Die Macht des Weines.

[126] In der Weinkneipe zum: »Jonas im Wallfischbauche,« saßen gegen 11 Uhr Mittags sieben flotte Bacchusbrüder und labten ihre Kehlen mit ächtem Rebensafte. Dieses Gasthaus konnte nur in so ferne Gasthaus genannt werden, weil beständig Gäste aus-und eingingen; außerdem hatte es nicht die mindeste Spur davon, sondern glich vielmehr einem verpfuschten Abdrucke des Bremer-Rathskellers, den mein verewigter Freund Wilhelm Hauff durch seine kühnen Phantasien verherrlichet hat.

Die Kneipe lag so tief in der Erde, daß sie das Tageslicht von vier kleinen vergitterten Fenstern erhielt, deren Gesimse in gleicher Richtung mit der vorüberführenden Straße liefen. Das Ganze bildete eine kreuzförmig gewölbte Halle, die in der Mitte auf einer gewaltigen Säule ruhte.

Mit dickem Leder überzogene Bänke waren rings umher an den rauchgeschwärzten Wänden vor steinernen Tischen angebracht, auf welchen oft die verderblichen Würfel klapperten.

In allen Straßen der Hauptstadt dieses weinreichen Landes befanden sich die elegantesten Gasthöfe; keiner unter ihnen konnte sich aber eines so zahlreichen Besuches rühmen, als diese von allen anderen Weinwirthen verwünschte Kneipe, dessen Inhaber eine Gewissenssache daraus machte, seinen Gästen, im eigentlichen Sinne des Wortes,[127] nur reinen Wein einzuschenken, was bekanntlich überall eine höchst seltene Wirthssitte ist.

Da der Wirth zufällig Wallfisch hieß, so tauften lustige Vögel, die in den Morgenstunden hier ganz ungestört ihre Grillen vertranken, die Kneipe: »zum Jonnas im Wallfischbauche,« weil es schon Manchem davon begegnete, mehr als drei Tage nacheinander darin verlebt zu haben, wenn die Börse des Gastes oder die Kreide des Wirthes bei guter Laune war.

Die dicke Frau Wallfisch war eben so eitel auf ihre Kochkunst, als der Herr Gemahl auf seine ächten Weine, und lieferte eine Auswahl von Speisen, wie sie eben die Jahreszeit brachte, in kleinen Portionen und zu sehr billigen Preisen.

In dieses Walhalla der Weintrinker stiegen täglich, besonders Morgens, Leute aus allen Ständen hinab; unglückliche Ehemänner, Liebhaber, deren Liebchen spröde oder untreu waren, abgewiesene oder auf die Zukunft vertröstete Staatsdienstadspiranten, Prozeßkrämer, Trödler in anständiger Kleidung, die Uhren, Ringe, Bilder u. dgl. auf Fristenzahlung verhandelten, bedrängte Bürger, welche die halbe Stadt um ein Darlehen von einigen hundert Gulden vergebens durchliefen, und nun im Weine Stärkung und Trost suchten, Wiedergenesende, die Marktörtchen zu einem Gläschen Nierensteiner verzehrten, und[128] schlaue Freibeuter des Augenblickes, welche sich unberufen in jedes Verhältniß zu mischen pflegen, woraus sie irgend einen Vortheil für sich selbst zu schöpfen hoffen.

Zu des Herrn Wallfisches täglichen und angenehmsten Gästen gehörte auch ein kleines, wohlbeleibtes Männchen mit einem antiken Kopfe, ein gewaltiger Redner, zugleich auch ein feiner und höchst gewandter Intriguant, und, wie das Sprichwort von einem solchen sagt: »mit allen Hunden gehetzt.« Seinem Scharfblicke entging nichts; er war mit Jedermann freundlich, ja selbst vertraulich, um Vertrauen zu gewinnen, erkundigte sich sorgfältig, oft mit einer unbegreiflichen Zärtlichkeit, nach der Ursache des Kummers irgend eines Gastes, der, den Kopf in die Hand legend, wortlos vor sich hinstarrte, wenn er ihn auch zum erstenmale in seinem Leben sah. Durch dieses Mittel kam er in Verbindungen und wurde in Verhältnisse eingeweiht, die ihm sonst wohl immer fremd geblieben wären. Gelang es ihm, zu erfahren, wo es fehle, so bot er sich zum Rathgeber, zur Schlichtung der Sache an, und brachte durch seine Ueberredungsgabe, die Alles im Rosenlichte hinzustellen wußte, oft anscheinend unmögliche Dinge glücklich zu Stande. So Mancher, der hoffnungslos die Treppe hinunter stieg und schon den Schuldthurm vor Augen hatte, erhielt noch vor dem Abende durch die Vermittlung des Herrn Schlichter das gewünschte Kapital! Daß er dann[129] sich selbst nicht dabei vergaß, läßt sich denken, ohne es zu verargen; dem Empfänger war ja doch aus dringenden Nöthen geholfen.

Herr Schlichter aß und trank, was gut und theuer war, brachte oft Freunde mit, die er frei hielt, bezahlte alles baar, ergötzte die Anwesenden mit allerlei geheimen Stadtgeschichten, und war sohin nicht bloß vom Wirthe, und von den Gästen geachtet, sondern auch das Orakel im Wallfischbauche, das von allen Bedrängten, wie der Dreifuß zu Delphos besucht wurde. Verhinderte ihn irgend ein dringendes Geschäft, zur rechten Zeit zu erscheinen, so glaubte Jeder, es fehle etwas, und blickte unruhig nach der Treppenthüre, bis er endlich die Thüre aufriß, und sogleich mit einem einstimmigen: »Guten Morgen, Herr Schlichter! Nun das ist schön, daß Sie noch gekommen sind!« – empfangen wurde.

