Der Vorstand.

[82] Nirgends hat der Neid ein freieres Feld, seine spitzigen Zähne in das Fleisch des guten Rufes zu schlagen, als wo ihm die Oeffentlichkeit des Wirkens wahre und vermeinte Blößen gibt, doch ist auch gerade sie das ächte Criterium, die Redlichkeit und das gediegene Wissen von der hochmüthigen Leerheit kenntnißloser Emporkömmlinge mit gerechter Würdigung zu unterscheiden.

Natürlich muß also der Vorstand einer Bühne, dessen Wirken Jedermann beurtheilen zu können sich anmaßt, fortwährend das Ziel schonungsloser Rügen seyn.

Dabei darf aber der Tadel nicht vergessen, zu erwägen, welche Eigenschaften für den Vorstand einer namhaften Bühne unerläßlich sind, wenn er als ein ächter Steuermann des dramatischen Schiffes gelten will.[82]

Ihm müssen die alte und neue Literatur der schönen Wissenschaften des In- und Auslandes mit allen Hülfswissenschaften woht bekannt seyn; die vaterländische Sprache muß in ihrer Reinheit den Mann von Bildung bezeichnen, der keiner Provinz angehört; die Originale Frankreichs, Italiens und Englands muß sich seine ausgebreitete Sprachkenntniß aufschließen; Besuche der ersten Bühnen von Europa müssen die Theorie und Uebung seines Leitsystems möglichst vervollkommnet, Reisen und Verkehr mit den höhern Ständen ihm die Weltformen erworben haben, ohne welche nur Einseitigkeit gedenkbar ist, und nur der Mangel jenes einnehmenden Tones sich aufdringt der als Form des überlegenen Wissens jene wahre Energie des Befehlens erzeugt, die durch barsches Ranggewicht sich niemals ersetzen läßt.

Uebrigens muß ihm Begünstigung inländischer Talente die heiligste Pflicht seyn, deren Nichtbeachtung oder schnöde Hintansetzung bald zu einer geistigen Nationalschuld anwüchse, die kaum ein Jahrhundert späteren Pflichtgefühles zu tilgen vermöchte.

Diese Andeutungen begründen vielleicht den ächten Maßstab für gerechte Beurtheilung des Werthes Einzelner, welche Kunst oder Gunst an das Steuer gestellt hat.

Dieser Stoff ist so reichhaltig, daß ich wohl noch tiefer in seine Schachten dringen könnte; ich möchte jedoch, wie ein Gestirn in der Ekliptik, gar keine Breite haben; verhütet[83] gleichwohl meine Bescheidenheit, mich als Sonne hinzustellen, die nie eine Breite hat, so will ich doch verdienen, unter die Planeten gezählt zu werden, die nur eine sehr geringe haben.

Ihr Vorstand, holde Rosa! besitzt auch nicht eine einzige von den aufgezählten Eigenschaften zur würdigen Erfüllung seines Berufes.

Von gemeinen Handwerksleuten geboren, genoß er in seiner Jugend nicht jene sorgfältige Erziehung, welche zur Zeit des öffentlichen Wirkens ihre schönsten Früchte trägt, und von ausgezeichneten Talenten oder genialen Köpfen, die sich aus der Dunkelheit ihrer Geburt selbstthätig emporheben, durch einen eigenthümlichen Takt des Schicklichen, und durch die fortwährende Beobachtung Anderer ersetzt wird.

Mit Recht würde man an mir die Kleinlichkeit tadeln, diesen Herrn an seine bürgerliche Abkunft zu erinnern, wenn er sich nicht eine so ängstliche Mühe gäbe, sie stündlich öfter zu verläugnen, als Petrus einst seinen Herrn und Meister; dieses Bedauern seines Herkommens treibt er so weit, daß er durch die gemeine Volksmundart eines angränzenden Landes, die er affektirt, selbst diejenigen täuschen möchte, welche ihn doch in seinem ersten Knabenalter so oft vor dem väterlichen Backofen schalten und walten sahen.

Ungeachtet dieser Charakterschwächen könnte er indeß[84] doch ein erträglicher Bühnenvorstand seyn, wenn er die dazu nöthigen Kenntnisse besäße; allein davon ist keine Spur vorhanden. Nicht einmal mit der französischen Sprache ist er vertraut, die selbst ein ordentlicher Souffleur nicht entbehren kann.

