Des Recensenten Traum.

[157] Hetzer eilte in den Gasthof, um sich mit Rosa über jene Angelegenheit zu benehmen, wovon ihn Jost so eben in Kenntniß gesetzt hatte. Rosa's Verfahren war ihm nur in dem Falle erklärbar, wenn sie den Inhalt seiner Denkschrift noch nicht kannte; aller Vermuthung nach mußte sie aber dieselbe bereits gelesen haben, wie hätte sie ihm sonst danken und ein so ausgezeichnetes Geschenk senden können? Freilich mag es wohl oft der Fall seyn, daß allerhöchste Personen für überschickte Werke Dankschreiben und goldene Dosen übermachen, ohne sich zuvor um den Inhalt und Werth solcher Werke persönlich zu bekümmern, obgleich seit einiger Zeit solche Ehrengeschenke an Gelehrte, Schriftsteller,[157] Dichter, Tonsetzer u.s.w. aus der Mode zu kommen scheinen; aber ihnen stehen doch Männer zur Seite, die den Beruf und mitunter auch die Fähigkeit zur Prüfung haben, auf deren Urtheil sie dann die Beschlüsse ihrer Huld gründen; da jedoch die Denkschrift Hetzers als ein Geheimniß, ausschließlich für Rosa bestimmt, zu betrachten war, so konnte er sich nicht überreden, daß Rosa's in der That brillante Antwort die Frucht eines fremden Urtheiles seyn könne. Seine Verstimmung ob dieser Ungewißheit verlor sich zum Theil, als er an einer Straßenecke einen Zettel angeschlagen sah, auf welchem mit überaus großen Buchstaben folgende Anzeige gedruckt stand:


Koncert-Anzeige.


»Herr Paganini wird auf seiner Durchreise nach Paris heute die Ehre haben, sich in selbstcomponirten Bravour-Variationen auf der Violine hören zu lassen, mit dem Bemerken, daß die Muse des Gesanges, Signora Rosa, sein Koncert durch ihre Mitwirkung verherrlichen werde.«


Schon lange hatte sich Hetzer nach dem Hochgenusse gesehnet, den ersten Violinspieler auf der Welt selbst zu hören, und nun war dieser schöne Augenblick so unvermuthet erschienen, der eine noch höhere Weihe durch Rosa erhalten sollte.

Kaum seinen Augen trauend, stand er vor der gedruckten[158] Anzeige, als enthalte sie die Nachricht, daß er das erste Loos in der Frankfurter Lotterie gewonnen habe.

»Gratulire!« rief eine Stimme hinter ihm, und eine Hand klopfte ihm auf die Schulter.

»Wozu?« fragte Hetzer sich umwendend.

Es war ein täglicher Tischgenosse von ihm, der in einer kritischen Zeitschrift: »die Wespe,« so eben eine Parodie von dem bekannten Traume in Wal lensteins Tod gelesen hatte, von Hetzer zur Züchtigung eines leidenschaftlichen Recensenten gedichtet, der vor wenigen Tagen einen der ersten Tragöden Deutschlands über seine Darstellung des Wallenstein in genanntem Stücke auf eine böswillige Weise durchhechelte.

Hetzer mußte herzlich über den allgemeinen Beifall lachen, womit seine Parodie verschlungen wurde, wie ihn dieser Herr im Vorbeigehen versicherte, und verdoppelte nun seine Schritte, um in einer so wichtigen Sache keinen Augenblick zu versäumen. In der Ueberzeugung, den geehrten Lesern eine Unterhaltung zu verschaffen, bin ich so frei, diese Parodie, da jene Zeitschrift wohl schon längst vergriffen seyn mag, hier einzuschalten. Sie führt die Aufschrift:


»Des Recensenten Traum

»Es gibt im finstern Recensentenleben

Auch Augenblicke, wo sie dümmer sind[159]

Als sonst, und wo der Kritiker die Frage

An's Schicksal stellen darf ›wer ist doch wohl

Bornirter noch und alberner, als ich?‹

Solch' ein Moment war's, als ich in der Nacht,

Die auf den Tod des Wallenstein erfolgte,

Gedankenvoll auf meinem Strohstuhl sitzend,

Hinaus in's Dunkle sah. Nur spärlich glomm,

Wie mein Verstandeslicht, die düst're Lampe;

Des Biergeist's dumpfes Dröhnen in dem Kopf,

Der Mäuse ängstlich Suchen nach der Nahrung,

Die sie bei mir nicht fanden, – unterbrachen

Die Stille, die einförmig um mich lag.

