Vermehrung vergnügter Tage

[205] Bey aufgeklärter Luft, im warmen Sonnen-Strahl,

Spricht mancher Mensch noch wohl einmahl:

Heut ist das Wetter schön!

Kaum aber hat er dieß gesprochen,

(Als wäre GOTT nun Ehre gnug geschehn)

Wird seine Red' und Lust gleich abgebrochen.

Er lässt den gantzen Tag vergehn,

Ohn' an desselben Pracht und an der Sonnen Schätzen

Sich im geringsten zu ergetzen,

Und sie gerühret anzusehn;

Da, wenn wir recht vernünftig handeln wollten,

Wir billig überlegen sollten,

Daß ja ein schöner Tag, aus vielen Viertel-Stunden,

Noch mehr Minuten und Secunden,

In seiner Pracht, besteht,

Daß jeder Augenblick, wenn man es nur bedenckt,

Uns eine neue Lust und solche Freude schenckt,

Die uns ein gantzer Tag,

Der ungefühlt verstreicht, zu geben nicht vermag.


Wir theilen sonst die Zeit,

Durch Uhren, ein:

Warum wird doch der Anmuth Flüchtigkeit,

Durch Theile, nicht gehemmt? Ach! würde, GOTT zu Ehren,

Auch unsre Lust zugleich dadurch zu mehren,

Bey schönem Wetter, doch zum öftern überdacht:
[205]

Aufs neu' hab' ich ein Theil von meinem Leben,

Das mir der Schöpfer hat gegeben,

Im schönen Sonnen-Licht, Gott Lob! vergnügt verbracht.


Hierdurch kann uns ein schöner Tag auf Erden,

Den wir, da man an ihn so kurtze Zeit gedacht,

Fast zur Minute nur bisher gemacht,

Zu vielen schönen Tagen werden.

Weil eigentlich, durch's Dencken bloß allein,

Wir im Besitz vom Guten seyn.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 205-206.
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