Sein erster Gang war dann zur Küche: »Was gibt's zu essen?« War dieß in Ordnung, so trocknete er sich den Schweiß von der Stirne, klagte über die zahllosen Gänge, die er in wichtigen Angelegenheiten, seit dem frühen Morgen schon wieder habe machen müssen, um sie, wie er zu sagen pflegte, durchzudrücken, (durchzusetzen,) sprach von diesem oder jenem hohen Staatsbeamten, dessen Einladung zum Frühstücke er ausgeschlagen habe, nahm endlich Platz, und hörte die Vorträge der Rath- und Hülfebedürftigen an, welchen er bestimmte Viertelstunden anwies,[130] um die Antwort in seiner Wohnung abzuholen. So amtirte er, wie ein englischer Friedensrichter. Schlichter war unter den sieben Herrn, die bei dem traulichen Weingelage sich des schönen Daseyns freuten; Hetzer, den wir schon kennen, mit Rosa's schönem Geschenke prangend, zwei Schauspieler, ein Sänger, ein Tänzer, und der Damenfriseur des Theaters, waren die übrigen sechs des auserlesenen Vereines, welcher die bekanntesten Herrn und Damen durch die Hechel zog.

Wir wollen die Unterhaltung dieses lustigen Siebengestirnes im Wallfischbauche belauschen; vielleicht hören wir Dinge, die uns sonst wahrscheinlich immer verborgen blieben.

Friseur. He, Herr Wallfisch, spritzen Sie mir noch einen Spitz!1

Erster Schauspieler. Der Windbeutel reißt heute wieder einen schlechten Witz!

Zweiter Schauspieler. Und Du reimest so hübsch, was mich sehr wundert, da Du sonst immer ungereimt sprichst.

Friseur. Bravo! »Danke schönstens!« Bitte diese göttliche Antwort auf meine Rechnung zu stellen!

Erster Schauspieler. Thu's nicht, Herr Bruder,[131] es ging Dir sonst, wie dem Wirthe; ihr Beide würdet vor dem jüngsten Tage nicht bezahlt.

Friseur. Das ist Verläumdung! Herr Wallfisch, können Sie mit gutem Gewissen behaupten, daß ich jemals für den Wein, den ich bei Ihnen trinke, auch nur einen Groschen bezahlt habe?

Wallfisch. (lachend) Nein, gewiß nicht!

Friseur. Nun, da haben Sie's, meine Herren! Wenn ich hier im Wallfischbauche nichts bezahle, so wird dieß noch weniger am jüngsten Tage der Fall seyn; für einen so schlechten Christen dürfen Sie mich nicht halten, der im Stande wäre, das allgemeine Weltgericht durch die Berichtigung einer alten Weinschuld zu entheiligen.

(Allgemeines Gelächter.)

Wallfisch. Mir wär's auch lieber, ich würde schon in diesem irdischen Jammerthale bezahlt.

Sänger. Ey wie poetisch! Lesen Sie Romane, Herr Wallfisch?

Wallfisch. Bisweilen!

Friseur. Nur Geduld, ich werde bald Geld haben, wie Heu.

Tänzer. Hätt' ich so viel Geld, wie unser Vorstand Heu im Kopfe, so würde ich mir den Johannesberg kaufen, und Euch ein ganzes Jahr lang weinfrei halten!

Erster Schauspieler. Bst!

[132] Hetzer. In vino veritas!2

Tänzer. Was heißt das?

Schlichter. Der Wein schließt das Herz auf!

Sänger. Ja wohl!

Friseur. Scherz bei Seite! der Gesandte Graf L****, hat mich bei der großen Sängerin Rosa als Leibfriseur empfohlen. –

Schlichter. Kopffriseur wollen Sie sagen!

Friseur. Meinetwegen, – und da denk' ich manches Stück Geld zu verdienen.

Tänzer. Sie soll ja erst gestern von dem Grafen L****, den Sie eben nannten, für eine einzige Stunde 200,000 Franken erhalten haben.

Sänger. Das ist nicht wahr! Es waren nur 20,000 Franken wie mir die Chiaretti heute auf der Probe sagte, die es vom Grafen L**** selbst gehört hat.

Hetzer. Ein sauberer Herr, dieser Graf L****, will ihm gelegenheitlich eines auf sein Plappermaul versetzen, sey's auch nur mit der Feder!

Schlichter. Das wäre unbillig; bezahlte Liebe hat keinen Anspruch auf Discretion.

Tänzer. Hier bleibt doch gar nichts verschwiegen!

Friseur. Da haben Sie ganz recht. Vor drei Tagen wurde ein Ehemann geprügelt, weil er bei seiner Frau[133] schlief, und am Morgen darauf wußte es schon die ganze Stadt.

Sänger. Unmöglich!

Erster Schauspieler. Das ist doch unerhört!

Tänzer. Dieß Geschichtchen wär' so etwas für den Redakteur der Flugschrift: »die Glocke der Hölle,« der ließe es gleich drucken!

Zweiter Schauspieler. Soll's wirklich wahr seyn?

Friseur. Wörtlich wahr, auf meine Ehre!

Hetzer. Erzählen Sie uns doch diesen Spaß!

Friseur. Ich weiß noch ein zweites, weit pikanteres! allein ich habe ausgetrunken, und meine vornehmen Kunden werden mich schon mit der größten Ungeduld erwarten.

Sänger. (Singt das Lied aus der Schweizerfamilie: »Laß sie fließen, die Thränen der Wonne,« etc. parodirend.)


»Laß sie warten, die vornehmen Kunden,

Uns ergötzet der perlende Wein,

Froh genießt diese seligen Stunden,

Leider kann es nicht immer so seyn!


(Alle: Bravo! Bravo!)«


Schlichter. Herr Wallfisch, geschwind noch sieben Bouteillen Laubenheimer, Eilfer! hier ist das Geld; auf[134] jeden Mann ein gläserner Vogel! Freund und Friseur, erzählen Sie uns Ihre zwei Geschichten!

