Ein fester Vorsatz

[303] Als meine Kinder einst, vor wenig Tagen,

Da es noch ziemlich früh, in sanfter Ruhe lagen,

Und ich, um sie vom Schlafe zu erwecken,

Selbst in die Kammer trat; sah ich sie, voll Vergnügen,

Von lauem Schweiß gefärbt, in süsser Röthe liegen,

Und, wie die Rosen, blühn. Theils hatten sie die Decken

Im Schlafe von sich weggeschoben,

Hier hatt' ein kleiner Arm sich um sein Haupt gelenckt,

Ein andrer lag auf seinem Pfül erhoben,

Dort waren zwey mit Hand und Bein verschränckt,

Ein Aermchen ruh'te dort auf seines Bruders Brust,

Wie es der Zufall gab. Ich sahe sie mit Lust,

Ich danckte Gott, daß er sie so gesund geschaffen,

Auch daß sie, durch desselben Macht,

So wohl, als ich, die gantze Nacht

So sanft, so ruhig können schlafen.


Kaum rief ich ihnen zu: Auf! als ich sie

So bald, den Schlummer zu vertreiben,

Zugleich beschäfftigt sah. Doch wollte, sonder Müh',

Der träge Schlaf nicht fort; ein sanftes Augen-Reiben

Erhub sich überall. Hier streckt' ein Aermchen sich,

Und dort ein kleines Bein.

Hier sahe mich

Von dieser kleinen Schaar

Ein halb geöffnet Aug', indem des Tages Schein

Ihn anfangs blendete, mit holdem Lächeln zwar,

Doch kurtzen Blicken an. Ich hörete von allen

Ein froh verwirrt Papa! Papa! erschallen.
[304]

Auf! rief ich, lasst mich sehn, wer von euch kann

Am ersten angethan,

Am schnellsten fertig werden.

Gleich war der Schlummer fort, ein ämsiges Gewühl,

Das jedem, der es sah, gefiel,

Erhub sich überall; sie sprungen von der Erden,

Und, eh' ich's mich versah,

Stund alles fertig da.

Mir fiel hierüber folgends ein:


Wie nützlich und wie gut in unserm Leben

Die Leidenschaften seyn;

Davon kann dieses Kinder-Spiel

Mir eine gute Nachricht geben.

Welch eine Schläfrigkeit würd' an dem Menschen kleben,

Wie träg' und ungeschickt würd' er zu allem seyn,

Wenn eine Leidenschaft, zumahl der Trieb zur Ehre,

Nicht bey uns Menschen wäre.


Es fliesst hieraus noch eine Lehre:

Ob gleich wir Menschen schwach und unvermögend heissen;

So sind wir doch geschickter, als man denckt,

Uns dem Gewohnheits-Schlaf und Schlummer zu entreissen,

Wenn man die Sinne nur auf einen Vorwurf lenckt,

Der uns gefällig ist: Man wird viel Unvergnügen

Und Hinderniß geschickt seyn zu besiegen,

Mehr als man selbst geglaubt.

Sprich nicht: Dieß Gleichniß hier vom Schlafe geht nicht an,

Weil man denselbigen, des Morgens, leicht bekriegen,

Und, durch geringen Zwang, vertreiben kann,

Da er sich ohnedem hinweg pflegt zu verfügen;

Wenn der Gewohnheits-Schlaf hingegen

Beständig an uns klebt, und immer zäher wird.[305]

Dieß scheint zwar wahr zu seyn; Doch, wenn wir's recht erwegen,

So hast du dich dennoch geirrt.


Ob durch Gewohnheit gleich die Leidenschaft

Noch immer stärcker wird; kann gleichwohl ihre Kraft

Die gegenseitige Gewohnheit wieder dämpfen.

Es liegt, in diesem Fall, am festen Vorsatz viel.

Fang' du nur tapfer an, und fahre fort zu kämpfen!

Du kommst zuletzt gewiß zum vorgesteckten Ziel.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 303-306.
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