Mein ganzes Leben ging, vergangenes

Und künftiges, in diesem Augenblicke

An meinem inneren Gesicht vorüber.

Da sagt' ich also zu mir selbst: ›So oft

Schon hast du einen derben Bock geschossen,

Noth that's; denn leben will der Mensch und essen,

Und Bockfleisch ist doch besser noch als keines.

Novellen schrieb ich, wasserreich und mager,

Um selbst nicht ewig Wasser nur zu trinken.

Die Sünd' ist abgebüßt, die Recensenten

Bezahlten besser mich als mein Verleger.

So hab' ich mancherlei und viel versucht

Im Feld' der Poesie; doch mager war

Der Lohn; d'rum hab' ich mich auf's Recensiren

Verlegt, und fand auch glücklich einen Mann,

Der mich dafür bezahlt, doch fürcht' ich fast,

Durch meine ewige Begehrlichkeit

Zu frühe seine Großmuth zu ermüden.

Weil nun das Sprichwort sagt: es bringt sich Hans

Mit Dummheit fort, so möcht' ich wissen doch,[160]

Wer wohl der Dummste ist der Recensenten,

Um seiner genialen Spur zu folgen?

Der soll mir's sagen, dem will ich vertrauen,

Der an dem nächsten Morgen mir zuerst

Entgegenkommt mit einem Liebeszeichen.‹

Und dieses bei mir denkend, schlief ich fester,

Als selbst die Leser meiner Werke ein.

Und in das Schauspielhaus ward ich geführt

Im Geist; groß war der Drang; von Rippenstößen,

Sollt' man wohl glauben, blieb der Geist verschont,

Doch die Substanz des meinen ist so grob,

Und – mag sich's widersprechen – roh geformt,

Daß sein Erscheinen schon zu Rippenstößen

Stets invitirt. Der Vorhang flog hinauf,

Und Schillers Wallenstein bewegte sich

Als herrlich großes Bild vor meinem Blicke.

Die Kunst rang mit Natur, Natur mit Kunst,

Wer siegte, wußte Niemand zu entscheiden.

Das soll ja doch, ich hab's einmal gelesen,

Denn mir kommt Kluges niemals in den Sinn,

Der Hochgenüsse größter seyn. ›Das mußt Du,‹

So sprach ich zu mir selbst, ›doch wohl auch loben!‹

Jetzt schwirrte in der schönen Traumesscene

Ein gift'ger Pfeil, von eines Dämons Hand

Entsendet, durch die Luft, traf mein Gehirn;

Zerrüttet ward mir alle Urtheilsgabe,

Ich sank hinab zum Troß der rohen Schimpfer,

Und um mich bellend lag ich auf dem Boden.

Hinweg, gleichgültig, wandte sich von mir

Ein jedes klar gesund verständig Wesen.

Da faßte plötzlich hülfreich mich ein Arm

Mit derber Kraft, und schnell erwacht' ich;[161]

Tag war es, und der Redakteur stand vor mir;

›Ich bitte,‹ sprach er, ›reit' doch heute nicht,

Wenn du den Wallenstein willst recensiren,

Den Esel, wie du pflegst; besteige lieber

Den Pegasus, und schwinge dich hinauf

Zu jener höhern Sphäre, die den Standpunkt

Zum reinen Urtheil über Künste gibt;

Thu' mir's zu Lieb, sonst wirst du ausgelacht!‹

›Nein‹ sprach ich, ›reite du den Pegasus,

Ich bleibe schon bei meinem alten Esel!‹

Schnell schwang ich mich hinauf und kritisirte,

Und Schaam und Neue fühlt' ich niemals wieder.«


Nach der Unterredung mit Hetzer, die länger als eine halbe Stunde dauerte, bestellte Rosa augenblicklich vier Postpferde an ihren Reisewagen, und flog bald darauf mit jenem, der an ihrer Seite Platz nahm, zum Thore hinaus.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 157-162.
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