Herr Wallfisch brachte den Wein, und füllte die Gläser; Schlichter's Wohlseyn wurde in einem dreimaligen Toaste ausgebracht, und der Friseur begann, indem er das halbvolle Glas nachsinnend mit seiner Rechten langsam hin und her wiegte, daß die Perlen sich an die Ränder schmiegten.

»Sie kennen ohne Zweifel den liebenswürdigen und lebenslustigen Prinzen S*, der vor einigen Monaten unsere Residenzstadt zu seinem Aufenthalte auf längere Zeit gewählt hat, weil ihm, wie verlauten will, die ewigen Zänkereien und Moralsprüche seines alten mürrischen Oheims, des regierenden Fürsten, zuletzt gänzlich unerträglich wurden.

In den Feldzügen von 1809 gegen Oestreich, 1812 gegen Rußland, und in den Befreiungsschlachten gegen Frankreich, hatte der ritterliche Prinz sich rühmlich ausgezeichnet; anstatt nun auf seinen Lorbeeren auszuruhen, eröffnete er auf seine eigene Rechnung, nach alter Prinzensitte, einen, wenn auch nicht ganz friedlichen, doch gewiß unblutigen Feldzug gegen die – Damen. Da dieser schöne Feind sich bekanntlich nach der Niederlage wieder aufrichtet, so ist an eine gänzliche Vernichtung desselben eben so wenig zu denken, als an einen ewigen[135] Frieden, der auch zwischen den großen Mächten nur ein menschenfreundlicher Traum bleibt.

Ein junger, reicher und schöner Prinz nimmt diese lebendigen Festungen weit schneller ein, als die gemeinen Krieger in Amors Heere; sie ergeben sich lieber an vornehme Belagerer, gleich den mächtigen Paladinen im Kriegsgefolge Carls des Großen, die sich, wie die alten Heldenromane berichten, eher dem Tode weihten, als ihre Schwerter einem unebenbürtigen Gegner auslieferten.

Unter den vielen Herzen, welche der Prinz wie Leibzigerlerchen aufspießte, befand sich auch das junge reizende Weibchen des Advokaten W*, dem es noch in seinem vierundfünfzigsten Jahre einfiel, in den uralten Orden der Hörnerträger zu treten.

Der Prinz hatte noch gegründete Ansprüche auf herrliche Besitzungen in Böhmen von großmütterlicher Sei und übertrug nun die Durchführung dieser Ansprüche diesem Advokaten, welchen die ganze Stadt als den geschicktesten aber geizigsten unter seinen Collegen kennt.

Im Hause desselben sah nun der Prinz das hübsche Weibchen, und verliebte sich auf der Stelle. Während der durch die Complimente des vornehmen Klienten ganz entzückte Aktenwurm in die rückwärts liegende Kanzlei ging, um eine Vollmacht zu diktiren, ergriff der Prinz diese Gelegenheit, der schönen Frau eine brillante Liebes erklärung zu machen, die auch ganz nach Wunsch aufgenommen[136] wurde. Als aber der Prinz um eine vertrauliche Zusammenkunft und zwar so schleunig als möglich, bat, eröffnete sie ihm mit Bedauern, daß dieß schlechterdings unmöglich sey, indem ihr Mann vom Morgen bis in die Nacht nicht von ihrer Seite gehe, und im Falle eine Commission ihn etwa in den Gerichtshof rufe, sie der strengsten Aufsicht eines alten Schreibers übergebe, der jeder Art von Bestechung unzugänglich sey, übrigens dürfe sie, ohne Begleitung ihres Mannes, die Schwelle des Hauses niemals verlassen. Sie rathe ihm also, wenn er ihren Besitz eines Geldopfers würdig halte, ihren Mann ohne alle Umstände zu fragen, wie viel er in dem Falle fordern würde, wenn ihm jemand den Antrag machte, seine Frau auf bestimmte Zeit abzutreten. Dieß sey das einfachste Mittel, ihn schnell zum gewünschten Ziele zu führen.

Wie der Rath, so die That!

Der Prinz stellte sich, als wisse die Frau noch nichts von seiner Liebe, und bot dem Advokaten, der auf die Hauptbedingung des ausschließlichen Abtretens vorläufig auf drei Monate gegen eine bedeutende Summe neben Festsetzung eines Reukaufes bereitwillig einging, seine berühmte Ueberredungskunst nun bei der eigenen Ehehälfte zu bewähren.

In Gemäßheit der geschehenen Verabredung geberdete sich das schlaue Weibchen wie rasend über einen so niedere trächtigen, ehrlosen Antrag, sprach von Scheidung, von[137] dem Beistande der Gerichte, von einem Fußfalle bei der Fürstin, u. s.w. und rief Gott zum Zeugen ihrer bisher unverletzten Treue an.

Der Prinz war über diese augenblickliche Verstellung, und über die Kunst derselben, welche die Natur noch zu übertreffen schien, so erstaunt, daß er Anfangs wirklich glaubte, sie habe nur eine Gelegenheit gesucht, ihm auf eine recht auffallende Weise das Ungeziemende seines Antrags bemerklich zu machen; als aber der geizige Herr Gemahl die Schleußen seiner Beredtsamkeit aufthat, und mit einer Sündfluth von Gegengründen die Widerstrebende überschwemmte, da flossen die klarsten Thränen aus den holden Augen, und rollten in den Schwanenbusen hinunter, um dem Herzen den baldigen Einzug des neuen geliebten Gebieters zu verkünden, der nicht minder bemüht war oder wenigstens schien, die trostlos Scheinende zu beruhigen, und seinen Wünschen geneigt zu machen. Den vereinigten Talenten des Ehegatten und des Liebhabers gelang es endlich, eine Verständigung herbeizuführen, die sogleich in einen schriftlichen Vertrag verwandelt wurde, den die drei betheiligten Personen eigenhändig unterzeichneten, von welchen jede ein Exemplar erhielt. Im Artikel III. dieses Vertrages machte sich der Advokat ausdrücklich verbindlich, dem Nutznießungsrechte bei seiner Gattin, während der ausgesprochenen Zeit von drei Monaten, gänzlich zu entsagen, ja dem Prinzen sogar das Recht einzuräumen,[138] ihn wie einen Ehrenräuber zu behandeln, im Falle er ihn auf frischer That ertappen sollte. Der Prinz bezahlte die Pachtsumme baar in Dukaten, der Handel war geschlossen, und alle Theile hatten volle Ursache, damit zufrieden zu seyn.

