Demoiselle Trommler,

[100] eine Schwäbin von Geburt, zählt sich zu den gelehrten Damen, ordnet Liederkränze an, wobei aber nicht gesungen, sondern nur gelesen wird. Gewöhnlich liest sie ihre eigenen poetischen Kinder der jüngsten Laune vor; die Pausen, welche auf den Applaus verwendet werden, sind schon immer zum voraus bestimmt. Einige Dichter und Recensenten, die ihren zweimal angebrühten Thee trinken, machen ihr den Hof. Als noch die Zeitschrift: »die Morgenröthe,« unter ihrem Einflusse von ihrem Anbeter, dem berüchtigten Schreidichaus, redigirt wurde, den der geniale Theodor Hell in Dresden in seinem trefflich bearbeiteten Lustspiele: »die Benefice-Vorstellung,« zur allgemeinen Belustigung auf die Bühne brachte, wurden diese Abendsitzungen auch zu förmlichen Berathungen über die vorgelegten Kritiken benützt, wobei Demoiselle Trommler ausschließend die entscheidende Stimme hatte. Die Unbefangenheit ihrer Urtheile bedarf wohl keiner nähern Erläuterung. Wie gerne hätte sie oft auch eine andere verdienstvolle Künstlerin loben lassen, allein den von ihren dienstwilligen Anbetern aufgespeicherten Vorrath von Lobpreisungen verschlang ihre eigene Unersättlichkeit, als wäre sie, bildlich zu sprechen, eine von den sieben magern und hungerigen Kühen des ägyptischen Traumes gewesen.[101]

Mit Aenderung eines einzigen Wortes könnte diese Schauspielerin den bekannten Ausspruch der Maria Stuart auf sich anwenden:


»Das Aergste weiß von mir die Welt, und ich

Kann sagen, ich bin schlechter als mein Ruf.«


Im Grunde kann die böse Welt die Moralität ihres häuslichen Lebens nicht mit großer Bestimmtheit anfeinden.

Man erzählt sich zwar, daß man eines Morgens einen rüstigen Dragoner-Wachtmeister todt in ihrem jungfräulichen Bette gefunden habe; allein nach eigenem Geständnisse ihres ehrsamen Kammermädchens sey dieser gute junge Mann und Kriegsheld, in Folge vorausgegangener Erschöpfung, im keuschen Bette der Dienerin aus dem irdischen in das ewige Leben auf einem Wonnemeere hinübergeschwommen, und nur deßwegen von der Gebieterin in das eigene Bett gebracht worden, um mit ihren übrigen Tugenden auch das Verdienst einer barmherzigen Schwester zu verbinden.

Dagegen ist sie rücksichtlich der Beurtheilung ihrer Kunstdarstellungen von etwas massivem Benehmen. Ihre Ohrenbläserinnen und Zuträgerinnen sind an allen vier Enden des Parterre vertheilt, um die zufälligen Aeußerungen der Zuschauer über ihr Spiel oder über ihre Person sorgfältig aufzutischen, und bei den abendlichen Klatschvereinen zu hinterbringen. Wehe dann denjenigen, die nur im Mindesten ihre Empfindlichkeit reizten![102]

Eine Frau von Stande erlaubte sich im Sommer des vorigen Jahres im Parterre zu ihrer Nachbarin zu sagen: »Ich finde, daß Demoiselle Trommler sehr hübsch gewachsen ist, nur Schade, daß sie einen so kleinen Kopf hat.« Am darauf folgenden Nachmittage bringt die großäugige Adjutantin der Demoiselle Trommler einen Brief von dieser an die Schwelle der Wohnung jener Frau, gibt ihn schnell ab, und fliegt über die Treppe hinab, vermuthlich im Vorgefühle, etwas später noch schneller hinunterbefördert zu werden.

Dieser Brief lautet buchstäblich so:


Madame!


»Ich habe in Erfahrung gebracht, daß es Ihnen in der Vorstellung *** ** *** gefallen hat, über mich, meinen Charakter und meine Denk- und Handlungs-Weise auf das empörendste loszuziehen, und dieß zwar so laut, daß mehrere Personen in ihrer Nähe, die Ihrer Versicherung zum Trotz, daß alle Welt mich hasse, mich gerade recht sehr achten, über Ihr ungesittetes Betragen den höchsten Unwillen empfanden, und es für nöthig hielten, mich von der Sache in Kenntniß zu setzen.

Da ich mir nun bewußt bin, von Ihnen keineswegs gekannt zu seyn, und zugleich Sie nie in meinem Leben beleidigt habe, so muß ich Ihr ganzes Benehmen einzig als das einer Kalumiantin betrachten.

[103] Höchstgleichgültig ist mir, was Sie über die Kunsthöhe, auf der ich allenfalls stehen könnte, oder auf welcher mich das Publikum Deutschlands glaubt, für Ansichten haben, hierüber ist jeder Verständige oder Nichtverständige berechtigt, nach Vermögen zu urtheilen; meine Ehre als Dame1 aber ist mir höchst bedeutend, und ich erkläre Ihnen hiemit deßfalls, daß wenn mir je wieder ähnliche Aeußerungen zu Ohren kommen, wie diejenigen, welche Sie sich im Theater über mich erlaubten, ich Sie von Zeugen unterstützt bei Gericht als boshafte Verläumderin belangen werde. –


** den 27. Juni 18 –


Caroline Trommler,

Schauspielerin.«


Auf diesen närrischen Brief, an dem ich nichts änderte, als die fehlerhaften Unterscheidungszeichen, antwortete der Gatte der Empfängerin, ein sehr geschätzter Arzt im höhern Staatsdienste:


[104] Mademoiselle!