Wie ein edler Römer zu Cäsars Zeiten sich in seine Toga hüllte, wenn er das mächtige Capitol hinanstieg, so hüllte sich dieser Herr in die Schürze einer alten lüsternen Dame und ließ sich in dieser Vermummung auf den Theaterdirektionsstuhl nieder.

Der Nachweis seiner Vorstudien beschränkte sich auf die Leitung eines ganz kleinen Provinzialgesellschaftstheaters und auf die Lektüre von Sulzers Theorie der schönen Künste. Wer möchte hier nicht ausrufen: »Wahrlich, die Wege des Herrn sind wunderbar!«

Da häufig der Fall eintritt, daß ausländische Künstler und Künstlerinnen ankommen, um Gastrollen auf dem italienischen Theater zu spielen oder in Komödien aufzutreten; so hat er, gleich der hohen Pforte, einen eigenen Dragoman, – einen Dolmetscher, – angestellt, der den Vermittler zwischen Seiner Hoheit, dem deutschen Bühnensultane und den undeutschen Besuchen machen muß.

Die Natur hat ihn etwas stiefmütterlich behandelt, dessen ungeachtet ist es drollig zu sehen, wie er sich in dem Wahne aufbläht, ein Eroberer von Damenherzen zu seyn. Wahr ist es, daß er einigen alten Frauen die[85] Cour macht, worunter seine Gönnerin an der Spitze paradirt, gleich einem unfruchtbaren Acker, der seit einem halben Jahrhunderte brach liegt; aber der alternde Junggeselle wird bei den jungen altklugen Damen doch immer nur für einen eitlen Gecken gehalten. Man erzählt sich von diesem Herrn drei sinnreiche Wünsche, welche er an einem Morgen in drei galanten Visiten geäußert haben soll.

Eine von diesen Damen genoß von ihrer Wohnung aus eine entzückende Aussicht in das Gebirge und rühmte in seiner Gegenwart das Angenehme dieses Anblickes.

»O,« – seufzte er, – »wär' ich doch auch einer von diesen Bergen, oder gleich das ganze Gebirge, so wär' ich doch so glücklich, von Ihren schönen Augen täglich betrachtet zu werden.«

Die zweite Dame hatte eben eine Stecknadel fallen lassen und bückte sich, sie aufzuheben. Anstatt ihr zuvorzukommen, seufzte er wieder: »Ach, wär' ich doch eine Stecknadel und fiele auf den Boden, so könnte ich doch auch so glücklich seyn, von ihnen aufgehoben zu werden!«

Die dritte Dame fütterte vor ihrem Fenster eine Menge Sperlinge, die dadurch so vertraut mit ihrer Pflegemutter wurden, daß sie ihr die Körner aus der hohlen Hand pickten.

Abermals seufzte der alte galante Herr: »Ach, warum[86] bin ich kein Spatz, Sie würden mich dann mit Ihren eigenen Händen füttern!«

Wären diese drei Wünsche von mir erfunden, so müßte sie Jedermann fade nennen; allein ich versichere Sie, daß er sie wirklich gethan hat.

Wer erinnert sich hier nicht jener drei Wünsche, die einst eine wohlthätige Fee einem armen Fischer und seinem Weibe frei stellte? Da er eines Abends die hellfunkelnde Glut auf dem Heerde schürte, wünschte er unwillkürlich ein Paar Würste, die er köstlich braten wollte, und flugs flogen sie aus dem Schornsteine. Entrüstet über diesen thörichten Wunsch wünschte nun die Fischerin diese Würste an seine Nasenspitze, und gewahrte zu ihrem Entsetzen, daß auch sie einen Wunsch vergeudet habe. Nun blieb noch ein einziger Wunsch übrig, und wollte sie nicht lebenslang einen Mann mit einem Paar Würste an der Nase haben, so mußte sie den letzten Wunsch zur Entfernung dieses Uebelstandes verwenden, was sie auch that.

Sie wissen nun, meine holde Rosa! wie Sie diesen Patron zu behandeln haben.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 82-87.
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