Sechs Wochen mochte dieses Verhältniß friedlich gedauert haben, als der Prinz seinem Liebchen eines Morgens in einem Bilette meldete, daß ihn der Fürst so eben zur Jagd eingeladen habe, wodurch er verhindert sey, sie vor 4 Uhr Nachmittags besuchen zu können.

Der Advokat hatte an demselben Morgen von einem Weinwirthe für die glückliche Durchführung eines sehr zweifelhaften Rechtsstreites neben der Baarzahlung der Deserviten auch einen Korb voll des besten Rheinweines erhalten, dreizehn Flaschen. Als ein alter Feind aller ungeraden Zahlen, und besonders der fatalen Zahl 13, beschloß er, die überzählige ausnahmsweise selbst auszustechen, und lud seine Ehehälfte dazu ein.

Daß die Verhältnisse den Menschen bestimmen, ist eine bekannte Sache, die sich nun auch an dem Advokaten bewährte. War's nun Aufregung des Weines, oder eine augenblickliche Laune, die durch das Berbot gereizt wurde, oder eine erhöhte Meinung von der Liebenswürdigkeit seiner Frau, die selbst ein Prinz begehrungswerth fand, genug, der gute Mann strauchelte, und fiel über den Artikel III. des bestehenden Vertrages.

Wie nun der Gott sey bei uns mit den Menschen[139] manchmal sein Spiel treibt, so mußte der Fürst mitten auf dem Wege in den Jagdpark umwenden, weil ihn ein plötzlicher Frost anfiel. Mit der Jagd war's also aus, und der Prinz stand vor dem sündhaften Paare, wie ein flammender Cherub vor den ersten Menschen nach dem Aepfelfraße. Ergrimmt über diese frevelhafte Verletzung des Vertrages, prügelte er den Ehrenräuber in Folge der Ermächtigung des Artikels III. auf der Stelle dergestalt durch, daß an einen Rückfall innerhalb des noch übrigen Vertragstermines, selbst bei der Vorspann von zwölf Flaschen Wein, nicht mehr zu denken war.

Das schlaue Weibchen ging frei durch, weil es im Momente der Ueberraschung die Ueberwältigte zu pielen mußte, die vielmehr Bedauern und Hülfe, als Vorwürfe und Strafe zu verdienen schien.«

Der Friseur schwieg, und empfing von allen Seiten Zeichen des Beifalls für das artige Histörchen, und den für einen Friseur wirklich unerwartet guten Vortrag.

Diese überflüssige Bemerkung Schlichter's in einem Augenblicke, wo die Zuhörer nur den Erzähler als Erzähler, und nicht in seiner Nebenbedeutung als Friseur beurtheilen mußten, reizte diesen zur Gegenäußerung: »daß die französische Revolution aus manchem Vicomte und Marquis einen Friseur gemacht habe, ohne daß die Frisirten deßwegen über dessen höhere Bildung sich verwundert hätten; er für seine Person danke übrigens dem[140] Herrn Schlichter für die schmeichelhafte Ansicht, da sie ihn an die Versäumniß seiner Morgenbesuche erinnere, die er nun sogleich zu machen gedenke.«

Sprach's, und erhob sich zürnenden Antlitzes von der ledernen Bank, wie ein homerischer Held im Lager vor Troja, statt des ehernen Schildes den Kamm- und Scheerenbeutel mit langen knochigen Fingern ergreifend, und das noch bepapierte Lockenhaupt unmuthig schüttelnd, daß es rauschte, wie eine von Dorfjungen geplünderte Haselnußstaude.

Die andern hohen Mächte bei diesem Weingelage, Hetzer, die beiden Schauspieler, der Sänger und der Tänzer, boten sogleich ihre Vermittlung an, die nun auch ohne weiters zu Stande kam, da Schlichter statt einige Festungen, die er im Besitzfalle als Bürgschaft seiner friedfertigen Gesinnungen hätte ausliefern müssen, noch einige Flaschen Wein lieferte, womit nun die zweite Erzählung des Friseurs flott gemacht wurde.

»Es mögen nun sieben oder acht Monate seyn, daß ein wunderschönes Fräulein, welches in einem adeligen Erziehungsinstitute wie eine Treibhauspflanze für die große Welt gebildet wurde, einen sehr alten aber äußerst reichen Baron heirathen sollte, der vier Meilen von hier auf seinen Gütern lebte.

Erwarten Sie hier keine aufgewärmte Predigt gegen die Erziehung in Instituten, besonders der weiblichen adeligen[141] Jugend; es gibt gewisse Uebelstände im Staatsleben, die allen Anklagen der Vernunft trotzen, wie die Pyramiden Aegyptens allen Stürmen. Kinder, die nicht im elterlichen Hause erzogen werden, vergessen ihre Eltern in solchem Grade, daß sie dieselben zuletzt nur noch als Verwandte betrachten.«

Cölestine hatte alle Ursache, ihre Eltern nicht einmal als Verwandte, sondern als Feinde anzusehen, da sie das arme Kind aus Habsucht einem alten Manne hingeben wollten, der seinen welken Leib an der Vestaflamme der Jugend und Schönheit zu erwärmen wünschte. Der Handel wurde also geschlossen, und Cölestine durch einen Brief aus dem elterlichen Hause in Kenntniß gesetzt, daß am nächsten Montage der Bräutigam erscheinen werde, um sie auf sein Stammschloß zu führen, wo die Trauung geschehen solle; eine Modehändlerin sey bereits angewiesen, reichlich für ihre Toilette zu sorgen.