Da meine Frau nicht weiß, welcher Stiel2 gegen eine Theaterdame von Ihrem Schlage gebraucht werden muß, so kann ich Ihnen nur die Verlegenheit derselben, eine passende Antwort zu finden, bestätigen, und den schleunigen Gebrauch des Brausepulvers:


Rec. Natr. carbon. sicc.

Acid. tartar. āā gr. XV.


M. f. Q disp. tal. dos. VII.

D. S.


in eine Tasse geschüttet, mit Wasser während des Aufbrausens zu nehmen, – als ein niederschlagendes Mittel gegen gereizten Zustand, dringend empfehlen.


** den 27. Juni 18


***


Demoiselle Trommler soll, nach Aussage ihrer eigenen Adjutantin an einem dritten Orte Thränen der Wuth über das Brausepulver vergossen haben.

Ich habe Ihnen nur die Klippen auf dem hiesigen Bühnenmeere zeigen wollen, damit Sie dieselben ohne eine unangenehme Erfahrung kennen lernen; die übrigen Herren[105] und Damen sind Mittelgut, heute so, morgen anders, lebendige Mäntel, die sich selbst nach dem Winde hängen.

Bei der italienischen Oper werden Sie, mit Ausnahme der ersten Partieen, nur Talente vom dritten und vierten Range finden. Ihr ganzes Intriguiren beschränkt sich auf Geldunterstützungen, die sie sich aus der Schatulle der Fürstin so oft als möglich unter allerlei Vorspiegelungen erbetteln. Die Meisten unter ihnen sind aus der gemeinsten Volksklasse, von der italienischen Natur mit einer erträglichen Stimme beschenkt, und in Folge ihrer angebornen Rührigkeit für die Bühne abgerichtet.

Als Juwel unter dieser Spreu nenne ich Ihnen


Demoiselle Chiaretti,


ein Mädchen von 20 Jahren, voll südlicher Glut, von hübschen Formen, die erste Liebhaberin in der Oper und im Kabinete des Erbprinzen. Sie ist sehr gebildet, und nicht nur mit den ersten Dichtern ihres Vaterlandes, sondern auch Frankreichs und Englands vertraut. Vor zwei Monaten las der Erbprinz noch Tasso's nächtliche Klagen der Liebe mit ihr; hätte es Tasso gemacht wie der Erbprinz, der die Nächte nicht zu Klagen verwendet, so wären wir um dieses Meisterwerk ärmer. –

Sie hat ein gutes Herz, aber ihre Eifersucht ist gränzenlos; hüten Sie sich in diesem Punkte wohl; ich möchte[106] das Aeußerste befürchten. Der Erbprinz ist von ihr eingeschüchtert; wäre Chiaretti nicht, so würde er schon längst unter den fürstlichen Jungfrauen Deutschlands gewählt, und sein Vaterland über die Thronfolge beruhiget haben.

Die Minister fürchten und hassen sie, als Gegnerin ihrer Plane, und sie haßt die Minister, ohne sie zu fürchten. Sie weiß recht wohl, daß diese Tag und Nacht darauf sinnen, sie vom Herzen des Erbprinzen zu reißen, und diesen dann durch eine Vermählung zu zerstreuen. Ein so wichtiges Hoffest bringt Orden, Dosen mit Brillanten besetzt, Lehen, große Gratifikationen, Rangerhöhungen, u. dgl., und alle diese schöne Aussichten werden durch die Künste der schlauen Italienerin immer weiter hinausgerückt, Unter diesen Herren ist Graf von Spindel, der älteste Minister, Chiaretti's erbittertster Feind. Gleich einem Minengräber, einem Feinde gegenüber, legt er seine Sprenggruben so tief, still und unbemerkt an, daß derjenige, dem sein Angriff gilt, nicht früher eine Ahnung seines Geschickes erhält, als bis er schon in der Luft fliegt.

Da Chiaretti's Feinde öffentlich den Bogen nicht allzustark spannen dürfen, um den Erbprin zen nicht aufs Aeußerste zu treiben, in welchem Falle der Fürst demnach die Minister aufopfern müßte, so suchen sie beiden Liebenden auf allen Seiten Fallen zu legen, um sie unter sich zu entzweien. Bisher waren auch diese Mittel vergebens. [107] Graf von Spindel weiß jede Gelegenheit zu benutzen; ich bin überzeugt, daß er auch Sie, schöne Rosa! unbemerkt in sein Interesse ziehen wird; denn eine so überlegene Nebenbuhlerin konnte er bis jetzt der hübschen Chiaretti nicht gegenüber stellen. Gedenken Sie meiner freundlichen Warnung!

Fußnoten

1 Pallast- oder Schlüsseldame?A1


2 Ein witziger Schreibfehler!


A1 Als ich in einer berühmten Officin in Norddeutschland diente, war sie dem Publikum der Stadt als Schlüsseleldame, sehr bekannt.


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 108.
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