja den gantzen Leib durchgehn,

Die nicht nur im Gaum und Munde,

Zähnen, Augen, Nas' und Schlunde

Sich zertheilen; sondern auch

In der Brust und in dem Bauch.


80.

Ja so gar bis in die Füsse

Sollen kleine Zweige gehn,

Wannenher ich leichtlich schliesse,

Wie die Wirckungen geschehn,

Welche die Music erreget,

Da der Ton das Ohr uns schläget,

Und im Nervchen, das er rührt,

Durch den gantzen Leib sich führt.
[632]

81.

Gleichwohl muß auch aus der Seelen

Stets was wieder rückwärts gehn:

Denn man spühret in den Hölen

Unsrer Ohren ein Getön,

Das man, wie ein Murmeln, höret,

Wenn man gleich den Eingang wehret

Aller Luft, die auswärts schwebt,

Wenn die Ohren zugeklebt;


82.

Es gescheh' mit Wachs entweder,

Oder mit der holen Hand,

Folglich muß der Paucken Leder,

Das darinnen ausgespannt,

Von der Luft nicht seyn getroffen,

Sondern, wenn das Ohr nicht offen,

Müssen Theilchen rückwärts gehn,

Die von innen stets entstehn.


83.

Und hieraus wär' nun zu schliessen,

Wie man, was man hört, verspührt;

Weil die Geister Strich-weis fliessen,

Die das Luft-Reich stets gebiehrt,

Welche sich an allen Seiten

Auf den Ohren auswärts breiten,

Wodurch in das Ohr, was klingt,

Wie in einen Trichter, dringt.
[633]

84.

Denn was tönt, strahlt gleicher Weise

Durch verschied'ne Striche fort:

Stossen also auf der Reise

Viele Strich', am rechten Ort,

An so manchen Strich der Ohren;

Sonst wär' mancher Ton verlohren:

Denn nur einer, und nicht mehr,

Träfe sonsten das Gehör.


85.

Da die Ohren offen stehen,

Könnt' ein Ungeziefer leicht,

Uns zur Plag', in selbe gehen;

Aber sie sind immer feucht

Durch ein bitter fettes Wesen.

Dieß ist recht dazu erlesen,

Daß es allen Paß verlegt,

Weil kein Thier leicht Fett verträgt.


86.

Welch ein Wunder, daß der Ohren

Kleine Trummel oder Wand,

Eh' ein Kind zur Welt gebohren,

Könne dennoch ausgespannt

In der Feuchtigkeit bestehen!

Hiezu ist ein Stoff versehen,

Der sie, bis ein Kind zur Welt,

Schützet und verstopfet hält.
[634]

87.

Eben so, wie unser' Augen

Nichts erblicken sonder Licht,

Kann man nichts zu hören taugen,

Wenn die Luft dem Ohr gebricht.

Und darum ist GOTTES Wille,

Daß die Luft die Welt erfülle:

Darum schwebt der Lüfte Meer

Wunderbarlich um uns her.


88.

Wenn die Luft sich langsam reget,

Wird ein ernster Ton gespührt,

Und wenn sie sich schnell beweget,

Oder schleunig circulirt,

Wird in unsern zarten Ohren

Ein geschärfter Ton gebohren,

Der die Geister, die er zwingt,

Schneller in Bewegung bringt.


89.

Durch das Zittern kleiner Theile,

So die Luft stets aufwärts führt,

Wird der Ton in schneller Eile

Und den Augenblick verspührt.

Wenn nun, durch ein starck Bewegen,

Solcher Theile viel sich regen,

Wird der Schall mit starcker Macht

Unsern Ohren zugebracht.
[635]

90.

Daß die Töne, die wir spühren,

Durch die Seel' in unserm Ohr,

Und nicht auswärts, sich formiren,

Stellet dieses deutlich vor:

Wenn ein Fluß das Haupt verstopfet,

Hört man, wie es braust und klopfet,

Welches nicht von aussen klingt,

Sondern in uns selbst entspringt.


91.

Viele, ja die meisten lehren,

Und die Lehr' scheint wahr zu seyn,

Daß Hirn, Nerv' und Ohr nicht hören;

Sondern daß die Seel' allein,

Wenn ein Schall die Lüfte rühret,

Nichts, als die Bewegung, spühret:

Aber selbst durch eigne Kraft

Jeden Ton formirt und schafft.


92.

Wenn wir auf der Schaubühn' hören,

Daß man jammert, seufzt und klagt,

Und, an statt uns zu beschweren,

Solch ein Klagen uns behagt,

Weil es keine wahre Schmertzen;

Sehn wir, daß in unserm Hertzen

Nicht der Ton den Reitz gebiert,

Nein, daß ihn der Geist formirt.
[636]

93.

Doch kann man durchs Ohr die Seelen

Reitzen, ärgern und erfreun,

Trösten, und empfindlich quälen:

Ja der rege Ton allein

Zwingt, verschlimmert und verbessert,

Nährt, verkleinert und vergrössert,

Schärft und dämpft die Leidenschaft,

Mehrt und mindert ihre Kraft.


94.

So wie dieser Cörper jenen

Oefters hemmet, oft bewegt,

Also wirckt ein künstlichs Tönen,

Daß sichs Blut bald regt, bald legt.

Durch ein schnell und heftigs Klingen

Wird man es in Wallung bringen;

Und durch einen sanften Klang

Wieder in den vor'gen Gang.


95.

Alexander greift zum Degen

Durch ein krieg'risches Getön,

Da durch sanfte Tön' hingegen

Sauln so Wuth als Zorn vergehn.

Welch ein angenehmes Sehnen

Wirckt das Singen einer Schönen

Dem, den ihre Schönheit rührt,

Wo ein and'rer nichts von spührt?
[637]

96.

Gantzen krieg'rischen Armeen,

Voll Bellonens Grimm und Wuth,

Die zum Kampfe fertig stehen,

Macht ein eintzigs Wörtchen Muth

Mehr, als Paucken und Trompeten,

Daß sie sich mit Freuden tödten.

Wenn ein Führer, Brüder, spricht;

Achten sie kein Sterben nicht.


97.

Sollte das Gehör uns fehlen,

Fehlt' und blieb uns unbekannt

Alle Wirckung unsrer Seelen,

Und der denckende Verstand

Würd', als in sich selbst vergraben,

Keine Kraft und Wirckung haben:

Der Gesellschaft Nutz und Lust

Blieb' uns ewig unbewust.


98.

Sprich, verwildertes Gemüthe,

Kommt das Ohr von ungefehr,

Oder aus der Macht und Güte

Eines weisen Wesens her?

Sprich: Verdienen solche Wercke

Nicht so viel, daß man sie mercke?

Wers Geschöpfe nicht betracht't,

Schändet seines Schöpfers Macht.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 629-638.
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