Das holde Opferlämmchen liebte aber einen Lieutenant, den sie vor ihrem Eintritte in das Institut an der Schloßwache hatte kennen lernen, als sie eines Sonntagmorgens nach der Mode der schönen Welt die Hofkirche besuchte.

Ich muß hier, so schwer es mir fällt, und so wenig ich mich dadurch den Damen zu empfehlen hoffen darf, allen Ehemännern und Liebhabern, deren Gattinnen und Liebchen aus übergroßer Andacht gar zu häufig die Kirchen besuchen, ein gerechtes Mißtrauen und eine sehr nöthige Vorsicht[142] wohlmeinend anrathen, indem diese geweihten Orte häufig zu Liebesintriguen benützt werden.

Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. In den katholischen Kirchen sieht man gewöhnlich an den Gittern der Seitenaltäre geschriebene Gebete angeheftet, worin der Heilige, dem ein solcher Altar geweiht ist, um seinen besondern Schutz angefleht wird.

Nun hatte ich ein Liebchen, das mir Liebe heuchelte, und einen Andern begünstigte. Dieses Mädchen hieß Klara, und betete an jedem Abende in der Dreifaltigkeitskirche am Altare der heiligen Klara, ihrer Schutzpatronin, sobald es zu dunkeln begann, mit einer Innigkeit, welche für alle in der Nähe befindlichen Beter und Beterinnen höchst erbaulich war.

Mein Klärchen fand nun unter diesen vielen Gebeten immer ein offenes Liebesbriefchen von meinem Nebenbuhler, das sie zu sich steckte, und am andern Abend durch eine Antwort ersetzte. Um vor zufälliger Entdeckung sicher zu seyn, war zwischen Beiden eine geheime, aber sehr einfache Schrift verabredet; sie rückten nämlich um einen Buchstaben voran. Statt a nahmen sie b, statt b wählten sie c, u.s.f. Liebe schrieben sie zum Beispiele so: Mkfcf. Wer den Schlüssel nicht hatte, und die Dechiffrirkunst nicht verstand, konnte kein Wort lesen.

Die alte Magd des Küsters, Gertraud, eine alte Betschwester, die vor vielen Jahren im Hause meiner Eltern[143] gedient hatte, durchlas an einem gelegenen Tage, wo die Kirche gesperrt war, um die Böden und Stühle zu reinigen, die meisten Gebete, und stieß auch auf einen solchen Brief Klärchens an ihren Heinrich.

Da sie durchaus nicht begriff, warum sie denn diesen Brief nicht lesen könne, so brachte sie ihn zufällig mir. Ich erkannte sogleich die Züge von Klärchens Hand, kam hinter das ganze Geheimniß, und gab der Treulosen den Abschied, in dankbarer Rückerinnerung jede gemeine Rache verschmähend.

So viel als Beleg zu meiner Warnung!

Im Institute sollte jeder Brief durch die Hand der Vorsteherin an seine Bestimmung gehen. Jedermann wird es aber einleuchtend finden, daß es unbillig sey, diese Anordnung auch auf Liebesbriefchen auszudehnen, deren Inhalt gewöhnlich durchaus für kein fünftes Ohr paßt. Und doch war es hier so; es versteht sich aber von selbst, daß keines von diesen eingepferchten Lämmchen diese Zwischenpost zur Expedition der geheimen Herzensdepeschen wählte. Brüder, Schwestern, gutmüthige Tanten, und dergleichen, wurden in solche Geheimnisse eingeweiht, und ließen sich nach Umständen als Amors Großbotschafter verwenden.

Cölestine fand jedoch mit Hülfe des Lieutenants einen weit verlässigeren Canal, der ihr nicht minder ersprießlich war, als den Bewohnern von London der Weg[144] unter der Themse, und dieß war der alte Hausmeister, der früher noch als Feldwebel mit dem Lieutenant bei der nämlichen Compagnie gedient hatte.

Nicht im mindesten aus Eigennutz, sondern aus vieljähriger dankbarer Anhänglichkeit, handelte der alte Knasterbart geben die ausdrückliche Bestimmung seiner Instruktion, und der Briefwechsel nahm regelmäßig seinen Lauf.

Auf die eilige Meldung Cölestinens von der nahen Trauung erhielt sie zur Antwort: »frohen Muthes mit dem alten Baron abzureisen, für das Uebrige wolle er schon sorgen.«

Am bestimmten Tage erschien der Bräutigam mit seiner Schwester, einem alten Drachen jungfräulichen Standes, die er als Ehrendame der Braut auf dem Heimwege mit sich schleppte. Nach einem nichts weniger als schweren Abschiede, und nach gegebenem Versprechen der Eltern, am nächsten Morgen auf dem Stammschlosse zur feierlichen Trauung einzutreffen, fuhren jene mit Cölestine fort, und hielten auf halbem Wege in einem Wirthshause an der Landstraße an, um dort Mittag zu machen, und neben den köstlichen Forellen, die in der Nähe gefangen wurden, jene herrliche Aussicht in das nahe Gebirg zu genießen, wodurch diese Schenke der Lieblingsaufenthalt der Einwohner unserer Hauptstadt geworden ist.

Auf einer kleinen Anhöhe im Garten, der die Rückseite[145] der Schenke bildete, wurde in einer Jasminlaube das Mittagmahl eingenommen. Nach dem Tische schmauchte der alte Herr sein Pfeifchen Knaster, ließ seinen ledernen Polster aus dem Wagen holen, und »streckte die Glieder, und legte sich nieder.«

Cölestine strengte ihre Augen wie ein Telegraphendirektor an, um auf der nahen Heerstraße den Retter in der Noth kommen zu sehen; er kam nicht, und das Herzwasser trat wie dichter Thau ihr in die Augen.

Sie stieg nun langsam zu den Blumenbeeten hinab, zu den prunkenden Tulpen, und zu den lieblich duftenden Jonquillen mit den binsenförmigen Blättern. Unter den zwölf vorzüglicheren Gattungen dieser Blume liebte sie besonders die Jonquille de Lorraine unie, die Lothringische vereinigte Jonquille, mit ihren sechs schönen lichtgelben Blättern, wovon eines das andere trägt, daher man sie Unie, oder die vereinigte nennt.

»Wär' ich doch auch vereinigt mit ihm, wie gern trüg ich den Namen: Unie, – seufzte Cölestine, pflückte ein unscheinbares Blümchen, und entblätterte es, indem sie im Stillen sagte: Er kommt nicht! Er kommt! Er kommt nicht!«

Das letzte Blättchen krönte ihre Erwartung: »Er kommt!« und getröstet hüpfte sie nun durch alle Hecken, daß der Drache mit der weiten bauschigen Seidenstoffrobe ihr keuchend nachrauschen mußte.[146]

Allein es wurde Abend, und er war noch nicht da. Der Baron hatte schon die Zeche bezahlt, und Cölestinen bereits den Arm gereicht, um sie zum Wagen zu führen, vor dem die Pferde ungeduldig stampften, als in der Ferne das Rasseln einer Calesche gehört wurde, die auch gleich darauf um die Waldesecke die Richtung nach der Schenke nahm.

»Wir wollen doch sehen, wer heute noch so große Eile hat,« sprach der Baron, und zog den rechten Fuß wieder zurück, den er schon zum Einsteigen an gesetzt hatte.

Seine Neugierde blieb auch nicht lange unbefriediget.

Die Calesche hielt, und ein junger Mann in einem dunkelgrünen Oberrocke sprang heraus, und half einer in einen großen Reisemantel gehüllten Dame mit großer Ehrerbietung aus dem Wagen.

Der Fremde ging sogleich zu dem Baron hin, der eben abzufahren dachte, und fragte ihn sehr höflich: »Sind Sie der Herr Baron von Sp*?«

»Ja! Was steht Ihnen zu Diensten?«

Der Fremde trat einige Schritte näher und flüsterte leise: »Erschrecken Sie nicht, und machen Sie so wenig Aufsehen als möglich, Sie sind mein Gefangener!«

Der Baron. (Bestürzt, doch leise). Ihr Gefangener? Wer sind Sie? Wo ist der Verhaftbefehl?

Der Fremde. Ich bin ein Agent der geheimen Polizei,[147] und bedarf sohin keines bestimmten Verhaftbefehls; in jedem Falle wäre die Zeit dazu unter den vorliegenden Umständen zu kurz gewesen.

Der Baron, Aber der Grund meiner Verhaftung wird Ihnen doch bekannt seyn?

Der Fremde. Dem Polizeiministerium ist von anonymer Hand ein Brief zugestellt worden, den Sie an einen Offizier in der Hauptstadt geschrieben haben, worin Sie einige demagogische Entwürfe vertheidigen, und deren Ausführung sehr dringend anempfehlen.

Der Baron. O wenn es sonst nichts ist, so war es wirklich nicht der Mühe werth, daß Sie mir nachsetzten. Das Ganze ist nur eine philosophische Erörterung, die ich meinem alten Freunde, dem pensionirten Oberstwachtmeister Zaun zur Prüfung mittheilte.

Der Fremde. Desto besser für Sie. Inzwischen muß ich mir erlauben, Ihnen zu bemerken, daß wir keine Zeit zu verlieren haben; Seine Excellenz der Herr Polizeiminister wollen Sie heute noch persönlich verhören. Sie werden also die Güte haben, mir nebst Ihrem Fräulein Schwester unverzüglich zu folgen.

Der Baron. (Aufgebracht.) Herr, wo denken Sie hin? Was hat meine Schwester mit meiner Correspondenz zu schaffen? Und soll ich meine Braut zur Gesellschaftsdame eines Gefangenen machen, oder allein hier in dieser Schenke zurücklassen.[148]

Der Fremde. Keines von beiden. Seine Excellenz haben diesen Fall in ihrer ministeriellen Weisheit vorhergesehen, und diese Dame, eine Nichte Seiner Excellenz, eine geborne Freyin von Treu, ersucht, bei der gnädigen Braut einige Stunden gefälligst zu verweilen, bis Sie wieder den Rückweg antreten können.

Durch diese Vermittlung beruhiget, ergab sich der Baron, der sich in der Eigenschaft eines Staatsgefangenen zu gefallen schien, in sein Schicksal, und fuhr mit dem Fremden und seiner Schwester, nachdem er der Braut versprochen hatte, noch vor Mitternacht wieder in der Schenke einzutreffen, nach der Hauptstadt zurück; die beiden Damen begaben sich in das schönste Zimmer des oberen Stockwerkes.

Hier warf die Freyin von Treu den Reisemantel weit von sich, stürzte zu Cölestinens Füßen, und rief zärtlich aus: »Geliebte Cölestine, kennst du deinen Lieutenant nicht mehr?«

Er war's; sein junges Gesichtchen wie Milch und Blut machte es ihm leicht, als Dame das geübteste Auge' zu täuschen. Man kann sich das Glück der Liebenden denken, die seit Jahren zum erstenmale so allein waren! Nach zahllosen Küssen erzählte der Lieutenant ganz kurz, daß die Arretirung des Barons nur eine mit seinem Freunde verabredete List sey. Dieser habe nämlich vor einigen Tagen bei dem pensionirten Oberstwachtmeister Zaun einen Brief[149] des Barons gelesen, worin ein Artikel einer französischen liberalen Zeitung übersetzt war, dessen Prüfung Zaun besorgen sollte. Als nun der Lieutenant seinem Freunde die bevorstehende Abreise Cölestinens klagte, machte dieser ihm jenen Vorschlag, der auch glücklich ausgeführt wurde.

Was war aber jetzt zu thun? »Eine Entführung konnte nicht in ihrem Plane liegen, da sie Beide kein hinreichendes Vermögen hatten, um gänzlich unabhängig zu leben, auch galt dem Lieutenant seine Ehre mehr als Alles; dem Baron die Täuschung entdecken, blieb in jedem Falle ein sehr gewagtes Spiel; entweder er verzieh, oder er verzieh nicht. Verzieh er, so mußte er mindestens, seiner Ehre wegen, der Verbindung mit Cölestinen entsagen: verzieh er nicht, so wurde die Sache anhängig; beide Freunde konnten auf Cassation und Festungsstrafe eine bestimmte Rechnung machen, in jedem Falle war Cölestine der übelsten Nachrede ausgesetzt, und für den Lieutenant verloren.«

Nach eben so rascher als sorgfältiger Erwägung dieser Umstände beschlossen die Liebenden, blos Hauptprobe von der auf morgen festgesetzten Hochzeitfeier zu halten, damit Cölestine durch kein unbehülfliches Benehmen auf diesem wichtigen Gange den Spötteleien der eingeladenen Landdamen irgend eine Blöße gebe, eine löbliche Vorsicht, die gewiß kein Unbefangener verargen wird, wenn er bedenken will, daß selbst Napoleon, der Sage nach, von dem berühmten Talma auf große öffentliche Staatsrollen[150] sich jederzeit vorbereiten ließ. Obgleich nun der Lieutenant bei weitem kein Talma war, so konnte er doch Cölestinen, als erster Liebhaber eines Gesellschaftstheaters, über Haltung und Bewegung wenn auch keinen erschöpfenden, wenigstens einen befriedigenden Unterricht ertheilen. Unbegreiflich blieb es ihm aber doch, daß Cölestine, die er als ein sehr talentvolles Mädchen kannte, gerade diese Lehren so schwer begriff, und er würde sie schwerlich so oft wiederholt haben, hätte er nicht gerne aus übergroßer Liebe dem Glücke seiner Geliebten die eigene Geduld zum Opfer gebracht. –

Der Freund des Lieutenants brachte um 1 Uhr nach Mitternacht den alten Baron zurück. Der Polizeiminister hatte ihm durch den angeblichen Agenten eröffnen lassen: »daß er von seiner Unschuld vollkommen überzeugt sey, und sich beeilen wolle, den Fürsten davon in Kenntniß zu setzen, damit Seine Durchlaucht die Vertretung der Ehre des Herrn Barons an der fürstlichen Tafel zu übernehmen geruhen mögen.«

Der Baron war über den glücklichen Ausgang der Sache so erfreut, daß er seinem Begleiter die eigene goldene Dose, und der Gesellschaftsdame seiner Braut einen Brillantring, den er am kleinen Finger der linken Hand trug, zum Andenken gab. Eine freundliche Einladung zum Hochzeitfeste mußte natürlich abgelehnt werden. Der Wagen des Barons rollte mit Cölestinen und dem Drachen[151] dem Stammschlosse zu. Im Dunkel der Nacht mag das arme Kind wohl viele tausend Abschiedsthränen heimlich in das Taschentuch geweint haben.

Am andern Tage war die feierliche Trauung in der Schloßkapelle, und Mittags ein Mahl von mehr als 200 Gedecken. Ich übergehe die Trauungsrede des Herrn Pfarrers, die so kläglich war, daß es gar nicht zu verwundern gewesen wäre, wenn er allen anwesenden Unvermählten die Heirathslust auf immer verleidet, und alle Eheleute zur Scheidung getrieben hätte; ich schweige von der geputzten Schuljugend, an der man zwar die Jugend, aber nichts von der Schule gewahrte; ich wiederhole die Trinksprüche und Lebereime nicht, welche die ledernen Krautjunker bei der Tafel loslegten; ich schildere nicht, wie Walter Scott, den alterthümlichen Speisesaal, und die Anzüge der Gäste; ich zähle nicht die Walzer, Menuette und Dreher des Balles, und schweige von den Verwirrungen der benebelten Herren und Damen, welche bei so vielen sich durchkreuzenden Gemächern unvermeidlich waren; ich folge auch nicht dem Brautpaare an Hymens Opferaltar, obgleich ich Dinge davon berichten könnte, von welchen sich, wie Hamlet sagt, unsere Philosophie nichts träumen läßt, aber das kann und darf ich nicht verschweigen, daß Cölestine am zweihundert und achtzigsten Tage nach der Arretirung des alten Barons einen holden Knaben gebar, dem nichts als die Uniform fehlte, um ein Lieutenant im verjüngten[152] Maaßstabe zu seyn. Die Vaterfreude, vielleicht auch die Verwunderung über dieses Spiel der Natur, tödtete den alten Baron auf der Stelle, als ihm die Hebamme den auf seinen Stamm gepfropften Sprößling glückwünschend präsentirte, und als Cölestine aus den Wochen und aus der Trauer kam, erhielt sie den Herzallerliebsten zum Gemahle, und es fand sich, daß der kleine Gottfried, obgleich sein Vater starb, doch nie eine vaterlose Waise war. –

Hier endete der Friseur, stürzte das letzte Glas hinunter, und sprang unter allgemeinem Gelächter und rauschendem Beifalle, aus dem Wallfischbauche hinaus, um seine fluchenden Kunden mit den Lügen des Tages zu beschwichtigen.

Um die böse Sieben vollzählig zu erhalten, klirrte jetzt Jost, ein junger Stallknecht des Erbprinzen, mit seinen langen Sporen zur Thüre herein. Er war bekannt als Liebling des Erbprinzen, und über diese Gunst gab es verschiedene Meinungen und Auslegungen im Publikum, das von jedem Verhältnisse gerne immer das schlimmste urtheilet. So viel war gewiß, daß Jost ein bildschöner Jüngling genannt werden konnte, aus dem vielleicht mancher einflußreiche Papa für sein heirathslustiges Töchterchen einen Bräutigam geschnitzelt hätte, wäre die vernachlässigte Bildung in den Knabenjahren nicht ein unüberwindliches Hinderniß gewesen.

[153] Jost galt aber auch für einen Schlaukopf, und sein Herr benützte ihn oft zu Aufträgen, wozu Grütze im Kopfe nöthig war. Diesem Vertrauen entsprach er besonders, als die Gräfin von Spindel ein Jahr früher alle ihre Netze ausspannte, den Erbprinzen zu fangen, der eine so leichte Eroberung verschmähte; dieses aufdringliche Zuvorkommen war ihm verhaßt.

Jost mußte die Verhandlung mündlich leiten, und trug um so lieber dazu bei, die Hoffnungen der Gräfin zu vereiteln, als er selbst ein Auge auf sie geworfen hatte. Nun ist es zwar eben nichts so gar Erstaunliches, daß eine Gräfin sich von einem Stallknechte lieben läßt; allein nicht leicht wird sich eine Dame entschließen können, einen fürstlichen Korb ohne weiteres mit den zärtlichen Tröstungen eines Roßdieners zu füllen. Er mußte sohin sein täppisch-voreiliges Wesen mit einer derben Maulschelle büßen, die ihm selbst nach dem Verlaufe von vier Jahreszeiten noch wurmte.

Die Anwesenden merkten sogleich, daß ein ganz besonderer Umstand den Jost hierher führen müsse, da er weder zu den gewöhnlichen noch zu den seltenen Gästen gehörte; ihm stand ja der Keller des Erbprinzen offen.

Schlichter saß auf glühenden Kohlen; er hätte gar zu gerne gewußt, was im Hintergrunde liege. Sein gewöhnliches Mittel, den Leuten mit Wein den Mund zu öffnen, wollte er auch heute versuchen; allein Jost lehnte[154] es ab, und versicherte, daß er nüchtern bleiben müsse, und daher nur auf eine Flasche Champagner sich beschränken wolle.

Eben rief Schlichter dem Wirthe, als Jost ihm zuvorkam, und dem erstaunten Wallfische vier blanke Dukaten in die Rippen drückte, worauf sogleich drei Flaschen von diesem hochgepriesenen Dichterweine erschienen.

Jost hatte noch nicht die Hälfte einer Flasche ausgetrunken, als er schon redselig wurde. Hetzer wies ihm die von Rosa erhaltene Busennadel; zufällig traf dieß den andern bei der schwachen Seite; er zeigte also dem Hetzer ein Blatt Papier, worauf die Worte standen:


»Mit Sehnsucht erwartet Sie

Rosa


Dabei war Jost so pfiffig, die Miene anzunehmen, als sey er der Glückliche, dem diese süßen Worte galten; der gewandte Hetzer ließ sich aber nicht täuschen, und indem er sich stellte, als glaube er dieser Versicherung, wußte er ihn so künstlich in Widersprüche zu verwickeln, daß er zuletzt gestand, wie sich die Sache verhielt.

Es versteht sich von selbst, daß Beide im Hintergrunde des Wallfischbauches mit einander sprachen, worüber die Andern von der Trinkgesellschaft gewaltig stutzten.

Jost erzählte nun, daß der Minister Graf von Spindel ihn so eben habe rufen lassen, und beauftragt,[155] die von Rosa geschriebenen Worte dem Erbprinzen mit der Meldung heimlich zu geben: daß er diese Einladung unmittelbar aus Rosa's Hand empfangen; zugleich solle er ihm den Ort, die Stunde, und die übrigen verabredeten Maßregeln der Zusammenkunft ausführlich und genau bezeichnen.

»Hat er dich gut bezahlt?« fragte ihn Hetzer, und machte absichtlich von dem vertraulichen Du ihrer Knabenzeit Gebrauch, um den Schein eines wohlmeinenden Freundes zu behaupten.

»Zehn Dukaten!« antwortete Jost.

»Und du willst jetzt dem Erbprinzen dieses Papier wirklich zustellen? Du weißt doch, daß der Minister kein Freund des Erbprinzen ist; vielleicht ist das Ganze nur eine neue Falle, die er ihm legen will. Kommt nun das Spektakel an den Tag, so wird es dir schlecht gehen; du wirst nicht nur deinen guten Posten verlieren, sondern auch ohne allen Zweifel auf der Festung den Karren schieben. Auf den Minister darfst du dich gar nicht verlassen; ist sein Plan einmal ausgeführt, glücklich oder unglücklich, so kümmert er sich wenig darum, welches Loos dich erwartet. Ich wollte dir schon einen bessern Rath ertheilen!«

»Den bessern ziehe ich vor!«

»So speise heute mit mir im goldenen Schwane; dort wollen wir das Weitere verabreden!«[156]

»Mit Vergnügen! Um welche Stunde?«

»Schlag 1 Uhr!«

»Gut! Ich werde mich pünktlich einfinden!«

Schlichter war höchst unmuthig, daß ihm diese ganze Unterredung entgangen war, ohne sich's jedoch merken zu lassen. Der Mittag nahte sich; Hetzer und Jost schlichen sich ohne alles Aufsehen fort, während die Andern eben über zwei neue Eroberungen einer listigen Tänzerin lebhaft stritten.

Fußnoten

1 3/8 Maß.


2 »Im Wein ist Wahrheit.«


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 157.
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